Startseite Archiv Tagesthema vom 05. Januar 2023

Ein „Ankerplatz“ der Seelsorge

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Die Corona-Krise hat der Digitalisierung einen enormen Schub gegeben und uns ins Bewusstsein gerückt, wie wichtig das Miteinanderreden für das menschliche Zusammenleben ist. Eine starke Nachfrage verspürt die Seelsorge in Kirchengemeinden und Beratungsstellen. Das Zentrum für Seelsorge und Beratung der Landeskirche geht deshalb im Frühjahr 2023 mit dem DigiHaus online.

In virtuellen Räumen kommen Kirche, Seelesorger und Beratende mit ratsuchenden Klienten via Chat, E-Mail oder Video ins Gespräch. Pastor Achim Blackstein, landeskirchlicher Beauftragter für Digitale Seelsorge und Beratung, hat das Projekt „Hausbau“ von Beginn an begleitet.

Herr Blackstein, der Grundstein für das „Digitale Haus der Seelsorge und Beratung“ ist gelegt. Im Frühjahr nächsten Jahres soll das DigiHaus unter dem Namen „Ankerplatz“ online gehen. Was versprechen Sie sich von dem Angebot und wen sprechen Sie mit dieser modernen Form der Lebenshilfe an?

Zuerst verspreche ich mir, dass die Seelsorge und Beratung der Kirchen weiter nach vorne getragen wird. Seelsorge muss einen prominenteren Platz bekommen, sich modern und leicht zugänglich präsentieren, damit die Menschen Lust bekommen, in die Kommunikation einzusteigen. Gerade in der digitalen Seelsorge, die anonymer ist, kommen schambehaftete Themen häufiger auf den Tisch. Viele Ratsuchende, die Probleme mit Drogen, Schulden, Missbrauch oder Suizidgedanken – in der Kindheit oder in der aktuellen Situation – haben, mögen im Präsenz-Gespräch nicht unbedingt darüber reden. Die Hemmschwelle sinkt jedoch, wenn man stattdessen die Möglichkeit hat, eine Mail zu schreiben oder einen Chat zu eröffnen.

Die Telefonseelsorge zählt bisher wohl zu den bekanntesten Angeboten, die leicht zu erreichen und anonym in Anspruch genommen werden können. Auch mit der E-Mail- und Chatseelsorge konnte in den vergangenen Jahren vielen Menschen geholfen werden. In welcher Form kommen die Klienten auf den verschiedenen Etagen des DigiHauses mit den Seelsorgenden zusammen?

Ratsuchende finden das für sie passende Angebot entweder über eine ausgeklügelte Suchmaske auf unserem Portal. Oder über einen so genannten Dezentralen Zugang auf der jeweiligen Webseite teilnehmender Seelsorger oder Berater, also beispielsweise der Kirchengemeinde oder Beratungsstellen. So finden sie schnell ein offenes Ohr und ein passgenaues Beratungsangebot. Und weil die Seelsorger und Berater mit Namen erkennbar sein können, wissen die Ratsuchenden meistens genau, mit wem sie es tun haben.

Sind im Digitalen Haus rund um die Uhr Gesprächspartner online?

Wir hoffen, dass wir ein umfangreiches Angebot darstellen können und wenn nicht in Person, dass zumindest in Form von Artikeln oder Videos.

Wie stellen sich die Beratenden auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen ein, um sie dort abzuholen, wo sie mit ihren Sorgen und Problemen stehen? Kann das online überhaupt funktionieren?

Das funktioniert online oftmals besser als in Präsenz. Die Seelsorger und Berater können sich auf ihre Ratsuchenden oder Klienten einstellen, weil sie gelernt haben, die richtigen Fragen zu stellen. Dennoch werden sich die Anbieter schulen lassen müssen, um sich auf die Begebenheiten in der digitalen Welt einzustellen. Die Kommunikation über Chat oder E-Mail ist nicht weniger, sondern manchmal sogar persönlicher, als wenn man sich in einem Raum gegenüber sitzt.

Was passiert, wenn Dinge beim Beratenden anders ankommen, als sie gemeint sind? Schließlich kennen sich die Gesprächspartner ja nicht persönlich. Emojis könnten leicht missverstanden werden, Ironie funktioniert geschrieben vielleicht nicht – und was ist mit den Menschen, die eigentlich überhaupt nicht gern schreiben?

Die Kommunikation läuft nicht anders als im persönlichen Gespräch. Auch online kann man schnell eine vertrauliche Basis schaffen. Und mit dem nötigen Gespür lässt sich zwischen den Zeilen lesen.

Ja, und wer nicht gern schreibt, für den gibt es etliche andere Angebote. Wir merken aber, dass sich viele Menschen ihre Probleme gern von der Seele schreiben und eine E-Mail manchmal schon ein guter Weg ist, sich und seine Gedanken zu sortieren. Wenn das Geschriebene dann nochmal gemeinsam reflektiert wird, ist es vielleicht schon genug. Unser Ansatz ist ja auch, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und die Menschen mit sich selbst in Kontakt zu bringen.

Tanja Niestroj/EMA
Achim Blackstein, landeskirchlicher Beauftragter für Digitale Seelsorge und Beratung, hat das Projekt „Hausbau“ von Beginn an begleitet.
Achim Blackstein, landeskirchlicher Beauftragter für Digitale Seelsorge und Beratung, hat das Projekt „Hausbau“ von Beginn an begleitet.

Die City-Seelsorge in Hannover

Seit dem Jahr 2015 bietet die City-Seelsorge in Hannover Hilfe bei Problemen und Krisen. Im ersten Jahr fanden noch 276 Gespräche statt. Die Zahl steigerte sich jährlich bis auf knapp 500, nach einer coronabedingten Verringerung waren es 2021 wieder 382 Gesprächskontakte. Für das Jahr 2023 erwartet City-Seelsorger Stephan Lackner eine weitere Erhöhung. Auffallend sei dabei, dass Männer knapp die Hälfte der Ratsuchenden ausmachten, sagt der Pastor. „Das ist im Vergleich zu dem Klientel beispielsweise von Beratungsstellen ein deutlich größerer Anteil.“

Lackner führt das auf die  besonderen Bedingungen der Cityseelsorge zurück. „Bei uns muss man sich nicht anmelden, niemand wird nach dem Namen gefragt und man muss noch nicht mal ein Problem haben, wenn man mit uns reden will.“

Für Männer sei dieses sehr niedrigschwellige und anonyme Angebot eine besondere Einstiegshilfe. „Weil es für Männer oft noch schambesetzt ist, ein Problem zu haben, sich schwach oder hilfsbedürftig zu fühlen, gehen sie auch nicht zum Pastor oder zur Pastorin ihrer Gemeinde“, so Lackner, „denn nachher kann man ihn oder sie vielleicht im Supermarkt wiedersehen.“

Bei den Gesprächen stehen dabei vor allem Beziehungsprobleme im Vordergrund. Sei es in der Partnerschaft, im Freundeskreis, Konflikte mit den Kindern oder Eltern.

City-Seelsorger Stephan Lackner. Foto: Sabine Dörfel
City-Seelsorger Stephan Lackner. Foto: Sabine Dörfel