Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Oktober 2022

Ich kann’s (nicht mehr) hören!

Medientag der Landeskirche Hannovers

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Der Krieg in der Ukraine überschattet Europa, die Energiekrise schürt existenzielle Ängste. Der Dürresommer führte zu Ernteausfällen und Unterbrechungen wichtiger Lieferketten. Und als wäre das noch nicht genug, begleitet uns das Corona-Virus mit einer kaum noch erträglichen Ausdauer. Doch wie lassen sich in diesem andauernden Spannungsfeld aus schlechten Nachrichten auch noch gute Geschichten erzählen? Diese Frage stellte der Medientag der Landeskirche Hannovers am 10. Oktober 2022 und diskutierte mit Experten aus der Wirtschaft, den Medien, der Kirche und Diakonischen Katastrophenhilfe in der Lutherkirche in Hannover konkrete Handlungsmöglichkeiten.

Über 100 Teilnehmer*innen waren digital beim Medientag 2022 dabei. Bild: Lilian Gutowski
Über 100 Teilnehmer*innen waren digital beim Medientag 2022 dabei. Bild: Lilian Gutowski

Mehr als 100 Menschen besuchten den Medientag der Landeskirche Hannovers und schalteten sich digital vom Harz bis ans Meer zur Veranstaltung hinzu. Und obwohl sich draußen der Oktober von seiner schönsten Seite zeigte, hätte es am Morgen dieses 10. Oktober 2022 nicht düsterer kommen können. Denn kaum hatte mancher die Augen aufgeschlagen, prasselten schon die ersten schlechten Nachrichten übers Handy oder Radio ins Bewusstsein. Weite Teile der Ukraine standen unter Beschuss, russische Raketen bombardierten Kiew, Gebäude wurden zerstört, Menschen getötet – und das sollte erst der Anfang sein, ließ Russlands Machthaber Wladimir Putin verkünden. Als wäre das noch nicht genug, ließen die steigenden Corona-Inzidenzen keinen Zweifel daran, dass dieser Winter auch nach 3 Jahren Pandemie scheinbar nur noch schlechte Nachrichten für uns bereithält. Dass mancher sich angesichts dieser Flut von Negativmeldungen nur noch die Decke über den Kopf ziehen möchte, verwundert nicht. 

Auch für Markus Hauke, Leiter der Unternehmenskommunikation der hannoverschen Stadtwerke Enercity gehören ungute Nachrichten seit dem Februar 2022 zu seinem Alltag: Mit dem Krieg in der Ukraine haben sich auch die Energiepreise für Unternehmen und private Haushalte drastisch erhöht – auf über 70% allein bei dem hannoverschen Energieversorger. Entsprechend läuft seit Wochen die Kundenhotline von Enercity heiß. 

„Umso wichtiger ist es, gerade jetzt auch die guten Botschaften zurück ins Bewusstsein zu holen“, sagte Hauke beim Medientag. „Zum Beispiel, dass die Gasspeicher gefüllt sind und wir trotz der Krise unvermindert am Klimaschutz festhalten.“ Innerhalb von 20 Jahren wolle Enercity so ganz von den fossilen Brennstoffen wegkommen und das Fernwärmenetz mit einer Investition von 1 Milliarde Euro klimafreundlich ausbauen. Damit sich Menschen aktuell die gestiegenen Energiekosten aber auch leisten können, erinnerte der Leiter der Unternehmenskommunikation an einen Härtefallfonds, den Enercity bereits vor elf Jahren ins Leben rief, der aber nur selten genutzt wird: „Dieser kümmert sich um Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.“ Anfang des Jahres wurde das Budget für den Hilfsfonds verzehnfacht. Insbesondere über die Jobcenter versucht Enercity daher aktuell die Menschen zu erreichen, die finanziell am Limit angekommen sind, und sie zu ermutigen, den Härtefallfonds auch in Anspruch zu nehmen. „Solche guten Botschaften muss man auch immer wieder wiederholen“, betonte Hauke und wünschte sich bei dieser zentralen Aufgabe auch eine Unterstützung der Medien. „Es wäre gut, wenn sie daran appellieren, dass man in den aktuellen Zeiten auch zusammensteht und eine positivere Stimmung vermitteln.“

"Wir halten am Klimaschutz fest, trotz Energiekrise" sagte Markus Hauke, Leiter der Unternehmenskommunikation der hannoverschen Stadtwerke Enercity. Bild: Lilian Gutowski

