Startseite Archiv Tagesthema vom 23. September 2022

"Es müssen viele Sachen anders werden"

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Junge Christen fordern mehr Klimaschutz - auch in ihren Kirchen

Matthew von Fintel will den ganz großen Wurf. Der 18-Jährige aus Wilhelmshaven spielt mit Begeisterung Frisbee, er hat sogar gerade an den deutschen Meisterschaften teilgenommen. Aber viel mehr noch als das Sportgerät bewegt den Schüler der Klimaschutz. Da kann der Sohn einer Pastorin und eines Lehrers richtig wütend werden. „Bei uns in Wilhelmshaven sind die Radwege schrecklich, Autos haben immer Vorrang“, sagt er. „Da wird überhaupt nicht genug für das Klima getan.“

Beim bundesweiten Klimastreik, zu dem das Bündnis „Fridays for Future“ an diesem Freitag wieder aufruft, wird Matthew deshalb mitlaufen. Der Abiturient hat den ersten Streik in Wilhelmshaven 2019 mit organisiert. Und er sieht gerade die Kirchen in der Pflicht: „Als großer Arbeitgeber, mit vielen Gebäuden und finanziellen Möglichkeiten, müssen sie nachhaltig handeln - egal ob es um Heizungen geht oder um Geldanlagen.“ Gleichzeitig, findet von Fintel, sollten Pastorinnen und Pastoren die Botschaft vom Klimaschutz auch in den Gemeinden verbreiten: „Die Bewahrung der Schöpfung muss doch Teil der christlichen Kernbotschaft sein!“

Dass gerade jetzt - angesichts von Ukrainekrieg und Energiepreiskrise - junge Menschen für radikalen Klimaschutz demonstrieren, passt für Hannovers Landesbischof Ralf Meister durchaus zusammen: „Viele junge Menschen halten beharrlich an ihrer beständigen Forderung nach einem Systemwandel fest. Wir müssen ihnen folgen“, sagt der evangelische Bischof. Schließlich habe die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen maßgeblich in diese Krisensituation geführt. Klima-Demos seien „der Protest, der sich diesen globalen Blick bewahrt hat und die enge Verwobenheit der Krisenfaktoren benennt“.

Der 18-jaehrige Matthew von Fintel engagiert sich in Wilhelmshaven im Jugendparlament und in der Kirchengemeinde .Foto: epd-Bild/Matthew von Fintel

Der Journalist Franz Alt würde noch weiter gehen - er will mehr konkrete Taten von den Kirchen sehen. „Sie könnten überall Solaranlagen installieren, gewissermaßen Energie von ganz oben, aus dem Himmel“, sagte Alt kürzlich in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Kirchen haben immer noch eine Vorbildfunktion, die sollten sie besser ausfüllen.“ Ein Ansatzpunkt könnte die energetische Modernisierung von abertausenden kirchlichen Gebäuden sein.

Wie solche Maßnahmen in der Landeskirche Braunschweig aussehen könnten, ermittelt Jan Christoph Freye seit einigen Monaten. Der Klimaschutzmanager lässt für ein Gesamtkonzept, das auch Mobilität und Beschaffung umfasst, aktuell die Bilanz von Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen in den 299 Gemeinden der Landeskirche berechnen. „Es zeichnet sich schon ab, dass Wärmegewinnung aus Gas etwa 75 Prozent der Emissionen im Gebäudebereich ausmacht“, sagt Freye. In einigen Kirchengemeinden seien erschreckend hohe Verbrauchswerte festgestellt worden. In den letzten Wochen kämen aber immer mehr konkrete Anfragen, wie der Umstieg etwa auf klimafreundlichere Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen organisiert werden könnte.

Auch die anderen Kirchen in Niedersachsen arbeiten an der Frage, wie sich angesichts großer, zumeist älterer und in vielen Fällen nur bedingt sanierbarer Gebäudebestände Heizkosten und Emissionen reduzieren lassen. Werner Lemke etwa, der Baudirektor der hannoverschen Landeskirche, ist für rund 8.000 Gebäude in 1.230 Kirchengemeinden zuständig. Mit Blick auf das enorme Raumvolumen gerade von Kirchen rät der Diplom-Ingenieur etwa zu einer Beheizung der Bänke, anstatt die Raumtemperatur insgesamt hochzufahren. Auch beheizte Sitzkissen, eine Fußbodenheizung direkt unter den Bänken oder die Verlegung winterlicher Gottesdienste ins Gemeindehaus sieht Lemke als wirksame Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu drosseln.

