In den schlimmsten Situationen zur Stelle
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Polizisten sind harte Kerle in Uniform – so werden die Beamten jedenfalls von den meisten Menschen wahrgenommen. Aber es gibt auch Situationen, die die stärksten Männer und Frauen an ihre Grenzen bringen: lebensbedrohliche Einsatzlagen, Taten, bei denen viel Blut fließt, schwere Verkehrsunfälle oder die Überbringung einer Todesnachricht. In solchen Fällen ist seelsorgerische Unterstützung gefragt. Wir haben mit Polizeiseelsorger Torsten Ernst gesprochen.
Herr Ernst, Sie sind Pastor und seit mehr als 20 Jahren in der seelsorgerischen Arbeit tätig. Erst im Krankenhaus, Anfang November vergangenen Jahres sind Sie die Stelle des Polizeiseelsorgers in Niedersachsen angetreten. Was hat Sie in den ersten Monaten besonders bewegt?
Ernst: Der Mordanschlag in Kusel in der Pfalz hat bundesweit Betroffenheit ausgelöst, nicht nur unter den Polizeikollegen. Klar, dass Einsatzbeamte diese Bilder auch Wochen danach noch im Kopf haben und erkennen, dass sie sich scheinbar mir einer ganz neuen Qualität von Gewalt auseinandersetzen müssen. Gemeinsam mit meinem katholischen Kollegen habe ich deshalb einen Brief mit erklärenden, auch tröstenden Worten an die Dienststellen geschickt. Gleichzeitig haben wir die Polizisten wissen lassen, dass wir für sie da sind, wenn Gesprächsbedarf besteht.
Wie gehen Sie damit um, wenn Kollegen um ein Gespräch bitten, weil sie vielleicht von der Schusswaffe Gebrauch machen mussten?
Ernst: Seelsorge bedeutet vor allen Dingen zuhören. Manchmal folgen Worte des Trostes oder ich nehme den Gesprächspartner schon mal in den Arm. Ich möchte einfach da sein. Grundsätzlich ist es so, dass ein Polizeibeamter nach einem Tötungsdelikt ja in der Strafverfolgung steht. Es wird ein Disziplinarverfahren eröffnet, obwohl er den Auftrag hat, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen erfolglos angewandt wurden oder keinen Erfolg versprechen.
Weil für uns die seelsorgerische Schweigepflicht, das Beichtgeheimnis, gilt, kann ich in unseren Gesprächen einen besonderen Schutzraum bieten. Alle Gespräche sind vertraulich. Das ist vor allem dann von wichtiger Bedeutung, wenn die Ahnung im Raum steht, eine Straftat begangen zu haben. Sie wird bei uns oftmals das erste Mal ausgesprochen.
Sie arbeiten in einem System, in das die meisten Menschen keinen Einblick haben. Wie sieht der Alltag eines Polizeiseelsorgers aus? Sind Sie auch bei Einsatzfahrten dabei, um zu sehen, wie die Beamten arbeiten oder ihnen vor Ort beizustehen?
Ernst: Die Pandemie war der Grund, warum ich nach Amtsantritt zunächst viel Zeit am Schreibtisch verbracht habe. So langsam habe ich aber Kontakte mit Dienstgruppen und Einsatzstellen aufgenommen. Gleichzeitig fahre ich durch ganz Niedersachsen und lerne Beamten auf Fortbildungsmaßnahmen kennen. Kürzlich habe ich beispielsweise über den ethischen Umgang mit Schusswaffen gesprochen und bin darüber mit Polizisten und Polizistinnen ins Gespräch gekommen. Vorgesehen ist auch die Begleitung bei Einsätzen, etwa auf Demonstrationen oder SEK-Einsätzen.
Kommen die Polizisten nur in beruflichen Krisen oder sprechen Sie auch über private Themen? Und gibt es eigentlich auch Situationen, in denen Sie Ratsuchende an Therapeuten oder Mediziner weitervermitteln?
Ernst: Immer wieder kommt es vor, dass Polizeibeamte nicht unbedingt mit beruflichen, sondern mit privaten Anliegen zu uns kommen. Das mag an dem Arbeitsumfeld liegen, das – bei einer Frauenquote von gerade einmal 25 Prozent – doch eher von männlichem Denken geprägt ist. Und ein Indianer kennt keinen Schmerz. Aber hier findet gerade ein Veränderungsprozess statt.
Die Kunst der Seelsorge ist aber, zu erkennen, wo die eigenen Grenzen sind und eine therapeutische Begleitung nötig ist. Dann mache ich mich, wenn es der Klient wünscht, gern gemeinsam mit ihm auf die Suche nach Therapeuten.
Welche Rolle spielt der Glaube derjenigen, die Seelsorge suchen?
Ernst: Unseren Klienten ist wohl bewusst, dass ich Pastor bin. Aber ich bin in meiner Tätigkeit zunächst einmal Seelsorger und kein Missionar. Wenn aber während des Gesprächs Glaubensfragen aufkommen, rede ich mit den Menschen gern darüber.
Kommt ein Seelsorger eigentlich auch an seine Grenzen – und wer ist dann für Sie da?
Ernst: Damit das möglichst nicht passiert, gibt es Supervision und natürlich auch für einen Seelsorger seelsorgerische Begleitung. Beides findet in einem Rahmen statt, in dem die Vertraulichkeit aus den Gesprächsbeziehungen gewahrt bleibt.
Sie sind auch für die Mitarbeiter des Zolls da. Was hat man denn am Flughafen auszustehen?
Ernst: Die Probleme beim Zoll sind die gleichen wie bei der Polizei. Auf der Suche nach Schwarzarbeitern oder geschmuggelten Waren geraten die Beamten schnell in gewalttätige Situationen, die man aus dem Polizeivollzugsdienst kennt. Eine besonders intensive Begegnung mit den Mitarbeitern einer Zolldienststelle hatte ich, als eine Mitarbeiterin auf dem Weg außerhalb des Dienstes tödlich verunglückte. So ein unerwarteter Abschied mitten aus dem Leben stellt für das Kollegium alles auf den Kopf. In meiner Funktion als Pastor habe ich eine kleine Trauerfeier organisiert und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben sich in diesem Rahmen mit Blumen und Worten von der Kollegin verabschiedet. Da gab es dann auch einige Menschen, die noch Redebedarf hatten. Und für die war ich natürlich da.