Startseite Archiv Tagesthema vom 16. Mai 2022

Gemeinsam schrauben, gemeinsam schweigen

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Lisa und Maxim aus der Ukraine, Hosam aus Syrien, Maik aus Deutschland: vier Menschen, deren Schicksale sich im Garten der evangelisch-lutherischen Corvinus-Kirchengemeinde in Erichshagen (Nienburg an der Weser) kreuzen. Hier reparieren sie am Freitagnachmittag gemeinsam alte Fahrräder, um dem Wahnsinn, der draußen in der Welt passiert, etwas entgegenzusetzen.

Hosam ist 36 Jahre alt und 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen. In Damaskus war er Elektriker – gute Voraussetzungen für seine ehrenamtliche Reparaturtätigkeit. Vor gut drei Jahren vermittelte ihm Pastor Andreas Iber, der die Werkstatt leitet, ein Praktikum in einem Fahrradladen. Längst ist Hosam dort festangestellt. Zur Werkstatt kommt er trotzdem noch, wann immer es seine Zeit erlaubt.

Deutsche, Ukrainer, Syrer, Russlanddeutsche: Etwa ein Dutzend Freiwillige kommen jeden Freitagnachmittag zusammen, um gemeinsam zu schrauben. Bild: Jens Schulze

Die erst 18-jährige Lisa ist im März dieses Jahres aus Mariupol nach Nienburg gekommen. Sie hatte großes Glück, erzählt sie, denn eigentlich studiert sie Mathematik in Charkiw. Bei Ausbruch des Krieges war sie jedoch bei ihrer Familie, die nun vollzählig in Deutschland ist. In nur sieben Wochen hat die junge Frau so viel Deutsch gelernt, dass sie in der Werkstatt schon übersetzen kann. Das tut sie unter anderem für Maxim, einen Freund der Familie. Maxim ist wie Lisas Mutter Arzt. Zusammen mit Lisas Vater repariert er nun Fahrräder – „um irgendetwas zu tun, um Mariupol wenigstens kurzzeitig zu vergessen.“

Die Corvinusgemeinde in Erichshagen organisiert jeden Freitag eine Fahrrad-Werkstatt, in der geflüchtete Menschen zusammentreffen. Bild: Jens Schulze

Wenn Menschen wie Lisa und Maxim aus der Ukraine in die Region Hannover kommen, dann treffen sie womöglich auf Maik. Der 34-Jährige arbeitet für die Landesaufnahmebehörde und ist derzeit häufig am Flüchtlingsdrehkreuz in Hannover eingesetzt. In die Werkstatt kommt er, um konkrete Hilfe zu leisten – etwas, das er an seinem Arbeitsplatz aufgrund der Sprachbarriere oft nicht kann.

Zum Reparaturteam gehören weitere Frauen und Männer – Deutsche, Ukrainer, Syrer, Russlanddeutsche. Etwa ein Dutzend Freiwillige kommen jeden Freitagnachmittag her, um gemeinsam zu schrauben – und gemeinsam über das Unsagbare zu schweigen. Die Fahrräder werden privat gespendet oder von der Stadt Nienburg als Fundräder dem gemeinnützigen Zweck zugeführt. Eine halbe Stunde nach dem Reparaturteam kommen dann jeweils zwei bis drei Dutzend Menschen, die für kleines Geld ein aufgearbeitetes Fahrrad kaufen möchten unter ihnen Geflüchtete ebenso wie bedürftige deutsche Familien.

"Irgendetwas zu tun, um Mariupol wenigstens kurzzeitig zu vergessen.“

Wenn Menschen wie Lisa und Maxim aus der Ukraine in die Region Hannover kommen, dann treffen sie womöglich auf Maik. Der 34-Jährige arbeitet für die Landesaufnahmebehörde und ist derzeit häufig am Flüchtlingsdrehkreuz in Hannover eingesetzt. In die Werkstatt kommt er, um konkrete Hilfe zu leisten – etwas, das er an seinem Arbeitsplatz aufgrund der Sprachbarriere oft nicht kann.

Zum Reparaturteam gehören weitere Frauen und Männer – Deutsche, Ukrainer, Syrer, Russlanddeutsche. Etwa ein Dutzend Freiwillige kommen jeden Freitagnachmittag her, um gemeinsam zu schrauben – und gemeinsam über das Unsagbare zu schweigen. Die Fahrräder werden privat gespendet oder von der Stadt Nienburg als Fundräder dem gemeinnützigen Zweck zugeführt. Eine halbe Stunde nach dem Reparaturteam kommen dann jeweils zwei bis drei Dutzend Menschen, die für kleines Geld ein aufgearbeitetes Fahrrad kaufen möchten unter ihnen Geflüchtete ebenso wie bedürftige deutsche Familien.

Zum Reparaturteam gehören Frauen und Männer aus Deutschland, der Ukraine, Syrien, Russland. Bild. Jens Schulze

Für Pastor Andreas Iber, der das Projekt 2015 gemeinsam mit einem Team aus Ehrenamtlichen ins Leben rief, ist es immer wieder bewegend, wie sich vor allem die Geflüchteten hier engagieren. „Das sind Menschen, deren Heimat in Schutt und Asche liegt – und die jetzt hier Fahrräder reparieren.“ Generell steht für ihn der Kontakt zum Menschen im Mittelpunkt – er macht deutlich: Hier ist Kirche. „Wenn beispielsweise eine Witwe kommt und das Rad ihres verstorbenen Mannes bringt, damit es noch jemandem nützt, kommen wir natürlich ins Reden.“ Seelsorge im Blaumann nennt er das.

Juliane Moghimi
Etwa ein Dutzend Freiwillige kommen jeden Freitagnachmittag her, um gemeinsam zu schrauben – und gemeinsam über das Unsagbare zu schweigen. Bild: Jens Schulze