Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Erster Tag im neuen Job. Wer wäre da nicht nervös? Ich erinnere mich an so einen Tag, bei dem gefühlt alles schief ging. Ich sollte gleich Telefondienst übernehmen und meinen Chef vor lästigen Anrufen abschirmen. Das Anliegen der ersten Anruferin klang dringlich, deshalb stellte ich sie lieber doch durch. Fehleinschätzung, der Rüffel folgte auf dem Fuß. Den zweiten Anrufer wimmelte ich dann formvollendet ab. Mist, auch nicht richtig. Der stand ein paar Hierarchiestufen über meinem Chef, da zählen keine Inhalte mehr. War ich der Aufgabe gewachsen?
So ähnlich mag sich der junge Salomo gefühlt haben, als Gott ihn zum König machen wollte. Ich gebe zu, König ist noch eine Schippe mehr Verantwortung als mein Job damals. Salomo hatte eine unruhige Nacht. Im Traum war er im Bewerbungsgespräch bei Gott schonungslos ehrlich: „Ich weiß weder aus noch ein.“ Ausgerechnet er sollte ein Volk regieren, das so groß ist, „dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann“?
Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, heißt es im Volksmund. Ich habe das selbst so erlebt. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewinnt – das kann einen durch Situationen tragen, in denen man vor neuen, scheinbar unlösbaren Aufgaben steht. Doch es bedeutet nicht, dass man den Respekt vor Herausforderungen verliert.
Auch Salomo geht die Sache demütig an. Er bittet Gott um ein Verständnis dafür, was gut und böse ist. Nicht mehr und nicht weniger. Und Gott zeigt sich beeindruckt: Offenbar gab es schon in grauer Vorzeit genügend Könige, die dem Klischee des machthungrigen, auf den eigenen Vorteil bedachten Herrschers entsprachen. Gott antwortet: „Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, siehe, so tue ich nach deinen Worten.“ Gott schenkt Salomo ein weises Herz – und Reichtum und Ehre obendrauf.
Zu schön, um wahr zu sein? Es war ja tatsächlich laut Bibel nur ein Traum. Auf jeden Fall bis heute eine prägende Geschichte, denn Salomo machte seine Sache gut. So gut, dass wir noch heute das „salomonische Urteil“ kennen – eine besonders weise und durchdachte Entscheidung, die Gräben zuschüttet, statt neue aufzureißen. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Amen.
Lothar Veit