„Sich zu engagieren sollte Aufgabe aller Christinnen und Christen sein“
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Beim Wort „Klimaschutz“ denken viele zuerst an „Fridays for Future“ und nicht an die Kirche. Obwohl ihr die Bewahrung der Schöpfung ein, vielleicht sogar das Herzensanliegen ist. Wir haben mit zwei aktiven Unterstützenden aus Niedersachsen gesprochen, warum sie sich mehr Unterstützung wünschen.
Beflügelt und bekräftigt ist Kaja Klenke aus Lützerath zurückgekehrt. Die Theologie-Studentin aus Göttingen war am Samstag mit einer „Fridays for Future“-Gruppe nach Nordrhein-Westfalen gefahren, hat mit Bannern und Sprechchören gegen die Klimapolitik der Bundesregierung protestiert – friedlich, so wie die meisten Mitstreitenden: „Es gab Polizeigewalt, ja, aber längst nicht überall. Ich habe auch eine sehr rücksichtsvolle Stimmung unter den Demonstrierenden wahrgenommen, man half sich, stand verängstigten Menschen bei, rief zur Not den Sanitätsdienst.“ Aus ihrer Sicht habe jede und jeder Einzelne selbst bestimmen können, wie weit der Protest gehen soll. „Es war eine wirklich beeindruckende Stimmung – sie hat mir auch neue Kraft gegeben, weiterzukämpfen.“
Für Kaja Klenke endet das Engagement mit dem geräumten Lützerath nicht, „die Kohle ist ja noch da.“ Über „Christians for Future“ wird sie mit „Kirche an der Kante“ und „Kirche im Dorf lassen“ Kontakt halten, in der Ortsgruppe aktiv sein und auch beim Kirchentag für Klimaschutz werben.
Online wie vor Ort sei eine besondere Verbundenheit unter den Demonstrierenden spürbar: sich die christlichen Werte zu vergegenwärtigen habe den Aktivismus nochmal auf ein anderes Level gehoben. „Den Klimawandel zu sehen, ist sehr frustrierend. Da nochmal Kraft aus Gott zu ziehen, etwas, das größer ist, ist tröstlich.“
Für sie ist klar: der Protest in Lützerath, die Demos für Klimaschutz und die Bewahrung der Erde ist eigentlich ureigenes Kirchenthema. „Ich würde mir wünschen, dass die Institution Kirche sich klarer positioniert“, sagt die Studentin. „Für mich muss Kirche politisch sein und kann sich da nicht raushalten.“
Dieser Meinung ist auch Florian Oppermann, Physik-Doktorand, Prädikant und Kirchenvorstand in der Friedenskirche Hannover. Als „Klimaweiser“ berät er außerdem Politik und Verwaltung der Stadt. „Auch mir hat die FFF-Bewegung erst wirklich klar gemacht, welche Dimension die Klimakrise hat und was irreversible, unumkehrbare Schäden des Klimas bedeuten“, so der 30-Jährige.
Daher ist er seit 2019 bei „Scientists for Future“ dabei, war am Mittwoch auf der Solidaritätsdemo in Hannover und spricht in seinen Predigten immer wieder von der Klimakrise. „Sich zu engagieren sollte Aufgabe aller Christinnen und Christen sein. Mich persönlich treibt einfach die Verzweiflung angesichts einer völlig unzureichenden Klimapolitik auf die Straße, sowohl hier in der Stadt, in Lützerath, aber auch auf Bundesebene.“
Dass sich Kirchenleitende wie der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus oder auch Papst Franziskus klar für Klimaschutz äußerten, findet er gut. „Jedoch wundert es mich, dass Lützerath und die Klimakrise insgesamt kein viel größeres christliches Thema sind – als Christinnen und Christen haben wir mit unseren Werten und Ansichten schließlich gute Antworten, etwa mit der Aufforderung, die Prioritäten im Leben richtig zu setzen, für den Nächsten oder auch Übernächsten. Wir brauchen eine andere Lebensweise und genau da könnten wir als Kirche eine Vision anbieten.“
Für ihn ist ermutigend, dass es in Lützerath unter den Demonstrierenden eine so breite Solidarität über parteipolitische und andere Grenzen hinweg gab. „Ich will keinen Optimismus herbeireden, aber dieser starke Zusammenschluss macht Mut.“
Nach den Konflikten in Lützerath ist von Polizeigewalt die Rede, es schien ein unversöhnliches Gegeneinander von Demonstrierenden und Polizei zu geben. Wie kann es weitergehen und wie können wir wieder in eine konstruktive Debatte kommen?
Philipp Sandermann ist Professor für Sozialpädagogik, er forscht und lehrt am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik der Leuphana Universität Lüneburg. Ein Forschungsschwerpunkt Sandermanns ist das Thema Vertrauen.
Herr Sandermann, in Lützerath standen sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüber. Proteste, Gewalt, Wut – die Nachrichten machen uns hilflos. Wir fragen uns: und nun? Die Aktivisten sehen die gesamte Erde in Gefahr, doch sich von Polizisten wegtragen zu lassen, ändert auch nicht wirklich etwas. Wie sehen Sie diese Nachrichten, erschüttern Sie die Bilder genauso wie uns?
Sandermann: So gefühlskalt es für Sie klingen mag: Dass es derartige Entwicklungen geben kann, sollte uns angesichts existierender Empirie zur Konfliktforschung nicht erstaunen. Bereits in den 1980er-Jahren hat der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl gezeigt, in welchen Stufen Konflikte eskalieren und dass das dann auch zu Gewalt führen kann – bis hin zum Willen der Vernichtung des Gegenübers um jeden Preis (auch des eigenen Untergangs). Auf dieser Eskalationsstufe stehen wir in diesem Konflikt glücklicherweise ganz und gar nicht, auch wenn die Dynamik ungünstig ist und daher bspw. konfliktmediative Maßnahmen und eine genaue Aufarbeitung des Geschehens unbedingt sinnvoll sind.
