Andacht: Gottes Gerechtigkeit tun wie ein Kind
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Michel aus Lönneberga, Held meiner Jugend - und doch so anders. Im Kindergottesdienst angeeckt, ein ziemliches Stück unverstanden - aber ein Herz aus Gold. Als die giftige Aufseherin des Armenhauses den ganzen Weihnachts-Fresskorb für sich behält, lädt Michel alle Bewohner aus dem Heim zu sich auf den Hof. Die Eltern sind bei Verwandten, und die Küche ist bis oben voller Köstlichkeiten. Michel veranstaltet ein tolles Weihnachtsfestmahl für die armen Schlucker.
Von wegen: Nichts im Kindergottesdienst gelernt. Michel hat verstanden, was in der Bibel steht, die man ihm vorliest: Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. So geht der Lobgesang der Maria.
Und so geht auch der Lobgesang der Astrid. In manchen Geschichten ist eben Christentum drin, auch wenn nicht Christentum drauf steht. Astrid Lindgren, Sie kennen ja die Autorin der Michel-Geschichten, ist nicht die fleißigste Kirchgängerin gewesen. Eigentlich hatte sie immer ein kritisches Verhältnis zur Kirche. Die Unbarmherzigkeit einiger erweckter Pfarrer hat sie wohl abgestoßen. Lindgren mochte nicht, wenn Leute engstirnig sind oder missionarisch-eifernd. Das hat sie wohl selbst erlebt – wie Maria: Als sie unverheiratet schwanger wurde, musste sie ihren Heimatort verlassen und ihren kleinen Jungen zu Pflegeeltern geben. Wenn man Astrid Lindgren fragte, ob sie an Gott glaube, kriegte man zur Antwort: "Nicht, wenn alles gut läuft."
Lindgren ist keine Romantikerin. Dass es auf der Welt Krieg und Elend, Hunger und Gewalt und Not gibt, und zwar in der Kinderwelt, das empfand Astrid Lindgren doch zunehmend als niederdrückend.
Dem setzt sie ihr Menschenbild entgegen, ein Menschenbild, das zutiefst christlich und lutherisch geprägt ist. Auch wenn sie selbst nicht als christliche Ikone taugt. Doch sie gibt es weiter: Gott liebt dich so wie du bist. Die Barmherzigkeit, die von Gott ausgeht, die muss bei den Menschen weitergehen. Wenn Gott Mensch wird, dann hat Gott ein menschliches Gesicht. Wenn Gott zur Welt kommt, dann kommt er bei den Armen zur Welt, nicht bei den Reichen.
Der Lobgesang der Maria ist eine Revolutionshymne: Kein Lied ist rebellischerer als dieses. Gott ist unten, nicht oben. Vielleicht braucht es ein Kind, oder jedenfalls einen Menschen mit Kinderseele, der sich getraut, genauer hinzusehen und die Bibel ernst zu nehmen. Und Gottes Gerechtigkeit zu tun statt nur von ihr zu wissen. Wie Michel aus Lönneberga.
Amen.
Ralf Drewes