Startseite Archiv vom 26. April 2022

„Beirut ist still geworden“

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Vor einem Jahr lief die große Spendenaktion der Landeskirche für den Libanon, an der sich auch Konfirmand*innen beteiligten. Ein Jahr später ist die Situation noch katastrophaler, schildert Pastorin Anna-Katharina Diehl: Sie hat in Beirut studiert und war nun wieder zu Besuch dort. Und sie sieht wenig Hoffnungsmomente in dem krisengeschüttelten Land.

Über den Libanon hat man in Zeiten des Bürgerkriegs (1975-1990) immer gesagt, das Land sei wie ein Phönix, der immer wieder aus der Asche entstehe. Wegen der einst mächtigen Banken, der Luxus-Shoppingmeilen, der edlen Clubs in Beirut sowie der schneebedeckten Berge wurde es sogar als «Schweiz des Nahen Ostens» bezeichnet. Die Zeiten sind lange vorbei: Eine Folge von Krisen hat den Libanon in den Abgrund gestürzt. Nun droht wegen des Ukraine-Krieges auch noch eine Hungersnot. Nach Einschätzung der Weltbank leben mehr als die Hälfte der rund fünf Millionen Menschen in Armut. Die Vereinten Nationen kommen sogar auf mehr als 80 Prozent in einer Untersuchung, die neben Haushaltseinkommen auch Einschränkungen durch Stromausfälle oder den fehlenden Zugang zu Medikamenten einbezieht. Selbst Familien mit bisher mittlerem Einkommen verarmten, weil ihr erspartes Geld entwertet wurde. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen rasant an. Laut Weltbank gehört die Wirtschaftskrise im Libanon zu den schlimmsten weltweit. Da der Libanon von Getreideimporten abhängig ist (81 Prozentkamen 2021 aus der Ukraine, 14 Prozent aus Russland) wird der Kriege in der Ukraine die Menschen im Libanon wahrscheinlich hart treffen.

epd Niedersachsen-Bremen
Aus dem, was die Explosion im Beiruter Hafen übriggelassen hat, hat jemand eine Metallskulptur gebildet - Kunst in der Krise. Bild: Anna-Katharina Diehl

Anna-Katharina Diehl ist gerade von einem Besuch im Libanon zurück und erzählt im Interview von der dramatischen Lage dort: 

Frau Diehl, Sie haben vor 10 Jahren in Beirut studiert und waren jetzt wieder zu Besuch dort - welche Veränderungen im Alltag der Menschen haben Sie wahrgenommen?  
Diehl: „Der Libanon, so wie ich ihn aus meiner Studienzeit 2010/11 kannte, existiert so nicht mehr. Beirut ist still geworden und abends brennt kaum ein Licht irgendwo. Das Partyleben ist erloschen. Die Menschen haben kaum einen Handlungsspielraum, kämpfen ums Überleben und sind deprimiert. Viele, besonders die gut ausgebildeten Leute, sind schon gegangen.“

Gibt es auch positive Entwicklungen?
Diehl: „Positive Entwicklungen habe ich kaum wahrnehmen können. Es gibt das Papier „We choose abundand life“ (Wir wählen das blühende Leben), geschrieben von Theolog*innen aus dem Nahen Osten. Es versucht einen Weg aus der derzeitigen, festgefahrenen Lage aufzuzeigen: Das Bürgerrecht für alle Menschen. Dies gibt es in dem bisherigen, religiös strukturierten politischen System so nicht. Doch die Resonanz der Christ*innen darauf ist aus verschiedenen Gründen sehr verhalten.“

Anna-Katharina Diehl (li.) besucht Anna und Hadi, Freunde seit ihrer Studienzeit. Bild: Anna-Katharina Diehl

Mit welchen Gefühl sind Sie jetzt zurück nach Deutschland gekommem?
Diehl: „Besonders das Gefühl, nachdem ich die Flüchtlingslager gesehen habe, lässt mich nicht los. Es hat sich tief in meinem Magen festgesetzt. Mir ist ununterbrochen übel und gleichzeitig bin ich überwältigt von der Kraft, die ich bei unseren Partnern gespürt habe.“

Haben die Menschen im Libanon Ihnen etwas mitgegeben?
Diehl: „Ich hoffe vor allem für meine Freunden und die Partner unserer Landeskirche. Sie arbeiten unter schwersten Bedingungen in einem völlig chaotischen Land, in dem es keine staatlichen oder rechtlichen Strukturen mehr gibt. Sie sind abhängig von Spenden aus dem Ausland. Einerseits wünsche ich mir für sie persönlich, dass sie das Land verlassen und sich selbst ein Leben mit Zukunft aufbauen. Andererseits sind sie die einzigen, die den Ärmsten der Armen helfen, um zu überleben. Sie haben eine Verantwortung. Sie zeigen eine Stärke, wie ich sie aus meinem eigenen Kontext nicht kenne.“

Spenden sind natürlich immer möglich, aber gibt es vielleicht noch andere Wege, sich für die Menschen in Libanon einzusetzen?
Diehl: „Als ich meine Freundin zum Abschied fragte, was wir für die Christ*innen im Nahen Osten tun können, hat sie geantwortet: „Beten“ und sie meinte es ernst.
Ich selbst fände es toll, wenn mehr Menschen aus unserer Kirche in den Libanon reisen würden, um unsere Partner dort kennenzulernen. Vielleicht könnten einzelne Gemeinden verstärkt in die Partnerschaft eingebunden werden. Es ist nicht gefährlich, im Libanon zu sein. Nur furchtbar traurig…“

Themenraum
Tripoli liegt nur 30 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt - die Stadt sei voll mit Geflüchteten, erzählt Anna-Katharina Diehl. Bild: Anna-Katharina Diehl

Videoserie

Der Evangelische Kirchenfunk (ekn) hat 2021, ein Jahr nach der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen, mit dem CPS-Team in Beirut eine 14-teilige Videoserie produziert. Die Videos über das Leben in Libanon, die Schulen für geflüchtete Kinder, die Nachwirkungen der Explosion und vieles mehr sind weiterhin auf Youtube abrufbar. 

Besuch aus dem Libanon in Deutschland

Die Not der Menschen in Libanon ist groß, eine Wirtschaftskrise und Korruption machen das Leben schwer. Um Partnerschaften in Zeiten der Krise zu beleben, haben Vertreter der Kirche dort die hannoversche Landeskirche und andere Partner besucht.

Joseph Kassab (3.v.l.) und Fadi Riachi (3.v.l.) zu Gast beim Landesbischof Ralf Meister (Mitte) mit Landeskirchenamts-Präsidentin Stephanie Springer (2.v.r.), Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden (r.) und Ökumene-Beauftragtem Thomas Fender von der Reformierten Kirche (l.).