Die einen sprechen von krasser Polizeigewalt, die anderen von Provokation und „normalen“ Einsatzmitteln. Zahlen über Verletzte gehen auseinander, Bilder stehen unter Manipulationsverdacht. Wem oder worauf können wir in dieser Situation vertrauen?
Sandermann: Dass die Sichtweisen sich unterscheiden, gehört sozusagen zur Natur der Sache in Konflikten. Bedenklicher wird es immer da, wo es in Richtung Desinformationspolitik geht. Dies geschieht meist aus dem Verlangen heraus, keine Zugeständnisse machen zu wollen. Dahinter steht eine mangelnde Bereitschaft oder gefühlte Möglichkeit, das eigene Bild der Situation zu überprüfen und sich der Sicht des Gegenübers anzunähern. Im Endeffekt können beide Seiten nur verlieren, wenn man hier völlig unnachgiebig ist. Und die bisherige Aufarbeitung der Geschehnisse zeigt durchaus, dass das beiden Seiten bereits kurz nach den Geschehnissen klar ist. Mit etwas Abstand wird daher bereits heute ein wenig besonnener gesprochen als noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse.
Hier sehe ich – a propos Vertrauen – eine sehr große Verantwortung der Medien: Es ist journalistisch seriös und ungemein wichtig für das Funktionieren einer Demokratie, lieber gut recherchiert Bericht zu erstatten als schnell. Das impliziert, ganz offen und ehrlich zunächst mitzuteilen: „Hier ist etwas potenziell Besorgniserregendes passiert, aber wir wissen noch nicht genau was und halten uns daher mit Beurteilungen der Lage zunächst entschieden zurück.“ Ansonsten brauchen wir keine Medien mehr, sondern können direkt alle nur noch über Instagram, Telegram und Co. kommunizieren. Dann haben wir am Ende alle immer Recht, aber keine Ahnung mehr was eigentlich los ist.
In der Silvesternacht wurden Rettungskräfte massiv angegangen, die Gesellschaft war empört. Nun schlagen Polizisten auf Menschen ein und gehen teils nicht zimperlich mit Demonstranten um, es gibt Berichte über gebrochene Knochen und Schwerverletzte. Ein Widerspruch? Viele Demonstranten trauen der Polizei nicht mehr – zurecht?
Sandermann: Im konkreten Fall besteht moralisch betrachtet für die Polizei eine höhere Verantwortung und Verpflichtung, die eigenen Fehler zu reflektieren und sich ggf. auch dafür zu entschuldigen bzw. andere Konsequenzen zu ziehen, als auf der Seite der Demonstrierenden. Das hat weniger mit dem Konflikt als solchem zu tun als mit der gesellschaftlichen Rolle der Polizei. Polizist:innen agieren mit der vollen Wucht und der institutionellen Autorität des Staates. Daraus speist sich ganz wesentlich auch ihre situationsbedingte Macht als Person. Wo sie Fehler machen, fällt das im Umkehrschluss nicht nur auf sie selbst, sondern auf die Gesellschaft als Ganze zurück. Und wo die Gesellschaft als Ganze in Frage gestellt wird (bspw. was die Herstellung sozialer Gerechtigkeit oder ökologischer Zukunftsfähigkeit angeht) schlägt die Wut im Zweifel auch auf einzelne Sicherheitskräfte um. So emotional herausfordernd das dann in der konkreten Konfliktsituation für den:die einzelnen Polizist:in ist, bedeutet das also auch, dass auf dieser Seite ein höheres Maß an Verantwortung liegt, wenn etwas falsch läuft. Sonst gefährdet das nicht nur Vertrauen in die einzelne Person eines:r Polizist:in, sondern auch in die Polizei und letztlich die Gesellschaft als Ganze.
Es sieht nicht danach aus, dass einfach ein neuer Kompromiss gefunden werden könnte. Wie finden wir zurück zu einer konstruktiven Debatte? Sehen Sie einen Weg, wie es weitergehen kann?
Sandermann: Für einen Weg aus einem akut eskalierten Konflikt steht grundsätzlich die Seite mehr in der Verantwortung, die strukturelle Vorteile hat, wo es um die eigene Machtposition geht. Das heißt, dass die staatlichen Organe hier die Hand reichen müssen. Das bedeutet nicht unbedingt, in der zugrundeliegenden Sache einen Kompromiss zu erzielen. Konflikte als solche sind kein Problem einer Demokratie und lassen sich auch nicht nur in Richtung Kompromiss auflösen, sondern auch in ein vorübergehendes „Agreement to disagree“, bis sich neue Koalitionen und Lösungsoptionen auftun. Kompromiss muss allein in Bezug auf die Verfahrensregel „Gewalt ist keine Lösung“ und möglichst auch in der Ächtung von Desinformationspolitiken bestehen. In diesen beiden Punkten wiederum liegt die weitaus größere Verantwortung bei Staat und Polizei. Hier hat die Polizei einer Vorbildfunktion gerecht zu werden, die nicht übersehen werden darf im Sinne eines: „Ihr habt aber auch!“ Sonst mündet das in strukturelle Gewalt und führt zu einer Gefährdung der Demokratie. Aber nochmal: Auf dieser Eskalationsstufe befinden wir uns nicht.