Dass Klimaschutz nicht nur eine Frage oft kostspieliger baulicher Maßnahmen ist, sondern vor allem Summe vieler kleiner alltäglicher Entscheidungen, betont Michaela Grön. Die studierte Kulturwissenschaftlerin leitet im Kirchenkreis Hildesheim das Projekt „Lernen, eine Welt zu sein“. Es begleitet Kitas, Kirchengemeinden und andere kirchliche Akteure dabei, nachhaltiger zu wirtschaften.

Gemeinden kaufen nun Lastenräder, das Essen bei der Kirchenkreissynode ist inzwischen vegetarisch. Kitagruppen bepflanzen Hochbeete und ernten Kräuter und Gemüse. „Das sind kleine und hilfreiche Beiträge zur Bewahrung der Schöpfung“, freut sich Grön. „Aber es dürften noch viel mehr sein.“

Insgesamt habe Kirche gute Konzepte, aber es hapere oft an der Umsetzung. „Wir müssen den Graben zwischen Wissen und Handeln langsam überwinden“, sagt die Projektleiterin. Wichtig sei aber auch, den Blick über den Kirchturm hinaus zu wagen: „Es ist gut, sich mit anderen zu vernetzen. Wir haben in Hildesheim inzwischen ein Netzwerk mit rund 50 regionalen Akteuren aufgebaut.“

Wenn sich alle einig sind, wird Matthew von Fintel schon wieder skeptisch: „Ich finde es wichtig und gut, dass die Klimabewegung mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“ Aber die Politik und auch die Kirchen täten nochnicht genug, sagt der 18-Jährige. „Ich lese doch Nachrichten und kriege mit, was schiefläuft. Es kommt jetzt vielleicht etwas voran. Aber es müssen auch echt noch viele Sachen anders werden.“

Alexander Nortrup (epd)
Die Kulturwissenschaftlerin Michaela Groen leitet das Projekt „Lernen, eine Welt zu sein“ im Kirchenkreis Hildesheim. Foto: epd-Bild/Wiebke Barth

Globaler Klimastreik

Die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ hat für Freitag erneut zu einem „globalen Klimastreik“ aufgerufen. Am 23. September seien allein in Deutschland mehr als 150 Demonstrationen und Kundgebungen geplant, teilte die Organisation mit. In den Bundesländern Niedersachsen und Bremen wollen Klimaschützer in rund 20 Orten auf die Straße gehen, darunter in Hannover, Bremen, Braunschweig, Oldenburg, Osnabrück und Göttingen.

„Klimakatastrophen wie Überschwemmungen, Trockenheit und Hitzewellen werden immer häufiger und verursachen besonders im globalen Süden unvorstellbares Leid“, heißt es im Aufruf zum Klimastreik. Gleichzeitig machten Entscheidungsträger wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „nicht mehr bloß schlechten Klimaschutz, sondern massive Rückschritte durch den Wiedereinstieg in fossile Energien“.

Konkret verlangt „Fridays for Future“ von der Bundesregierung unter anderem die Aufstellung eines Sondervermögens für Klima und Sicherheit. Im Rahmen der aktuellen Haushaltsverhandlungen sollten 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden, um den radikalen Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern zu beschleunigen: „Klimakrise, Energiekrise, steigende Armut - Ursprung der Krisen sind fossile Energien und der fehlende politische Wille einer schnellen, gerechten Energiewende.“

Die Finanzierung des Sondervermögens und der Ausstieg aus den Krisenspiralen ließen sich nicht mit der Einhaltung der Schuldenbremse 2023 vereinbaren, zu groß sei der Investitionsdruck. Auch Übergewinnen müssten dafür eingesetzt werden. „Gerade als junge Generation fordern wir heute die Aufnahme von Schulden, um durch echte Krisenprävention eine Chance zu haben in sicheren Verhältnissen älter zu werden“, erklärte „Fridays for Future“.

epd
Auf einer Kundgebung sitzen Mitglieder der „Fridays for Future“-Bewegung vor der Christuskirche in Hannover und demonstrieren für mehr Klimaschutz. Foto/epd-Bild: Nancy Heusel