Startseite Archiv Tagesthema vom 08. März 2022

"Sie haben mir so viel geholfen, wie ich es nie gedacht hätte"

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Wenn Männer ihre Partnerinnen schlagen, bieten Frauenhäuser Schutz. Doch in Deutschland fehlen Tausende Plätze und klare Finanzierungsregeln. Nicht alle Frauen bekommen Hilfe. Das hat auch Valentina Hasani erfahren. Am Ende hatte sie dennoch Glück.

Mit ihrer knapp zweijährigen Tochter an der Hand steht Valentina Hasani im Frühjahr 2021 vor der Tür des Frauenhauses Osnabrück. Kleidung für sich und Luana trägt sie in zwei Tüten mit sich. Der Nasengips nach der Operation im Krankenhaus ist noch frisch. Mehr als anderthalb Jahre hat die Albanerin die Misshandlungen ihres deutschen Freundes und Vaters ihrer Tochter ausgehalten. „Angefangen hat es mit Alkohol und Drogen“, erzählt die 25-Jährige heute mit fester Stimme. „Dann kamen die Schläge.“

Wie Hasani, die in Wirklichkeit anders heißt, finden Jahr für Jahr nach Schätzungen rund 17.000 Frauen in Frauenhäusern Schutz vor ihren gewalttätigen Ehemännern, Freunden oder Partnern. Oft kommen sie mit Kindern. Doch längst nicht alle, die anfragen, bekommen auch einen Platz. Immer wieder müssten die bundesweit rund 370 Einrichtungen hilfesuchende Frauen abweisen, weil sie voll belegt seien, sagt Heike Herold Geschäftsführerin der Frauenhaus-Koordinierung. Dem seit 2001 existierenden Verein gehören bundesweit 270 Frauenhäuser an, die vor allem von Wohlfahrtsverbänden getragen werden.

Auf der Homepage www.frauenhaus-suche.de weisen nur wenige Häuser noch freie Plätze aus. Den übrigen bleibt dann nur der Hinweis auf den Polizei-Notruf und das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Oder sie verweisen auf Häuser in anderen Regionen. „Für die meisten Frauen wäre es aber wichtig, wenn sie wenigstens ihr soziales Umfeld behalten könnten“, sagt Herold.

Die seit rund zehn Jahren einigermaßen konstante Zahl von rund 6.800 Plätzen in ganz Deutschland reiche bei weitem nicht aus, sagt auch Britta Schlichting von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser. Die Corona-Pandemie mit Hygiene- und Abstandsregeln habe die Situation noch verschärft. Barrierefreie Räume, Einzelzimmer etwa für Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Plätze für Frauen mit älteren Söhnen existierten fast gar nicht.

Zudem würden die Häuser von den Ländern und Kommunen nicht ausreichend und zukunftssicher finanziert. Das Personal sei schlecht bezahlt und überlastet. Vor allem nachts und am Wochenende gebe es Lücken, sagt Schlichting. „Das gesamte Unterstützungssystem ist chronisch unterfinanziert und mangelhaft ausgestattet.“

Valentina Hasani und ihre Tochter Luana hatten damals Glück. Zwar war auch das autonome Frauenhaus in Osnabrück mit seinen zehn Familienzimmern und einem Jugendzimmer voll belegt. Doch die Mitarbeiterinnen improvisierten. „Sie richteten ein kleines Zimmer für uns her.“ Vier Monate blieb sie dort. 

Die Sozialarbeiterinnen unterstützten sie bei der Ummeldung, der Beantragung von Grundsicherung, bei juristischen Fragen und bei der Suche nach einem Sprachkurs und einer eigenen Wohnung. „Sie haben mir so viel geholfen, wie ich es nie gedacht hätte“, sagt Hasani, und tiefe Dankbarkeit spricht aus ihrer Stimme. Auch die Erziehungsprobleme mit ihrer Tochter Luana bekam die junge Mutter mit Hilfe der Expertinnen in den Griff.

„Wir stellen die Frauen so auf, dass sie unabhängig und selbstständig ihr Leben gestalten können“, sagt Pia Bartelt vom Osnabrücker Frauenhaus. Dort leben mehrere Frauen mit ihren Kindern jeweils in Form von Wohngemeinschaften zusammen. Die Bewohnerinnen müssten selbst einkaufen, kochen, sich und ihre Kinder versorgen. Manche müssten zu Ärzten, in eine Psychotherapie oder zur Schuldnerberatung begleitet werden. Andere bräuchten Unterstützung, wenn sie ihre Kinder etwa in einer neuen Schule anmelden müssten.

