„Beirut ist still geworden“
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Vor einem Jahr lief die große Spendenaktion der Landeskirche für den Libanon, an der sich auch Konfirmand*innen beteiligten. Ein Jahr später ist die Situation noch katastrophaler, schildert Pastorin Anna-Katharina Diehl: Sie hat in Beirut studiert und war nun wieder zu Besuch dort. Und sie sieht wenig Hoffnungsmomente in dem krisengeschüttelten Land.
Über den Libanon hat man in Zeiten des Bürgerkriegs (1975-1990) immer gesagt, das Land sei wie ein Phönix, der immer wieder aus der Asche entstehe. Wegen der einst mächtigen Banken, der Luxus-Shoppingmeilen, der edlen Clubs in Beirut sowie der schneebedeckten Berge wurde es sogar als «Schweiz des Nahen Ostens» bezeichnet. Die Zeiten sind lange vorbei: Eine Folge von Krisen hat den Libanon in den Abgrund gestürzt. Nun droht wegen des Ukraine-Krieges auch noch eine Hungersnot. Nach Einschätzung der Weltbank leben mehr als die Hälfte der rund fünf Millionen Menschen in Armut. Die Vereinten Nationen kommen sogar auf mehr als 80 Prozent in einer Untersuchung, die neben Haushaltseinkommen auch Einschränkungen durch Stromausfälle oder den fehlenden Zugang zu Medikamenten einbezieht. Selbst Familien mit bisher mittlerem Einkommen verarmten, weil ihr erspartes Geld entwertet wurde. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen rasant an. Laut Weltbank gehört die Wirtschaftskrise im Libanon zu den schlimmsten weltweit. Da der Libanon von Getreideimporten abhängig ist (81 Prozentkamen 2021 aus der Ukraine, 14 Prozent aus Russland) wird der Kriege in der Ukraine die Menschen im Libanon wahrscheinlich hart treffen.
epd Niedersachsen-BremenAnna-Katharina Diehl ist gerade von einem Besuch im Libanon zurück und erzählt im Interview von der dramatischen Lage dort:
Frau Diehl, Sie haben vor 10 Jahren in Beirut studiert und waren jetzt wieder zu Besuch dort - welche Veränderungen im Alltag der Menschen haben Sie wahrgenommen?
Diehl: „Der Libanon, so wie ich ihn aus meiner Studienzeit 2010/11 kannte, existiert so nicht mehr. Beirut ist still geworden und abends brennt kaum ein Licht irgendwo. Das Partyleben ist erloschen. Die Menschen haben kaum einen Handlungsspielraum, kämpfen ums Überleben und sind deprimiert. Viele, besonders die gut ausgebildeten Leute, sind schon gegangen.“
Gibt es auch positive Entwicklungen?
Diehl: „Positive Entwicklungen habe ich kaum wahrnehmen können. Es gibt das Papier „We choose abundand life“ (Wir wählen das blühende Leben), geschrieben von Theolog*innen aus dem Nahen Osten. Es versucht einen Weg aus der derzeitigen, festgefahrenen Lage aufzuzeigen: Das Bürgerrecht für alle Menschen. Dies gibt es in dem bisherigen, religiös strukturierten politischen System so nicht. Doch die Resonanz der Christ*innen darauf ist aus verschiedenen Gründen sehr verhalten.“
Mit welchen Gefühl sind Sie jetzt zurück nach Deutschland gekommem?
Diehl: „Besonders das Gefühl, nachdem ich die Flüchtlingslager gesehen habe, lässt mich nicht los. Es hat sich tief in meinem Magen festgesetzt. Mir ist ununterbrochen übel und gleichzeitig bin ich überwältigt von der Kraft, die ich bei unseren Partnern gespürt habe.“
Haben die Menschen im Libanon Ihnen etwas mitgegeben?
Diehl: „Ich hoffe vor allem für meine Freunden und die Partner unserer Landeskirche. Sie arbeiten unter schwersten Bedingungen in einem völlig chaotischen Land, in dem es keine staatlichen oder rechtlichen Strukturen mehr gibt. Sie sind abhängig von Spenden aus dem Ausland. Einerseits wünsche ich mir für sie persönlich, dass sie das Land verlassen und sich selbst ein Leben mit Zukunft aufbauen. Andererseits sind sie die einzigen, die den Ärmsten der Armen helfen, um zu überleben. Sie haben eine Verantwortung. Sie zeigen eine Stärke, wie ich sie aus meinem eigenen Kontext nicht kenne.“
Spenden sind natürlich immer möglich, aber gibt es vielleicht noch andere Wege, sich für die Menschen in Libanon einzusetzen?
Diehl: „Als ich meine Freundin zum Abschied fragte, was wir für die Christ*innen im Nahen Osten tun können, hat sie geantwortet: „Beten“ und sie meinte es ernst.
Ich selbst fände es toll, wenn mehr Menschen aus unserer Kirche in den Libanon reisen würden, um unsere Partner dort kennenzulernen. Vielleicht könnten einzelne Gemeinden verstärkt in die Partnerschaft eingebunden werden. Es ist nicht gefährlich, im Libanon zu sein. Nur furchtbar traurig…“