Für Julia Gerlach, Journalistin und Initiatorin des Flüchtlingsprojekts AMAL und Khalid Alaboud, Journalist und Gründungsmitglied von AMAL, gehören die guten Nachrichten dagegen mit zu ihrem Alltag. Von Montag bis Freitag informiert das Projekt auf Arabisch, Ukrainisch und Dari/Farsi darüber, was in der Stadt los ist. Das Wichtigste vom Tage wird ergänzt durch Reportagen, Interviews und Kommentare. Journalisten und Journalistinnen aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine, Ägypten und Iran betreiben die mobile Nachrichtenplattform als eine lokale Tageszeitung für das Smartphone. „Natürlich berichten wir nicht nur über Gutes, sondern über alles, was in der Ukraine, in Afghanistan oder im Irak passiert. Die Menschen brauchen eine gediegene Berichterstattung“, erklärte Julia Gerlach. Schlechte Nachrichten „unter den Teppich zu kehren“ kommt für die Medienmacher daher nicht in Betracht. „Es ist schließlich auch ein Menschenrecht, sich informieren zu können“, betont ihr Kollege Khalid Alaboud, „und in den deutschen Medien gehen viele Neuigkeiten auch unter“. Aber man dürfe Menschen auch nicht mit schlechten Nachrichten erschlagen. Daher seien auch immer 1-2 positive Geschichten in der täglichen Berichterstattung. Menschen, die erfolgreich eine Arztpraxis eröffnet oder einen Ausbildungsplatz gefunden haben. Diese Geschichten seien unter der Leserschaft gerade aktuell besonders beliebt, sagt Julia Gerlach. Denn wie sich ein Blackout anfühlt, hat mancher Flüchtling bereits in seinem Heimatland miterlebt und verfolgt die Energiekrise in Deutschland umso nervöser.

Krisen klar zu benennen, war auch für Dr. Ina Rust, Soziologin und Mitglied in unterschiedlichen Klimaschutzinitiativen unerlässlich. „Doch es muss immer auch eine positive Botschaft geben und kleine Zwischenziele, die erreicht werden können“, ergänzte sie klar. „Wir vermitteln daher, was wir einerseits alles unternehmen, um den Klimawandel aufzuhalten und andererseits, welche Folgen es hätte, wenn es uns nicht gelingt. Wir zeigen aber auch, dass dieses Engagement auch in kleinen Schritten gelingen und Spaß machen kann.“ Wer beispielsweise eine PV-Anlage auf dem Dach installiere, könne den Erfolg jederzeit digital nachverfolgen und mit dem Handy steuern. Welche Wucht gemeinsames Engagement entfalten kann, erlebte die Aktivisten schließlich 2021. „Damals starteten wir mit zahlreichen Partnern das Bürgerbegehren ‚Hannover Erneuerbar‘“, erinnerte sich Rust. Fridays for Future, Greenpeace, die Gewerkschaften – alle gingen sie damals zusammen auf die Straße, um einen schnellen Ausstieg aus der fossilen Strom- und Wärmeerzeugung in Hannover zu bewirken. Mit durchschlagendem Erfolg: Am 15. Juli 2021 beschlossen der Rat der Landeshauptstadt Hannover und die enercity AG die Forderungen der Aktivisten und Aktivistinnen anzunehmen und unterzeichneten unter ungewöhnlich großem Medienecho die Vereinbarung zur Wärmewende im Rathaus in Hannover. Eine gute Nachricht, die Hoffnung schenkte.

Petra-Angela Ahrens, Wissenschaftliche Referentin für Kirchensoziologie am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD im Gespräch. Bild: Lilian Gutowski

Aber nicht nur Medien und soziale Initiativen erleben angesichts der Krisen stärkere Herausforderungen, sondern auch die Kirche. Denn neben den Sorgen wegen der steigenden Energiekosten und dem Ukraine-Krieg durchleben viele Menschen Lebenskrisen, die weit über die Probleme hinausgehen. Menschen mit der „guten Botschaft“ von Kirche zu erreichen und zu unterstützen, wird allerdings zunehmend schwer, wie Oberkirchenrätin Petra-Angela Ahrens, Wissenschaftliche Referentin für Kirchensoziologie am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, verdeutlichte. Denn die Austrittszahlen der vergangenen Jahre offenbarten einen Bedeutungsverlust von Kirche in der Gesellschaft. Vor allem bei jungen Menschen sei diese Entwicklung zu bemerken, so Ahrens: „Die Austrittsstudie unseres Sozialwissenschaftlichen Instituts hat dabei gezeigt, dass die religiöse Sozialisation durch die Familie zunehmend fehlt. Das verstärkt den Prozess. Die Kirche ist für sie wie die Mitgliedschaft in einem Fitness-Studio. Man zahlt und geht nicht hin.“ Der Schritt bis zum Austritt ist entsprechend klein.

Mit Hilfe zweier neuer Projekte könnte diese Entwicklung vielleicht noch aufgehalten werden: layout-e und der Zukunftsprozess 2030. Während layout-e die Gemeindebrief-Produktion für Ehrenamtliche attraktiver und einfacher macht und auf frische Designs und eine stärkere redaktionelle Vernetzung mit lokalen Stadtpartnern setzt, fragt der Zukunftsprozess 2030 Menschen konkret, wie Kirche sich verändern soll und lädt dazu ein, Kirche neu zu gestalten. Engagiert stellten Johanna Hucke und Konstanze Wolters vom Team Zukunftsprozess die neue digitale Beteiligungsplattform vor, die am 1. November 2022 den Zukunftsprozess online einläutet. Maike Niebergall von der Evangelischen Medienarbeit (EMA) gab ergänzend Einblicke in das Web-Tool layout-e.

