Startseite Archiv vom 21. April 2022

„Es wird jeden Tag schlimmer“

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Die Not der Menschen in Libanon ist groß, eine Wirtschaftskrise und Korruption machen das Leben schwer. Um Partnerschaften in Zeiten der Krise zu beleben, haben Vertreter der Kirche dort die hannoversche Landeskirche und andere Partner besucht.

Lehrkräfte, die zuvor 1.000 Dollar Lohn bekamen, bekommen sie jetzt noch 80 Dollar – nicht genug, um das ohnehin knappe Benzin für die Fahrt zur Schule zu kaufen. Für 20 Liter wäre schon ein Viertel des Monatseinkommens weg. Viele Familien der früheren Mittelschicht haben seit Monaten weder Fleisch noch Fisch gegessen, weil sie es sich nicht leisten können. Wenn jemand das Geld aufbringt, zum Arzt zu gehen, verschreibt der womöglich Medikamente – die aber oft nicht vorhanden oder zu teuer zu kaufen sind. 
Diese und andere wenig erfreuliche Geschichten haben Joseph Kassab und Fadi Riachi am Mittwoch immer und immer wieder erzählen müssen – oder besser können: Kassab, Präsident des Obersten Rats der Evangelischen Kirche in Syrien und dem Libanon (NESSL), und Riachi (Direktor von Compassion Protestant Society, dem diakonischen Arm der NESSL) sind derzeit einige Tage in Deutschland, später folgen die Schweiz und Dänemark. Ihre Mission: „Wir brauchen unsere Partner in dieser Krise“, sagen sie, „wir vertrauen auf die bestehenden Partnerschaften.“ Denn der Libanon hat sich vom bewundernswerten Zufluchtsort syrischer Kriegsflüchtlinge innerhalb der vergangenen eineinhalb Jahre selbst zu einem Entwicklungsland gewandelt.

Joseph Kassab (3.v.l.) und Fadi Riachi (3.v.l.) zu Gast beim Landesbischof Ralf Meister (Mitte) mit Landeskirchenamts-Präsidentin Stephanie Springer (2.v.r.), Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden (r.) und Ökumene-Beauftragtem Thomas Fender von der Reformierten Kirche (l.).

Für Riachi ist es der erste Besuch in Deutschland und das zeigt seinen Worten zufolge die Not. Vor einem Jahr sagte Fadi Riachi in einem vom Evangelischen Kirchenfunk geführten Interview anlässlich des ersten Jahrestages der katastrophalen Explosion im Hafen von Beirut, dem Libanon stehe ein so schlimmes Jahr „wie noch nie bevor“. Heute sagt er: „Das nächste wird noch schlimmer.“ Nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine. Etwa 80 Prozent des Weizens bezieht Libanon aus der Ukraine – der muss nun irgendwie ersetzt werden. Erste Gespräche beispielsweise mit Frankreich liefen bereits. Doch die Schlange der Länder mit ähnlichen Problemen ist lang. Und, so mahnt Riachi, „wird Libanon die vermutlich weiter steigenden Preise bezahlen können?“ 
Für Kassab und Riachi geht es bei den Besuchen in der Landeskirche oder bei Brot für die Welt vor allem um eine Verstetigung des Austauschs und eine künftige Planung. Eine der Gesprächspartnerinnen war etwa Elke Rothärmel, Leiterin der IGS Wunstorf, um erste gemeinsame Ideen anzuregen. Auch Gespräche mit dem Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen (ekn) fanden statt - 2021 hatte ekn bereits in Zusammenarbeit mit der Landeskirche eine 14-teilige Videoserie über das Leben in Libanon produziert (Youtube-link).
„Wir spüren eine immer größer werdende Not“, betont Fadi Riachi später im Gespräch mit der Landeskirche. Zehntausende hätten ihre Jobs verloren, tausende Unternehmen stünden vor dem Ruin und viel junge, gut ausgebildete Menschen haben das Land bereits verlassen. „Es ist ein Abfließen, ein Austrocknen in allen Lebensbereichen“, fasst Joseph Kassab zusammen.

Vor der Mooswand beim Ev. Kirchenfunk (ekn) (v.l.): Dirk Stelter, Hannelore Gerstenkorn (beide Landeskirche), Joseph Kassab (NESSL), Mathias Pabst, Lukas Schienke (beide ekn) und Fadi Riachi. Der ekn hat 2021, ein Jahr nach der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen, eine 14-teilige Videoserie produziert und möchte gern weiterhin berichten.

Wie kommen sie durch all das hindurch? „Wir gehen mit dem um, was geblieben ist. Unsere Aufgabe als Kirche ist, Mut zu machen und Hoffnung zu geben. Sonst würden wir die Menschen in den Selbstmord entlassen. Aber wir sind Menschen der Auferstehung, wir haben das im Libanon schon oft erlebt: Kreuzigung und Wiederauferstehung. Wir glauben, Leid durchzumachen, ist nicht das Ende von allem. Aber wir brauchen jetzt unsere Partner, die uns helfen.“ 
Denn letztlich war der Libanon eigentlich kein armes Land, sagt Fadi Riachi, und könnte sich aus der aktuellen Armut auch wieder befreien: „Mit den richtigen Umständen und internationalen Interventionen würde das Land nur sechs Monate brauchen, um den Wendepunkt einzuleiten und danach wieder auf die Beine zu kommen. Es wird natürlich Jahre dauern, bis wir wieder den Lebensstandard von früher haben - aber nur Monate, um den Trend umzukehren, von abwärts in Stagnation und dann aufwärts zu kommen.“

Landesbischof Ralf Meister gab Kassab und Riachi schon einmal stärkende Worte und das Versprechen mit, sich als Kirche selbst und in ihren Netzwerken für die Menschen in Syrien und Libanon einzusetzen. 

Themenraum

Videoserie

Der Evangelische Kirchenfunk (ekn) hat 2021, ein Jahr nach der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen, mit dem CPS-Team in Beirut eine 14-teilige Videoserie produziert. Die Videos über das Leben in Libanon, die Schulen für geflüchtete Kinder, die Nachwirkungen der Explosion und vieles mehr sind weiterhin auf Youtube abrufbar.