Startseite Archiv Tagesthema vom 22. November 2022

Solar auf dem Kirchendach: Das blaue Wunder von Seckenhausen

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Eine kleine Kirchengemeinde im Bremer Umland hat vor 17 Jahren eine riesige Solaranlage installiert. Die Initiatoren mussten auch gegen innerkirchliche Widerstände kämpfen - und könnten heute als Vorbild für ähnliche Projekte dienen.

Wenn der Himmel es gut meint mit Seckenhausen, dann leuchten die Dächer der Kirchengemeinde in tiefem Blau. „An sonnigen Tagen sieht das richtig schick aus“, freut sich Pastor Marc Heinemeyer. Vor allem aber rattert an solchen Tagen der Stromzähler und viel Sonnenenergie fließt in das Netz des lokalen Versorgers. Die Dachflächen des 1968 eingeweihten Sakralbaus, der pyramidenartig in die Höhe ragt, sind vollständig mit Photovoltaik-Modulen bedeckt. Die evangelische Kirchengemeinde im Bremer Umland nutzt seit 17 Jahren die vermutlich größte Solaranlage auf kirchlichen Gebäuden in Norddeutschland.

Eine Liste über kirchliche Solar-Superlative führe niemand, sagt Reinhard Benhöfer, Umweltbeauftragter der Landeskirche Hannovers: „Aber ich kenne keine andere Kirche, die das Dach so maximal ausgenutzt hat.“ Auch die Dächer des Kirchenanbaus und des ehemaligen Pfarrhauses auf dem Nachbargrundstück tragen Solarzellen. Rekordverdächtige 600 Quadratmeter in kirchlichem Besitz sind es insgesamt, die je nach Sonneneinstrahlung pro Jahr bis zu 41.000 Kilowattstunden Strom erzeugen. Im Kirchenfoyer hängt ein Bildschirm mit dem aktuellen Ertrag, die Website ziert ein Foto des Daches - aber mehr Wind machen sie um ihren Pionierstatus nicht. „Wir sehen das hier nicht so extrovertiert“, sagt Heinemeyer und lächelt. Stolz sei man schon, klar. „Aber nicht selbstzufrieden.“

Das Dach der Martin-Luther-Kirche in Stuhr-Seckenhausen, die 1968 gebaut wurde, ist komplett mit Solarmodulen bestückt. Weitere Module finden sich auf dem Kirchen-Anbau und auf dem Dach des Pfarrhauses. Alle drei Solardächer bildeten bei ihrer Fertigstellung 2011 das größte Kirchensolardach Europas,

In drei Jahren läuft die Einspeisevergütung aus, also der feste Tarif, zu dem der lokale Energieversorger den Solarstrom kauft und dann ins Netz einspeist. 53 Cent pro Kilowattstunde bekommt die Kirchengemeinde. Wer heutzutage Solar neu installiert, kassiert nur einen Bruchteil davon. „Wir haben gut geerntet“, sagt Patrick Bakker, der 36-jährige Vorsitzende des Kirchenvorstands. Die 200.000 Euro teure Anlage ist längst abbezahlt. Bis zu 20.000 Euro hat sie jedes Jahr eingespielt. Eine gute Rendite sei aber nie der Grundgedanke gewesen. „Hier ging es um Klimaschutz“, sagt Pastor Heinemeyer, der seit April in der Gemeinde arbeitet. „Die Initiatoren wollten die Schöpfung bewahren und dazu anregen, dass sich Menschen mit der Umwelt beschäftigen.“
Umso mehr hat die Seckenhäuser enttäuscht, dass Solardächer auf Kirchen nicht zu einer echten Bewegung geworden sind. Nur eine Anfrage einer anderen Kirchengemeinde habe es in all den Jahren gegeben, sagt Lüder Lammers, der sich seit 15 Jahren im Kirchenvorstand engagiert. Immerhin lokal habe das blaue Kirchendach abgefärbt. „Hier im Ort hat das schon viele zum Nachdenken gebracht.“ Viele Landwirte hätten inzwischen Solarzellen auf ihren Stalldächern.

