„Was bleibt, ist der Müll“
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Die Anti-Atom-Bewegung ist erfreut über die Abschaltung der drei letzten AKW am 15. April. Ihren Protest wollen die Aktivisten aber fortsetzen. Der Atomausstieg in Deutschland sei noch lange nicht vollendet, sagen sie.
Gorleben/Würgassen. „Wir haben Geschichte gemacht“, sagt Wolfgang Ehmke. Der Anti-Atom-Veteran aus dem Wendland zählt wichtige Stationen des Widerstands gegen Atomanlagen aus den vergangenen 50 Jahren auf: Wyhl, Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Wackersdorf. Unter dem Strich, findet Ehmke, sei die Protestgeschichte eine Erfolgsgeschichte gewesen.
Gorleben nehme dabei eine besondere Rolle ein: „Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben rollten, mutierte das Wendland zu dem Ort, an dem das Ende der Atomkraft auf der Straße und der Schiene ausgehandelt wurde.“ Die Zivilgesellschaft habe sich als „Korrektiv für eine verfehlte Energiepolitik“ erwiesen. Nachdem der Gorlebener Salzstock Jahrzehnte auf seine Tauglichkeit als Endlager untersucht wurde, schied er im Herbst 2020 aus dem Verfahren aus. Wegen geologischer Mängel, hieß es offiziell. Auch wegen des beharrlichen Protests, sagen die Aktivisten.
Auf die Frage, welche Aufgaben für die Anti-Atom-Bewegung nach der Abschaltung der AKW anstehen, verweist Ehmke auf die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Die seien vom Atomausstieg ausgenommen. „Es ist absurd, dass das Ausstiegsland Deutschland dazu beiträgt, dass anderswo Atomkraftwerke betrieben werden können.“
„Was auch bleibt, ist der Müll“, sinniert Ehmke. Die Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müll ziehe sich hin. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung sorgte kürzlich mit dem Eingeständnis für Schlagzeilen, dass ein Standort für diese Deponie nicht, wie angestrebt, im Jahr 2031 feststeht, sondern erst Jahrzehnte später. Bis dahin müssen die rund 1.700 Castoren mit heißem und extrem stark strahlenden Atomschrott dicht bleiben.
Dazu kommt: Die zentralen Zwischenlager in Gorleben und Ahaus im Münsterland sowie an den AKW-Standorten haben auf 40 Jahre befristete Betriebsgenehmigungen – die zuerst erteilten laufen bald aus. Ehmke und seine Mitstreiter fordern, dass die Lager zumindest so nachgerüstet werden, dass sie gegen Flugzeugabstürze und Terroranschläge gesichert sind.
Vor der Ruine des bereits 1997 stillgelegten AKW Würgassen bei Höxter steht Arno Schelle. Der 55-Jährige ist seit seiner Jugend in der Anti-Atom-Bewegung aktiv. „Hunderttausende denken, eine/r allein kann ja doch nichts ändern“ – das stand auf einem Aufkleber, der Schelle Anfang der 1980er-Jahre in die Hand fiel. Das Zitat ließ ihm keine Ruhe. Eine/r allein sollte nichts ändern können? Von wegen.
Geprägt auch von der friedensbewegten Jugendarbeit des früheren evangelischen Pfarrers im niedersächsischen Fredelsloh bei Northeim geht Arno Schelle als 15-Jähriger beim Kirchentag in Hannover erstmals auf eine Demo gegen die Nato-Nachrüstung. Seitdem begleitet er und begleitet ihn das Thema Atomkraft. Er ist bei zahlreichen Demonstrationen dabei, protestiert in Brokdorf, Berlin und Würgassen.
Würgassen war das einzige kommerzielle AKW im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Seit mehr als 20 Jahren läuft der Abriss, der Reaktor ist längst entkernt, nur die wuchtige Hülle ragt noch über die Baumwipfel. Der Parkplatz vor der Zufahrt, Schauplatz zahlreicher Demonstrationen, ist verwaist. Ein Sicherheitsmann tritt aus dem Wachhäuschen und fotografiert die Besucher.
„Von der versprochenen grünen Wiese ist nichts zu sehen“, sagt Schelle. „Stattdessen soll hier ein gigantisches Atommülllager entstehen.“ Ab 2027 soll eine 325 Meter lange, 125 Meter breite und 16 Meter hohe Halle allen angefallenen schwach- und mittelradioaktiven Müll aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen ist – insgesamt etwa 300.000 Kubikmeter. Dabei steht in den Sternen, ob Konrad jemals in Betrieb geht. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) bekräftigte kürzlich bei einem Besuch in Salzgitter die kritische Haltung der rot-grünen Landesregierung zu dem Vorhaben.
Auch der sich über Jahrzehnte hinziehende Abriss der Atomkraftwerke birgt aus Sicht der Anti-AKW-Bewegung Gefahren. Zehntausende Tonnen teils verstrahlten Metalls und Betons müssen abgetragen und abtransportiert werden. Die Strahlenschutzverordnung erlaubt es, radioaktiv belastetes Material wie kontaminierten Bauschutt als „normalen“ Müll zu entsorgen – sofern die zusätzliche Belastung für eine Person zehn Mikrosievert nicht überschreitet.
Unter dem Strich, sagt Arno Schelle mit Blick auf das Wochenende, überwiege auch bei ihm kein Triumphgefühl, sondern Nachdenklichkeit: „Wir müssen wachsam bleiben“, sagt er. Aber zunächst wird gefeiert: Für Sonnabend haben Anti-Atom-Initiativen zu „Abschaltfesten“ in Lingen, München und Neckarwestheim eingeladen.
Reimar Paul / epd