„Was darf ich Ihnen heute anbieten?“
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Ein warmes Essen, ein gut geheizter Raum, dazu Gespräche und Beratung – das bieten seit Mitte Januar mehrere Kirchen in Hannover an. Sie wollen ein Zeichen gegen Preissteigerung und Kälte setzen, und der Bedarf scheint groß zu sein.
Hannover. Udo Haues tänzelt zu dem mit Teelichtern und Servietten eingedeckten Tisch und stellt mit einem charmanten Grinsen seine Lieblingsfrage: „Was darf ich Ihnen anbieten?“ Im Angebot, lässt der grauhaarige Endfünfziger mit Vollbart wissen, seien heute Hühnerfrikassee, Reis und Kaisergemüse. Alternativ auch ohne Fleisch. Haues, der gelernte Koch, bedient seine Gäste im Glasanbau der Lukaskirche in Hannover-Vahrenwald. Zweimal wöchentlich gibt es dort seit Mitte Januar Mittagessen für 50 Cent, dazu Tee, Kaffee, Wasser und Saft. Ähnliche Angebote machen in Zeiten steigender Preise und fallender Temperaturen mehrere Kirchen in Hannover sowie bundesweit.
Finanziert werden sie aus zusätzlichen Einnahmen aus der Kirchensteuer, denn die im September an alle Berufstätigen ausgezahlte staatliche Energiepauschale von 300 Euro war steuerpflichtig. Allein an die Landeskirche Hannovers flossen so knapp fünf Millionen Euro, die zuvor in keinem Budget eingeplant waren. Nun geben evangelische und katholische Kirchen das Geld nach eigenen Angaben an Projekte und Initiativen weiter, die sich für Bedürftige einsetzen: in Wärmestuben, bei Beratungsstellen und durch direkte finanzielle Unterstützung. In der Lukaskirche zählen die Organisatoren bislang rund zehn Besucher pro Tag.
Auch Frank, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, kommt häufiger. Für ihn ist die zwei Tage in der Woche geöffnete Kirche in Vahrenwald eine wichtige Anlaufstelle, denn der 43-Jährige muss jeden Morgen gegen kurz nach neun auf die Straße, wenn die nächtliche Sammelunterkunft gleich um die Ecke ihre Türen schließt. Er und alle anderen Bewohner, die täglich neu ihre Schlafplätze erbitten müssen, können zwar ab fünf Uhr nachmittags wieder ins Warme – dazwischen bleibt ihnen aber nur eine Zuflucht irgendwo in der Stadt.
Der wohnungslose Mann aus Köln kennt die Situation nur zu gut: „Ich schlafe eigentlich in einem Zelt am Rhein“, sagt er. „Aber im Winter ist mir das zu kalt.“ Und weil man in Hannover Unterstützung bekommt, ohne detailliert mit Behörden in Kontakt zu treten, sieht Franks Plan seit mehreren Wintern so aus: Drei Monate Bettenlager in Niedersachsens Landeshauptstadt, ein bisschen was mit gesammelten Pfandflaschen dazuverdienen, und sobald der Frühling naht, wieder in Köln sein: „Wenn die Blüten sprießen, bin ich unterwegs.“
Auch Udo Haues, der das Mittagsmenü serviert, schläft in der Vahrenwalder Unterkunft für Wohnungslose. Er kennt die finanziellen Verhältnisse auf der Straße ganz genau. „Mit Pfandflaschen kann eigentlich jeder einen Euro am Tag ohne viel Aufwand verdienen“, sagt er. Deshalb hat er den Essensbeitrag so taxiert, dass Essen und Trinken damit bezahlbar sind. Haues war früher Inhaber einer Gaststätte, er hatte in Berlin ein Haus und einen guten Job in Wolfsburg. Aber der gebürtige Westfale mit dem urigen Dialekt hat alles verloren, lebt seit Jahren auf der Straße. Er suche immer wieder Halt, sagt er – und hofft, ihn nun in Hannovers Norden gefunden zu haben. Die kirchliche Wärme-Insel schmeißt er mit anderen Ehrenamtlichen zusammen und bekommt eine kleine finanzielle Anerkennung dafür.
Aber das Projekt gibt ihm deutlich mehr als das: „Ich brauche vor allem Struktur in meinem Tag“, sagt der Wohnungslose. „Und ich will demnächst eine Wohnung finden.“ Andere Gäste suchten überhaupt mal einen Ansprechpartner, sagt Johannes Meyer, der seit vielen Jahren als Diakon mit Geflüchteten und in sozialen Brennpunkten Hannovers arbeitet. „Jemanden zum Reden.“ Umso froher sei man, dass offenbar durchaus Menschen das neue Angebot untereinander weiterempfehlen.
Auch die 35-jährige Ukrainerin Olga und ihre 63-jährige Mutter Elena haben über persönliche Kontakte in die kirchliche Insel gefunden. Die beiden sind seit Mai in Hannover – im Sprachkurs und in dem Hotel, wo sie untergebracht sind, haben sie aber bislang vor allem andere Ukrainer kennengelernt. „Hier in der Kirche ist ein sehr guter Ort für uns“, sagt Olga, die internationale Wirtschaft studiert und in der südukrainischen Stadt Krywyj Rih als Dolmetscherin gearbeitet hat. „Wir können die deutsche Sprache üben und neue Leute kennenlernen.“
Die Lutherkirche in Hannovers Nordstadt heißt ihre Gäste mit einem Kaminfeuer willkommen, das auf einem riesigen Bildschirm flackert. Der in den Sakralraum eingefügte Glaskubus, in dem sonntags das Kirchencafé stattfindet, ist nun dreimal wöchentlich eine Wärmeinsel. Sozialarbeiterin Karen Hammerich vom Diakonischen Werk Hannover sitzt an einer langen Tafel, auf der Kekse liegen und Teetassen auf wärmenden Inhalt warten. Die Resonanz sei noch eher überschaubar, sagt Hammerich: „Aber wir freuen uns über jeden Menschen, der Beratung sucht oder einfach vorbeikommt, weil zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.“
Über eine ganz andere Nutzung des warmen Kirchraumes freut sich Pastorin Stefanie Sonnenberg: „Es hat sich spontan eine Krabbelgruppe gegründet, die sich hier im Kubus trifft. Leute, die eigentlich nur mal vorbeischauen wollten.“ Willkommen, sagt sie, seien zunächst einmal alle, die ein paar Stunden im Warmen gut gebrauchen können.
Alexander Nortrup / epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen