„Ich weiß, was diese Menschen durchmachen“
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Früher Geflüchteter, heute ihr Helfer: Anas Alturkey ist froh, dass er als Hallenmeister beim Drehkreuz auf Hannovers Messegelände etwas zurückgeben kann. Die Hölle des Krieges hat er in Syrien selbst erlebt.
Über eine Rolltreppe verlassen junge Frauen mit Kindern an der Hand den gläsernen Fußgängertunnel, der Bahnhof und Messegelände verbindet. Die mit Rucksäcken und Tragetaschen vollbepackten Ukrainer sind an einem von bundesweit drei Flüchtlings-Drehkreuzen angekommen, die der Bund seit Beginn des Ukraine-Krieges eingerichtet hat. Aus der Ferne beobachtet Flüchtlingshelfer Anas Alturkey vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) die Neuankömmlinge. „Es macht mich traurig, wenn ich diese Menschen hier sehe“, sagt der 36-Jährige, der im September 2015 seine syrische Heimat verlassen und in Deutschland bei Null anfangen musste.
Alturkey hat Deutsch gelernt, einen Integrationskurs besucht und einen Führerschein gemacht. Seit 2017 arbeitet der zugleich kräftig und gutmütig wirkende Mann als Hausmeister beim Arbeiter-Samariter-Bund in der Region Hannover, mittlerweile als Vorgesetzter: Aktuell kümmert er sich als Chef-Hallenmeister um die Unterkunfts-Logistik in den drei Messehallen, welche die niedersächsische Landesaufnahmebehörde derzeit für das Drehkreuz in Hannover nutzt.
Er und seine fünf Mitarbeiter zählen die Ankommenden, reparieren Waschmaschinen, verteilen Mahlzeiten und beschaffen alles, was nötig ist, etwa Kleidung, Hygieneartikel und zusätzliche Gepäckstücke. Alturkey betritt Halle 12 und zeigt auf die offenen Kartons im abgezäunten ASB-Zentrum neben der Eingangsschleuse. Einige Meter entfernt stehen Feldbetten in großen Zelten. „Die Leute bleiben hier ein bis zwei Nächte, bevor sie weiterreisen“, erläutert er. Mehr als 22.000 Geflüchtete sind laut Landesaufnahmebehörde bereits über das Drehkreuz nach Deutschland gekommen.
Alturkey ist froh, dass er den Ukrainern helfen kann. „Ich weiß, was diese Menschen durchmachen.“ Nachdem Teile seiner ostsyrischen Heimatstadt Deir ez-Zor 2011 von Regierungstruppen zerstört wurden, floh er nach Damaskus. Doch auch dort fiel sein Zuhause dem Krieg zum Opfer. Der junge Mann ging zurück nach Deir ez-Zor, um dort die Kaffeerösterei seiner Familie weiterzuführen. Bald darauf nahm die islamistische Terrororganisation IS, der „Islamische Staat“, die Stadt ein. Erst als er gar keinen Ausweg mehr sah, machte er sich mit seinen beiden Brüdern auf den Weg nach Deutschland.
In Aleppo hat er zwar Jura studiert und viele Jahre gutes Geld verdient. Mit seiner Hausmeister-Tätigkeit ist er dennoch zufrieden, wie er sagt. „Ich bin froh, dass ich hier sicher leben kann. Das ist wichtiger als alles andere“, betont Alturkey. Die von Flüchtlingsvertretern oft formulierte Kritik, Bund und Länder hätten mit der erleichterten Aufnahme von Ukrainern ein Zwei-Klassen-Recht für Geflüchtete geschaffen, teilt er nicht. „Mein Asylverfahren war kein Problem. Nach drei Monaten hatte ich meinen Aufenthaltstitel. Ich fühle mich wohl in Deutschland.“
Inzwischen gilt der ASB-Mitarbeiter als Musterbeispiel gelungener Integration - so sehr, dass ihm sogar der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) seine Anerkennung zollte. Kurz nach Eröffnung des Drehkreuzes am 10. März suchte Weil spontan das Gespräch mit Alturkey - vor laufender Kamera. „Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe mich riesig darüber gefreut, auch wenn ich sehr aufgeregt war. Deshalb war mein Deutsch in dem Moment leider nicht so gut“, sagt Alturkey und lacht. Er hat sich fest vorgenommen, ganz und gar in Deutschland anzukommen: „Ich habe im November die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt. Mein Traum ist, hier irgendwann wieder eine Kaffeerösterei aufzumachen.“
Alturkey findet die Hilfsbereitschaft der Deutschen großartig. Nach einem Sachspendenaufruf hätten er und sein Team in kurzer Zeit genügend Koffer, Rollstühle, Kinderwagen und Artikel des täglichen Bedarfs beisammen gehabt, um die Ankömmlinge aus der Ukraine mit dem Nötigsten versorgen zu können. Alturkey hofft, dass dieses Engagement nicht nachlässt. „Helfen Sie den Flüchtlingen, wo und so viel Sie können“, bittet er die Bürginnen und Bürger.
Urs Mundt / epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen