Fürchtet Euch nicht!
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Fürchtet Euch nicht!
Ich unterstelle Ihnen und Euch allen, diesen Satz aus der Weihnachtserzählung im Lukasevangelium im Ohr zu haben. Fürchtet Euch nicht. Der Engel sagt das zu den Hirten und erzählt ihnen dann von der Geburt von Jesus im Stall in Bethlehem.
Fürchtet Euch nicht!
Diese Botschaft braucht unsere Welt. Weil es zu viel gibt, wovor man Angst haben kann.
Fürchtet Euch nicht!
Ist das eine Weihnachtsbotschaft an die Flüchtlinge? Fürchtet Euch nicht – Ihr seid nicht mehr im Kriegsgebiet, Ihr seid in Sicherheit?
Oder ist es eher eine Weihnachtsbotschaft an die, denen die Flüchtlingsströme Angst machen? Fürchtet Euch nicht – wir schaffen das?
Diese Aufforderung, sich nicht zu fürchten und keine Angst zu haben, macht nur Sinn in einer Situation, in der Menschen sich fürchten.
Die biblische Erzählung von der ersten Weihnacht spielt nicht in einem geheizten Wohnzimmer, das mit Weihnachtsbaum und Lichterglanz festlich geschmückt ist. Die heilige Nacht passiert in einem Stall, in dem auch Tiere leben – vielleicht ein Esel und ein Ochse, zwischen Futtertrog, Heu und Stroh. Mit einer sicher denkbar einfachen Mahlzeit. Kurz nach der Geburt wird die Familie um Jesus, Maria und Josef selbst zu Flüchtlingen. Sie muss im Nachbarland um Asyl bitten, weil König Herodes allen neugeborenen Jungen nachstellt.
Von Ruhe und Idylle erzählt diese Geschichte von der ersten Weihnacht nichts. Weihnachten war noch nie eine Idylle.
Aber deshalb von „Fürchtet Euch nicht“ zu reden, trifft noch nicht den Kern der Weihnacht. Der Engel jagt den Hirten erst einmal einen riesigen Schrecken ein. Wann sieht man denn auch schon einen Engel? Deshalb ruft er ihnen zu: „Fürchtet Euch nicht“. All das Licht und die Erscheinung und die Klänge sollen Euch keine Angst machen, sondern unterstreichen und illuminieren und begleiten, was ich Euch zu sagen habe. Nämlich: Ich verkündige Euch eine große Freude, die alle Menschen betrifft. Euch ist heute der Heiland geboren! In einem Menschenkind wie Ihr welche seid.
Das „Fürchtet Euch nicht“ ist nicht die eigentliche Weihnachtsbotschaft. Sondern mit diesem „Fürchtet Euch nicht“ fängt die eigentliche Weihnachtsbotschaft erst an.
Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Das Immanuel ist der Kern von Weihnachten.
Gott ist mit uns, bedeutet dieser Name. Immanuel.
Was ändert das?
Ein glaubendes Leben, ein Leben in dem Bewusstsein, dass Gott mit uns lebt, bleibt nicht verschont. Da gibt es Armut und Angst, Liebeskummer, Krankheit, Tod, Verlust, Schuld.
Daran ändert sich nichts. Und gleichzeitig ändert sich alles.
Weil das Vertrauen in Gott und das Rechnen mit diesem Gott den Blick auf die erlebte Wirklichkeit verändern. Das Erleben der Wirklichkeit verändert sich. Die Wirklichkeit verändert sich.
Durch das Wissen, dass Gott mit uns ist, ändert sich nichts. Durch den Glauben ändert sich nichts. Und gleichzeitig ändert sich alles.
Wir leben und leiden nie alleine. Dass Gott mit uns ist, hilft uns, in schweren Zeiten zu bestehen. Und das hat Bestand. Durch schwere Zeiten hindurch. Sogar über den Tod hinaus.
Das „Fürchtet Euch nicht“ braucht unsere Welt, brauchen ganz konkrete Menschen. Aber Gott braucht es mit ihnen. Mit der Geburt in Bethlehem hat er menschliche Bedürfnisse zu seinen eigenen gemacht. Es ist Gottes Traum von seiner und unserer Welt, dass es gerecht in ihr zugeht. Dass die Güter gerecht aufgeteilt sind. Dass jeder genug zum Leben hat. An Lebensraum und Lebensmitteln. Gott leidet selbst mit den Kriegen in Europa.
Dass Gott mit uns ist, ändert nichts? Aber es muss doch uns verändern, all das zu ändern, worunter Menschen und unser Gott leiden.
Amen.
Jakob Kampermann