"Sprache hat unbedingt eine Schöpfungskraft"
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Die Hamburger Autorin Katharina Kramer hat mitten in der Corona-Pandemie den opulenten historischen Roman "Die Sprache des Lichts", ihr erstes Buch, veröffentlicht. Zum UNESCO-Welttag des Buches am 23. April, dem Todestag des Literatur-Giganten William Shakespeare, spricht sie über kleine Fluchten in alternative Schreib- und Lesewelten und die Suche nach der Sprache Gottes.
Frau Kramer, in Ihrem ersten Roman „Die Sprache des Lichts“ ist der sprachbegabte Jacob Greve aus Sachsen quer durch Europa unterwegs, um die Sprache Gottes zu entschlüsseln - durch die Lektüre geheimer Kryptographie-Schriften genauso wie über die Pfeifsprache von Schafhirten im französisch-spanischen Grenzland. Das Ganze ist fundiert recherchiert und basiert auf realen historischen Vorgängen rund um das Jahr 1582. Können Sie persönlich den Wunsch verstehen, die Sprache der Schöpfung zu kennen?
Katharina Kramer: Ich bin über den englischen Hofastronomen John Dee auf diese Suche gestoßen. Der hat sie ganz real betrieben, auch der damalige Papst hat diese Bestrebungen der Gelehrten gutgeheißen. Dee wollte eben genau wissen, wie die Welt funktioniert. Seine Idee war: Wenn Gott die Welt erschaffen hat, könnte seine Schöpfersprache den Menschen ihre Welt bestmöglich erklären. Hinzu kommt, dass das ausgehende 16. Jahrhundert, wo der Roman spielt, eine sehr schwierige Zeit war. Christen bekämpften sich gegenseitig, die Pest wütete, dann gab es noch ein Erdbeben in London ausgerechnet zu Ostern. Es war eine kulturelle Blütezeit und zugleich voller Schrecken und Konflikte. Das alles führte zwangsläufig zu dem Gedanken: Wir entfernen uns vom ursprünglichen Schöpfungsplan. Und wenn wir uns über dessen Sprache wieder zurückbewegen, könnten wir die Welt heilen. Ein wenig bescheidener Wunsch, den John Dee da verfolgte.
John Dee sagt in dem Buch: „Die Welt ist durch Worte geschaffen worden. Sie kann auch durch Worte wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.“ Trauen Sie dem umfänglichen Optimismus, den dieser Satz ausstrahlt? Auch noch in Zeiten des Krieges?
Kramer: Im Roman habe ich das Beispiel der Brücke gebracht: Man sieht sie und denkt: Okay, sie ist aus Stein. In Wirklichkeit aber ist sie aus Worten gemacht - nämlich aus denen, die der Architekt im Studium gelernt hat, die er zu den Bauleuten weitergesagt hat, die die Arbeiter untereinander gewechselt haben. Ohne Worte wäre wohl kein Bauwerk jemals entstanden. Sprache hat insofern unbedingt eine Schöpfungskraft. Und Gott hat die Welt ja auch durch Worte geschaffen. Das können wir zwar nicht direkt nachmachen, aber wir benutzen ja auch oft Worte, bevor wir etwas tun. Und bei Pandemie und Krieg spielen Begriffe und ihre Wirkung ebenfalls eine große Rolle. Mein Buch ist aber tendenziell optimistisch und hat auch für die Protagonisten eher günstige Wendungen.
Was hat Sie als Nicht-Theologin zu den durch und durch theologischen Themen des Buches geführt?
Ich wollte unbedingt ein Buch schreiben, das sich mit Sprachen beschäftigt und dabei nicht zu ganz anderen Themen ausbricht, also etwa Sprachphilosophie oder Musik. Und über die Sprache Gottes erfährt das Thema Fremdsprache eine Vertiefung - bis hin zu Metaphysik und Transzendenz. Eine Dimension, die über das rein Zweckmäßige hinausgeht, erlaubt dann auch, die Geschichte und die Figuren zum Grundsätzlichen vordringen zu lassen.
Sie haben selbst Englisch und Französisch studiert, als Übersetzerin gearbeitet. Ist der polyglotte Jacob mit seiner traumhaft-leichten Aneignung von Sprache Ihnen nahe - oder müssen Sie auch die Mühen der Ebene beschreiten und Vokabeln lernen wie andere auch?
