Interview mit Jasmin Arbabian-Vogel
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Angeblich hat Mahsa Amini ihr Kopftuch zu locker getragen. Die Sittenpolizei im Iran nahm sie fest – und die 22-Jährige verstarb nach dem Aufenthalt auf der Polizeiwache. Das war Mitte September. Seitdem demonstrieren Menschen im ganzen Iran gegen die repressive Politik des Landes - und erfahren Unterstützung aus vielen Teilen der Welt. Jasmin Arbabian-Vogel etwa leitet einen interkulturellen Pflegedienst in Hannover. Bis sie 18 war, lebte die 54-Jährige im Iran. Über die Religion sagt sie: „Ich bin in und mit beiden Religionen aufgewachsen und entschied mich, gläubige Atheistin zu sein.“ Wie nimmt sie die Situation in ihrem Heimatland wahr? Ein Gespräch.
Frau Arbabian-Vogel, wie blicken Sie aktuell auf die Situation der Frauen im Iran?
Arbabian-Vogel: Die Einigkeit bei den Protesten erfüllt mich mit Stolz. Ich bewundere die Frauen und alle Menschen, die im Iran demonstrieren, für ihren Mut. Auf der anderen Seite habe ich extreme Sorge. Die Demonstrierenden begeben sich in große Gefahr. Diejenigen, die erkannt werden von den Behörden, werden abgeholt und verschwinden, manche werden zum Tode verurteilt. Dass die Weltgemeinschaft hinter ihnen steht, bestärkt die Menschen im Iran, auf die Straße zu gehen. Diese mentale Unterstützung trägt die Proteste.
Als Zeichen der Solidarität haben sich einige Prominente und Privatpersonen die Haare abgeschnitten. Was halten Sie davon?
Arbabian-Vogel: Am Anfang war ich skeptisch. Denn, sich eine Locke abzuschneiden, verändert formal nichts. Aber es verschafft Aufmerksamkeit – das sagen auch Menschen aus dem Iran. Das Thema bleibt präsent und verbreitet sich in den Sozialen Medien rasend schnell. Wenn man also vom Ergebnis her denkt, ist die Aktion richtig.
Wie kann man von Deutschland aus den Menschen im Iran noch helfen?
Arbabian-Vogel: Die „Snowflake“-Erweiterung im Internetbrowser installieren. Das ist eine App, mit der Menschen uneingeschränkten Internetzugang bekommen können. Für die Demonstrierenden im Iran ist das sehr wichtig, um sich zu vernetzen. Wenn andere Personen Aktionen oder Petitionen starten, kann man sich ihnen anschließen. Geld an Organisationen spenden, die im oder für den Iran aktiv sind, hilft auch.
Um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, haben Sie auf Facebook Fotos aus Ihrer Jugend im Iran geteilt. Warum wählten Sie diesen Ansatz?
Arbabian-Vogel: Ich habe versucht, Empathie auszulösen. Empathie kann man nur für Menschen, Dinge oder Situationen empfinden, in die man sich hineinversetzen kann. Persönliche Fotos können eine Distanz überwinden. Es ging mir darum, zu dokumentieren: Iraner, Iranerinnen, das sind Menschen wie du und ich. Sie haben die gleichen Träume, Wünsche und Lebensweisen. Im Iran feiert die Jugend die gleichen Partys wie hier. Sie finden nur eben im Verborgenen statt.
Wie ist es, mit dem Wissen aufzuwachsen, dass die Menschen um einen herum jederzeit inhaftiert werden könnten?
Arbabian-Vogel: Dieser Gedanke ist ständig präsent. Man hat eigentlich immer Angst, bis man der Person, die man gerade kennengelernt hat, vertrauen kann. Ein bisschen lässt es sich vielleicht mit der Situation in der DDR vergleichen. Allerdings wird die Todesstrafe im Iran weitaus häufiger vollstreckt. Ich glaube aber, das Gefühl der permanenten Unsicherheit und Angst, dürfte in der DDR und im Iran identisch sein. Das ist etwas, was einen nicht loslässt.
Wie können deutsche Kirchen/Gemeinden in der Situation wirken?
Arbabian-Vogel: Die deutsche (evangelische) Kirche in Teheran war uns in der Iran-Revolution 1979 eine riesige Stütze. Sie vermittelte Medikamente, Lebensmittel, sorgte dafür, dass die Gemeinschaft eng zusammenrückte und war Ankerpunkt in diesen wirren Zeiten. Pfarrer Bernbeck gab uns damals ein Darlehen, damit wir den Iran verlassen konnten. Es waren 5000 DM. Sie waren der Grundstein zu allem. Ich bin ihm bis heute dankbar.