Layout Online - Maike Niebergall, Referentin in der Evangelischenmedienarbeit stellte das Gemeindebrief-Tool layout-e vor.

Auf eine ungewöhnliche Mischung aus Comedy und Infotainment setzen dagegen Sabrina-Seal und Sina-Sosniak vom Social-Media Team der Landeskirche Braunschweig. In einem Reel auf dem Kirchen-Kanal "Evangelische Perspektiven" ließen sie Vikar Morten Hennebichler in humorvoller Weise das Geheimnis lüften, was ein Pastor eigentlich unter seinem Talar trägt. Vom Norwegerpulli bis zur Badeshorts präsentierte Hennebichler seine pastorale Modenschau. Mehr als 200 neue Follower konnte das Social Media Team mit dem viralen Hit gewinnen und tüftelt bereits an neuen Ideen. „Es braucht diese Ansprache über Social Media“, sind sich Seal und Sosniak sicher. „Und gerade Menschen im Dauerkrisenmodus sind für solche witzigen Geschichten empfänglich.“

Und was tun, wenn das Leben zu ernst ist? Weil Umweltkatastrophen, soziale Ungerechtigkeiten oder politische Spannungen alles dominieren und einfach keinen Platz lassen für Leichtigkeit? Wir sind die erste Generation, die solche Katastrophen auch fortwährend erlebt“, hielt Landesbischof Ralf Meister fest. „Wir schauen ins Netz und sehen in diesem Augenblick, was am anderen der Welt Schreckliches passiert ist. Das gab es zuvor nicht. Es ist eine gut, wenn dann Menschen kommen, um zu helfen, zu handeln. Sei es, dass man in diesem Moment den Schmerz eines Menschen lindert oder eine Wunde lindert.“ So wie Vera Voss von der Diakonie Katastrophenhilfe und Leiterin des Büros in Amman, Jordanien. Wenn es Katastrophen gibt, ist es für sie dann „umso wichtiger, dass man hinschaut, Menschen für die Probleme sensibilisiert – und hilft“, sagte sie beim evangelischen Medientag. „Wir spüren auch eine große Hilfsbereitschaft in der Ukrainekrise. Es gibt aber auch viele akute Situationen, die kaum in den Medien vorkommen. Das ist problematisch, weil dadurch wichtige Spenden ausbleiben und wir manche Projekte schließlich nicht mehr fortführen können.“ 

Alle Probleme zu benennen, schien zwar auch für sie unmöglich. Eine Lösung hielt sie trotzdem bereit: „Es ist wichtig, dass man Krisen auf eine Geschichte herunterbricht. Dass sie zum Beispiel durch ein kleines Mädchen in Syrien konkret erlebbar werden – genauso wie die Hilfe, die wir für das Kind leisten.“ Was Vera Voss dabei schafft, ist für sie das Positive, das sie antreibt. „Es ist das Gefühl, wenn ich merke: Ja, jetzt habe ich es geschafft. Manchmal ist es ein Antrag, der bewilligt wurde. Oder ein gutes Gespräch mit Partnern. Menschen helfen zu können – das ist eine so große Bereicherung, selbst wenn ich Wochen unter extremer Belastung stehe.“ Für Landesbischof Ralf Meister war das Gute am Ende des Medientags da manchmal auch nur noch einen Atemzug entfernt. „Ein guter Tag ist für mich ein Tag wie heute – wenn ich jemanden wie Frau Voss begegne. Denn mein Morgengebet gibt mir nicht bis zum Abend die Energie, ein glücklicher Mensch zu sein. Es sind ja oft Fürbitten, dass diese Welt besser wird. Sie wird aber erst besser, wenn ich Menschen begegne, die handeln. Sie spenden mir, mit dem, was sie tun, Hoffnung.“

Lilian Gutowski
Landesbischof Ralf Meister sprach mit Vera Voss (Diakonie Katastrophenhilfe), Leiterin des Büros in Amman, Jordanien der über konkrete Hilfen vor Ort. Bild: Lilian Gutowski

Im Interview: Markus Hauke, Julia Gerlach, Khalid Alaboud, Ina Rust.

Für Markus Hauke, Leiter der Unternehmenskommunikation der hannoverschen Stadtwerke Enercity gehören ungute Nachrichten seit dem Februar 2022 zu seinem Alltag.

Für Julia Gerlach, Journalistin und Initiatorin des Flüchtlingsprojekts AMAL und Khalid Alaboud, Journalist und Gründungsmitglied von AMAL, gehören die guten Nachrichten mit zu ihrem Alltag.

Krisen klar zu benennen,  ist für Dr. Ina Rust, Soziologin und Mitglied in unterschiedlichen Klimaschutzinitiativen unerlässlich.

Links zum Weiterlesen

Während des Medientags wurden einige Themen angesprochen, über die es noch so viel mehr zu sagen gäbe. Unter folgenden Links können sie die Themen vertiefen.

Zukunftsprozess der Landeskirche Hannovers

Das Team vom Zukunftsprozess stellte beim Medientag die Beteiligungsplattform vor. Über die Mailadresse zukunftsprozess@evlka.de kann ein Passwort für die Website angefordert werden.