Die Martin-Luther-Kirche in Stuhr-Seckenhausen.

Während heute die Ökologie auch bei Kirchenleitungen und Synoden hoch im Kurs steht, war das 2005 durchaus anders, sagt der 63-Jährige: „Das Kirchendach mit erneuerbarer Energie auszurüsten war ein großer Kampf, den der damalige Pastor mutig und beherzt ausgefochten hat.“ Der Widerstand innerhalb der kirchlichen Verwaltung sei groß gewesen, die Finanzierung habe die Gemeinde schließlich auch mit vielen kleinen Privatdarlehen von jeweils 250 Euro bewältigt. Die sogenannten „Sonnenscheine“ zahlte sie mit einer Verzinsung von drei Prozent zurück, viele Darlehensgeber verzichteten sogar darauf.

Energieexperte Benhöfer sieht in Seckenhausen viel Exemplarisches: „Projekte wie dieses hängen am Ende oft an einer treibenden Figur. Denn sie erfordern viel Aufwand und einen langen Atem“. Ein Haken sei immer schon die Finanzierung gewesen: „Damit Kirchenkreise einen Kredit gewähren, braucht es eine Analyse der Wirtschaftlichkeit - und die wurde für Photovoltaik lange Zeit sehr konservativ berechnet und meist negativ beschieden.“ Bis vor wenigen Monaten waren Solaranlagen zudem durch die niedrige Einspeisevergütung so unattraktiv geworden, dass die Kirche dazu riet, eher eine neue Heizung einzubauen.

Lüder Lammers ist seit 15 Jahren im Kirchenvorstand.

Doch selbst, wer das Geld beisammen hatte, stand noch vor einem Problem: dem Denkmalschutz. „Bis zu diesem Sommer war es völlig undenkbar, auf Kirchengebäude Solaranlagen zu bauen“, sagt Benhöfer. Das habe auch für Gemeindehäuser gegolten, die zum geschützten Hauptgebäude hinzuzählten. Als Teil der von Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelösten Energiewende hat das Land Niedersachsen nun aber den Denkmalschutz neu geregelt und „geringfügige“ Eingriffe sowie solche, die rückgängig gemacht werden können, gestattet. Darunter fällt ausdrücklich auch Photovoltaik. „Es gibt nun deutlich mehr Anfragen und konkrete Vorhaben“, sagt der kirchliche Umweltbeauftragte. „Und auch in den kirchlichen Ämtern für Bau- und Kunstpflege setzt ein regelrechter Kulturwandel ein.“

Vorsitzender des Kirchenvorstands Patrick Bakker

Denkmalschutz war in Seckenhausen nie ein Problem - das 1968 eingeweihte Kirchgebäude ist noch vergleichsweise jung. Und auch die 2005 installierte Solaranlage hat sich gut gehalten, selbst wenn ein paar Module durchgebrannt sind und der blaue Dachteppich so weiße Flecken bekommen hat. Die Photovoltaik-Kasse hat über die Jahre manches ermöglicht, neue Fenster etwa, ein Sonnensegel über der Terrasse und Aktivitäten für Jugendliche. Nun stellt sich die Frage, wie es weitergeht: Weiter einspeisen zur geringeren Vergütung? Oder den Strom künftig zur energetischen Eigenständigkeit nutzen? „Wir könnten auch die Heizung elektrisch betreiben“, sagt Kirchenvorsteher Lammers und zieht die Stirn in Falten. Noch fehle eine fundierte Expertenmeinung, sagt der landwirtschaftliche Auditor.
Eine ganz andere Nutzungsoption für den überschüssigen Strom sieht Pastor Heinemeyer: „Warum stellen wir nicht überall im Ort Ladestationen für Elektroautos auf? Dann könnte man nicht nur im Gottesdienst auftanken, sondern auch beim Einkaufen himmlischen Strom anzapfen“.

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen
Pastor Marc Heinemeyer

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