Ich musste tatsächlich in der Schule keine Vokabeln lernen und konnte sie meist nach dem ersten Hören. Das war bestimmt ein Vorteil, aber an Jacobs Fähigkeiten reiche ich nicht heran. Er ist ja ein Hyperpolyglotter, der viele Sprachen beherrscht. Ich bin nur eine Zwei-Sprachen-Lernerin und arbeite immer noch an Englisch und Französisch. Ich höre zum Beispiel täglich Radio. Um alle Wendungen und Aussprachen aufzunehmen, höre ich Sendungen durchaus auch 40-mal.
Ein Thema des Buches ist es, dass Menschen wie in Trance sprechen, die Worte einfach fließen lassen. Eigentlich genau das Gegenteil der wohl überlegten, womöglich gar politisch korrekten Sprache. Wann und wo kann man heute überhaupt noch ohne große Reflexion der Sprache freien Lauf lassen?
Es gibt ja zum Beispiel das Zungenreden oder Zungensingen, das in manchen Kirchen praktiziert wird. Ich bin eher ein rationaler Mensch und solchen Dingen gegenüber skeptisch. Aber ich war mal mit einer Freundin in einer Kirchengemeinde, da saß neben mir eine bestimmt 80-Jährige, die in einer völlig unverständlichen Sprache sang - so schön, so klar. Das hat mich tief beeindruckt. Oder denken Sie an Musik, ans Improvisieren. Künstler öffnen häufig gewissermaßen einen Vorhang zu einer Zwischenwelt. Das, was ich sagen will, ist schon halb vorhanden, aber eben noch nicht ganz. Wenn ich mich dann dieser Welt überlasse, vollende ich etwas. Woher das dann letztlich kommt, weiß ich nicht unbedingt.
Im Buch werden Momente beschrieben, in denen Jacob und Margarète etwa spielerisch zwischen verschiedenen Sprachen wechseln oder neue Ausdrucksformen erfinden und dabei Gefühle von Erlösung erleben, von Wärme. Die Protagonisten spüren das, was man heute „flow“ nennt, beinahe körperlich.
Das stimmt - sie überlassen sich diesen Zuständen beinahe meditativ. Und empfinden dabei Glück und Momente der Entgrenzung, die über die Banalität und Zweckmäßigkeit der Wörter hinausgehen.
Wie viel „flow“, wie viel Freude haben Sie erlebt, als sie „Die Sprache des Lichts“ geschrieben haben? Für mich als Leser dringt sich der Eindruck auf, dass ein solch komplexes Vorhaben enorm viel Mühe und Leiden erfordert.
Es war überhaupt keine Leidenszeit. Sonst hätte ich das nicht gemacht. Schreiben muss ich ohnehin, das ist wohl bei vielen Autoren so. Und ich war immer froh, mich in diese Welt absetzen zu können. Da kann ich frei schalten und walten, kann jedes Geschlecht und jede soziale Stellung einnehmen, jede Tätigkeit ausüben. Jedes Problem kann ich haben oder lösen und an allen möglichen Orten sein. Mein Roman spielt zum Beispiel nur im Sommer, weil ich den Winter nicht mag. Das hat mich dann immer gut über den Winter gebracht, weil ich beim Schreiben stets den Sommer erleben durfte. Schreiben verschafft mir einen alternativen Ort, an dem ich der Wirklichkeit weniger ausgesetzt bin. Das verbindet mich als Autorin sicher auch mit dem Leser.
Passend dazu hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ermittelt, dass 25 Prozent der Leser*innen häufiger zum Buch greifen als vor der Pandemie. Besonders groß sind die Zuwächse bei den 10- bis 29-Jährigen. Warum lesen Menschen aus Ihrer Sicht offenbar mehr als jemals zuvor?
Ich glaube in der Tat, dass es ähnliche Gründe sind wie für mein Schreiben. Angesichts von Pandemie, Krieg und anderen Dingen fühlen wir uns ohnmächtig. Die Welt schreitet vor allem technisch immer weiter voran. Aber diese Prozesse scheinen losgelöst von uns. Aus diesem Grund setzen sich dann womöglich Menschen ab und fliehen gewissermaßen in andere Sphären. Ich finde nicht, dass man das als Eskapismus kritisieren sollte - denn wir sammeln in solchen kleinen Fluchten immer Ideen und Ressourcen, mit denen wir dann das eigentliche Leben besser meistern können.