Zwischen Flamingos und Kängurus die Bibel erzählen
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Das Flusspferd döst unter der Wasseroberfläche - und keine zwei Meter daneben, in einer Biegung des Spazierpfades durch den Zoo Hannover, steht Dorothee Rottwilm und kämpft mit den Elementen. Nicht nur, weil vor der Erzählerin eine Gruppe Kitakinder sitzt, die angesichts des aufziehenden Regens und der ersten Tropfen bang in den Himmel starrt. Sondern auch, weil Rottwilm zugleich unbedingt den Spannungsbogen ihrer biblischen Erzählung von Gottes schützender Hand über Mose und Miriam aufrechterhalten will. Dass ihr dies gelingt, zeigen nicht nur die gebannten Blicke der Kinder, sondern auch die anderen Zoobesucher, die der Erzählerin lauschen und anschließend applaudieren.
Szenen wie diese spielten sich am Dienstag und Mittwoch vielfach im Zoo Hannover ab - denn mehr als 220 Kita-Kinder aus Hannover und der Region entdeckten dort biblische Geschichten umgeben von Flamingos, Schafen und Kängurus. Auf den Spuren von Salomo, Miriam und Daniel lauschten sie acht Erzählerinnen und Erzählern, die vor Gehegen und Ställen göttliche Geschichten in die Gegenwart holten.
"Von Nestern, Höhlen und Ställen", eine Kooperation von Hannoverscher Bibelgesellschaft, der Evangelischen Familienbildungsstätte und dem Stadtkirchenverband, hatte 2018 und 2019 auf ähnliche Weise stattgefunden, dann grätschte Corona dazwischen. Mit Videos und Mitmachaktionen wurde die Grundidee - die Begegnung von Kind, Tier und Bibelgeschichten - ins Digitale überführt. Aber dass es nun wieder zwei ganze Tage in Präsenz und bei sommerlichen Temperaturen geben konnte, freute alle Beteiligten spürbar. "Wir wollen die Kinder in der Übergangsphase zur Schule spirituell stärken", sagt Mitorganisatorin Constanze Gäthje, Diakonin in der Evangelischen Familienbildungsstätte Hannover. "Durch die intensiv erlebten Geschichten erfahren sie ganz persönlich: Ich bin aufgehoben und wertvoll."
Auch 15 Vorschulkinder aus der kirchlichen St.-Johannis-Kita in Bemerode waren mit dabei. "Für manche Kinder hat wegen der Pandemie fast die gesamte Kindergartenzeit ohne Aktivitäten wie heute hier im Zoo stattgefunden", sagt Erzieherin Nadine Gawrisch. "Ich denke schon, dass die eine solche Zeit ganz gut wegstecken. Aber es ist auch wirklich schön, dass es nun wieder eine solche Veranstaltung geben kann."
Gemeinsam mit allen anderen Gruppen hocken die Bemeroder Kinder zu Beginn ungeduldig in der Scheune bei Meyers Bauernhof, wo Musiker und Diakon Holger Kiesé sie mit thematischen Mitmach-Songs begrüßt: "Tiere, Blumen, Tag und Nacht - auch Dich hat Gott gemacht". Nach diesem fröhlichen Startruf beginnt der große Rundlauf durch den Erlebnis-Zoo. Auch in der Bemeroder Kita nimmt das Präsenzprogramm wieder Fahrt auf: Der Zoo-Tag ist ein erstes Highlight. Bald finden dann Kinderbibelwochen statt, es wird unter anderem um Taufe und Freundschaft gehen. Auf dem Weg zur ersten Erzählstation im Zoo müssen aber ganz andere Fragen geklärt werden: Wo sind überhaupt die Elefanten? Und wer muss nochmal aufs Klo?
Die erste Station für die Wal-Gruppe hat Hannelore Hübner auf einer kleinen Anhöhe gegenüber der Robbenanlage im kanadisch anmutenden Yukon-Bay-Stadion aufgebaut. Auf einer grauen Decke nehmen die 15 Vorschulkinder Platz und blicken gespannt auf die 74-jährige pensionierte Lehrerin aus Barsinghausen, die auf einer kleinen Bank vor ihnen sitzt. Sie erzählt die biblische Geschichte von Jona und dem großen Fisch, der ihn verschluckt, direkt neben einem stilisierten Hafenbecken, in dem Robben schwimmen und ein Seelöwe müde auf einem Felsen in der Sonne liegt. Viel passender könnte die Szenerie kaum sein. "Wisst ihr, was ein Prophet ist?", fragt Hübner, die nach ihrem Ruhestand das Erzählen entdeckt und erlernt hat. "Nö", antwortet ihr der sechsjährige Jonte mit entwaffnender Ehrlichkeit. Ein Seebär grunzt im nahen Becken.
Christiane Neukirch sitzt neben der Erzählerin und muss spontan lachen. Die Pastorin übersetzt mit großen Gesten und eindrucksvoller Mimik das Erzählte in Gebärdensprache. Neukirch hat kurz zuvor mit den Kindern einige der Gebärden geübt und kann sich schnell über Lernerfolge freuen: Der Sturm, das große, sich öffnende Maul, das alles gebärden die Kinder mit Begeisterung. "Ihr habt toll mitgemacht", bedankt sich Hannelore Hübner, kurz danach sind die Kinder mit ihren Begleitern schon zur nächsten Station weitergezogen.
Vor der nächsten Station wird noch einmal geklettert - und nun erzählen auch die Kinder: Jonte mag die Eisbären, kann Königspython und Kornnatter unterscheiden, auch Lynn war schon "hundertmal" im Zoo, sagt sie. Die fünfjährige Elisa faszinieren vor allem Löwen und Affen. Und der sechsjährige Kerim, der wie alle anderen im Sommer in die Schule kommt, findet die Schildkröten besonders toll.
Hinter dem Löwengehege hat Christian Laengner seine Station aufgebaut. Auch der 69-Jährige aus Hannover hat nach dem Ruhestand das Erzählen zu einem neuen Standbein gemacht. Mit viel Dynamik in Stimme und Gestik nimmt er die Kita-Kinder mit in die Welt des babylonischen Exils der Israeliten. Wie ist es bloß dazu gekommen, dass Daniel in die Löwengrube geworfen wurde? Und wie um Himmels willen kam er dort wieder lebend heraus? "Von der Nacht, in der Daniel eigentlich sterben sollte", sagt Laengner mit dramatischer Miene, "erzählen sich die Löwen bis heute. Ihr könnt ja mal beim Berberlöwen da drüben nachfragen".
Die Blicke der gebannt Zuhörenden wandern kollektiv zum prächtigen Zoobewohner. Der sonnt sich derweil einen Steinwurf entfernt auf seinem Lieblingsfelsen und lässt sich offenbar nichts anmerken. Als Laenger mit der Bibelgeschichte endet, ruft ein Kind in die Runde: "Geht es weiter mit den Geschichten?". Ein schöneres Lob, das ist dem Erzähler deutlich anzusehen, hätte er wohl nicht bekommen können.
Alexander Nortrup / EMA