„Das war eine schöne Zeit dort im Frauenhaus“, sagt Hasani schwärmerisch. Sie habe sogar Freundschaften geschlossen. Der Austausch mit anderen Betroffenen sei wichtig gewesen. Vorher habe sie sich geschämt, niemandem etwas erzählt. „Du denkst, dass dich sowieso niemand versteht.“ 
Einige Monate zuvor war die junge Albanerin bereits in einem anderen Frauenhaus gewesen. Sie hatte damals noch keinen eigenen Aufenthaltsstatus und somit keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Die kleine Einrichtung habe ihr deshalb nach einer Woche mitgeteilt, dass sie dort nicht bleiben könne. Sie ging damals zu ihrem Mann zurück, setzte sich wieder der Gewalt aus: „Was sollte ich machen? Meine Eltern und Geschwister leben in Albanien. Ich hatte in Deutschland niemanden, zu dem ich gehen konnte.“

Das sei für viele Häuser, die sich über die Leistungsansprüche der Frauen finanzieren, ein Problem, sagt Herold. Sie bekommen nur für diejenigen Frauen Geld von Kommunen und dem jeweiligen Bundesland, die Sozialleistungen beziehen und einen Aufenthaltsstatus haben. Dabei ist die Zahl der Frauen mit Migrationsgeschichte in den Frauenhäusern in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Ihr Anteil liege derzeit bei mehr als 70 Prozent. 

Valentina Hasani lebt heute mit ihrer Tochter in einer eigenen Wohnung, absolviert ihren B2-Sprachkurs und hofft danach auf einen Ausbildungsplatz. „Das habe ich nur denen zu verdanken“, sagt die junge Mutter mit Blick auf die Sozialarbeiterinnen im Frauenhaus. Vergessen können werde sie die Monate der Gewalt nie, sagt sie, hält kurz inne und fährt dann fort: „Aber man lernt, damit umzugehen. Ich versuche einfach weiterzuschauen. Es war schlimm. Aber ich habe es geschafft. Das ist das wichtigste.“

Martina Schwager (epd)
Viele Frauen suchen mit ihren Kindern Schutz in Frauenhäusern. Bild: Pixabay

Schutz vor häuslicher Gewalt

In Deutschland gibt es aktuell rund 370 Frauenhäuser und Schutzwohnungen mit insgesamt 6.800 Plätzen zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Das erste Haus wurde 1976 in Berlin eröffnet. Zu den Trägern zählen die Wohlfahrtsverbände: Diakonie, Caritas, der Paritätische oder die Arbeiterwohlfahrt. Die Einrichtungen versammeln sich unter dem Dach des Vereins „Frauenhaus-Koordinierung“. Rund 150 von ihnen bezeichnen sich als „Autonome Frauenhäuser“, die zum großen Teil von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser vertreten werden.

Wie die Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen finanziert werden, ist in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt. Die Finanzierungslandschaft gleiche derzeit einem Flickenteppich, kritisiert die Frauenhaus-Koordinierung: „Finanzierungsquellen sind Landesmittel und kommunale Mittel, dazu kommen Kostenbeteiligungen von Frauen sowie Eigenmittel der Träger.“ Frauenhäuser und Hilfsverbände fordern einheitliche Rahmenbedingungen und eine gesicherte Finanzierung, um Opfern schnell und unkompliziert Schutz gewähren zu können. Sie setzen dabei auf die Ampelkoalition, die Verbesserungen im Koalitionsvertrag angekündigt hat.

Die Frauenhäuser verlangen zudem eine Umsetzung der Istanbul-Konvention, nach der bundesweit noch rund 15.000 weitere Plätze für schutzbedürftige Frauen geschaffen werden müssten. In Deutschland gilt dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, das in Istanbul unterzeichnet wurde, seit 2018. Es schreibt unter anderem vor, dass es pro 10.000 Einwohnern einen Familienplatz für eine Frau mit ihren Kindern geben muss.

Auch die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt belastet die Frauenhäuser. Alleinerziehende Mütter haben es bei der Wohnungssuche oft schwer - vor allem, wenn sie Hartz IV beziehen, mehr als ein Kind oder einen Migrationshintergrund haben. Deshalb bleiben viele Frauen auch nach der Zeit der Stabilisierung und psychosozialen Begleitung auf das Frauenhaus als Wohnort angewiesen. Damit müssen Frauen, die akut von Gewalt betroffen sind, noch häufiger abgewiesen werden.

Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein Problem bestimmter Gesellschaftsschichten. Die Beratungsarbeit und Studien der Bundesregierung zeigen: Gewalt kann jede Frau treffen - unabhängig von Alter, sozialem oder kulturellem Hintergrund.

epd