Das Weite suchen
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Jona und der Wal. Das kennt fast jedes Kind.
Jona ist aber nicht nur der mit dem Wal, er ist auch der Prophet, der das Weite sucht. Als Gott ihm den Auftrag gibt, nach Ninive zu gehen, macht Jona sich aus dem Staub. Rennt zum Hafen, steigt auf ein Schiff. Nur weg von hier, von Gott und seinem Auftrag. Jona sucht das Weite – und Gott hält an ihm fest.
Das Weite suchen. Abtauchen, nicht Augen zu und durch, sondern am liebsten so wie Jona Augen zu und alles verschlafen. Hoffen, dass es vorbeigeht: Der Streit oder die Durststrecke, die lähmende Einsamkeit oder Überforderung. Aber das Weite ist selten weit genug: Jona sucht das Weite in der Tiefe des Meeres und lässt sich lieber ins brausende Meer werfen als den Auftrag anzunehmen. Aber Gott hält an ihm fest.
Ausgerechnet in der tiefsten Tiefe des Meeres, im stinkenden, finsteren, lärmenden Bauch des Wals fängt Jona an hinzuhören. Im Ringen mit sich selbst und Gott öffnet sich ein neuer Weg und Jona schlägt eine andere Richtung ein. Gott ist dabei.
Also: Alles auf Anfang. Der Fisch spuckt Jona an Land. Noch mal der Auftrag: Geh nach Ninive. Gott bleibt an Jona dran. Diesmal geht Jona los.
Ich kann mir das vorstellen: dieses Gefühl, vom Wal ausgekotzt zu sein. Nass und dreckig im Sand zu liegen. Wenn ich das Weite gesucht und nicht gefunden habe.
Weil das Weite selten weit genug ist. Ans Land, ins Leben gespuckt, muss ich mich aufrütteln, den Sand von den Kleidern schütteln und wieder losgehen. So ausgespuckt am Strand muss ich mich erstmal neu orientieren. Langsam einen Schritt vor den nächsten setzen. Es ist nicht alles anders und wunderbar. Ich bin ja auch nicht neu. Aber ich drehe mich um und schlage eine andere Richtung ein. Hinkend, humpelnd, manchmal zögerlich. Suche nicht das Weite, sondern finde neue Nähe: Im Hinhören und hinsehen – auf andere, auf Gott und mich selber.
Gott bleibt dran an Jona, später auch an Ninive. Und ich vertraue darauf: Gott bleibt auch an mir dran. Geht mir hinterher, wenn ich das Weite suche und in die falsche Richtung renne. Lässt mich nicht los, wenn ich in die Tiefe stürze. Gott bleibt dran an mir und all den anderen, mit denen er auf dem Weg war und ist und von denen fast nie einer den direkten Weg genommen haben. Gott hält uns fest – auch in der weitesten und tiefsten Weite. Gott sei Dank!
Amen.
Dr. Dorothea Noordveld-Lorenz