Startseite Archiv Tagesthema vom 23. November 2021

Medientag der Landeskirche Hannovers

Corona-Pandemie, Wahlkampf, Klima-Krise – die gesellschaftlichen Herausforderungen halten uns alle in Atem. Räumliche Entfernung und Kontaktbeschränkungen sowie schwindendes Vertrauen offenbaren neue Gräben in der Gesellschaft: Wie gehen wir miteinander um? Wie begegnen wir Verschwörungstheorien? Der Medientag der Landeskirche nahm diese Spannungsfelder auf und fragte: "...und wie finden wir wieder zusammen?“

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Sie waren in Seevetal, Cuxhaven, Halle, Berlin und sogar Italien: Mehr als 100 Menschen haben den Medientag der Landeskirche Hannovers am 19. November digital verfolgt. In einer Podiumsdiskussion und Einzelimpulsen lautete die Leitfrage: „…und wie finden wir wieder zusammen?“ Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gebieten sprachen darüber, was sie in Pandemie-Zeiten als hilfreich empfunden haben und wo Gräben aufgerissen sind. 
Die Podiumsdiskussion sowie die Impulse von Elke Rothämel, Quinton Ceasar und Elvin Hülser können Sie hier in voller Länge sehen.

Beim Medientag der Landeskirche Hannover berichteten Dr. Ralph Charbonnier, Dr. Yazid Shammout, Sebastian Cramer und Sonja Anders aus den Bereichen Kirche, Pflege, Lebensmittel und Theater (v.l.). Jan Sedelies (Mitte) moderierte.

Ob im Theater, im Supermarkt, in Pflegeheimen oder in den Kirchengemeinden – überall haben die Menschen gelitten, mussten Einschränkungen hinnehmen und mit wütenden Reaktionen umgehen. „In der Anfangszeit war eine große Solidarität mit den Kassierern und Kassiererinnen spürbar, teils ein sensationelles Feedback“, berichtete etwa Sebastian Cramer, Geschäftsführer mehrerer Supermärkte in der Region Hannover während der Podiumsdiskussion zum Auftakt des Medientages auf die Fragen von Moderator Jan Sedelies. „Da begegneten viele Kundinnen und Kunden den Mitarbeitenden mit Freundlichkeit. Diese Einstellung ging dann leider schnell wieder verloren, später mussten wir sogar Sicherheitspersonal vor den Türen postieren, weil manche die Masken- und Wagenpflicht nicht einhalten wollten.“ Bis heute gebe es an jedem Morgen Gespräche mit den Marktleitenden, um die aktuellen Regeln immer klar kommunizieren zu können. „Im Team gibt es eine tolle Solidarität, die wir auch versucht haben, nach außen zu vermitteln.“

Sebastian Cramer (re.) ist Geschäftsführer einer Supermarkt-Kette. Bild: Christine Warnecke/EMA

Anders als Supermarkt-Angestellte konnte viele Schauspielerinnen und -spieler während des ersten Lockdowns nicht arbeiten. „Das war eine Katastrophe“, klagte auf dem Podium auch Sonja Anders, Intendantin am Schauspiel Hannover. „Das Publikum hat uns vermisst und wir das Publikum, denn online-Übertragungen sind einfach nicht dasselbe. Wir haben Zoom-Parties gemacht und versucht, die Leute irgendwie zu beschäftigen. Und betont: Wir sind da!“ Auch für das Theater ist die Krise längst nicht vorbei. Anders berichtete von künftigen 2G-Regelungen und zusätzlichem Abstand zwischen den Zuschauenden, um im Betrieb eine größtmögliche Sicherheit für alle Beteiligte zu bereiten.

Sonja Anders ist Intendantin des Schauspielhauses Hannover. Bild: Christine Warnecke/EMA

Nicht zu wenig, sondern noch mehr Arbeit hatten viele Pflegekräfte. „Es gab Momente des Hinsehens, der Bewunderung, Blumen und Klatschen für die, die die Kranken und Alten pflegen. Aber dann ist politisch viel schief gegangen – zum Beispiel hat die Auszahlung des Bonus nicht geklappt“, resümierte Dr. Yazid Shammout, Geschäftsführer der Dana-Pflege GmbH in dieser Runde. „Auch die diskutierte Impfpflicht jetzt setzt ein falsches Signal, weil es ohnehin zu wenig Personal gibt. Der Beruf wird falsch dargestellt, man sieht immer nur die Mühen – aber nicht die Dankbarkeit, schon wenn jemandem ein Glas Wasser gereicht wird.“
Für Shammout ist diese Polarisierung der Gesellschaft das Schlimmste an der ganzen Pandemie. „Wir machen den Konflikt auf: Geimpft gegen Nicht-Geimpft.“ Er wünsche sich von der Kirche in dieser Hinsicht ein offenes Aufeinanderzugehen, dass direkte Gespräche gesucht würden. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass Menschen abgestempelt werden.“

Dem stimmte Ralph Charbonnier, theologischer Vizepräsident im Landeskirchenamt, zu. Der Theologe betonte, dass "nur persönliche Gespräche verhärtete Situationen lockern". Mit Blick auf die neuerlich steigenden Corona-Zahlen erinnerte er an die "überwältigende Kreativität", mit der Mitarbeitende reagiert hätten. "Am Telefon waren viele dichte Gespräche möglich, die wir vorher nicht erahnt hatten." Nach einem relativ entspannten Sommer sei nun die Frage, wie ein zweiter Corona-Winter gestaltet werden könne. 

Dr. Yazid Shammout (li.) ist Geschäftsführer der Dana-Pflege GmbH und beschrieb die Situation in der Pflege. Bild: Christine Warnecke/EMA

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion konnten die Teilnehmenden des Medientages in drei Einzelimpulsen verschiedene Themen vertiefen. Den Auftakt machte Elke Rothämel, Leiterin der evangelischen IGS Wunstorf. 
Eine Gruppe, die teils zwischen den Fronten stand und um deren Erlaubnisse oder Verbote viel diskutiert wurde, waren Schülerinnen und Schüler. „Es gab Kinder, die gern die Vorgaben beachten wollten, die zu Hause aber anderes gesagt bekamen“, antwortete Rothämel auf die Fragen von Sedelies. „Es war teils eine echte Zumutung, wie viele Einschränkungen es gab. Wir haben versucht, immer klar zu kommunizieren, haben Infobriefe geschrieben, die immer länger wurden, aber sehr nachgefragt waren. Wir wollten um keinen Preis den Kommunikationsfaden reißen lassen.“ Es gelte, allen möglichst die Unsicherheit zu nehmen und so viele Entlastungen zu schaffen, wo möglich. 

Elke Rothämel, Schulleiterin der IGS Wunstorf, sprach über die Situation an ihrer Schule. Bild: Christine Warnecke/EMA

Für eine andere Gruppe, die zunehmend Gehör fordert – unabhängig von der Pandemie – sprach Quinton Ceasar, Pastor aus Wiesmoor bei Aurich, der digital dabei war. „Wenn wir uns die neue Spitze der EKD ansehen, sind es weiße Frauen. Soweit man es sieht, ist niemand Queeres, Farbiges oder Behindertes dabei. Schon daran sieht man: Es muss sich etwas tun in der Kirche.“ Zwar gebe es durchaus Bewegung in vielen Themen, doch weiterhin sei etwa nötig, für eine diskriminierungsfreie Sprache zu sensibilisieren. 
Ein zentraler Begriff sind für ihn „safe spaces“ – Räume, in denen sich frei ausgetauscht und vernetzt werden kann. Er selbst ist dazu auf Instagram unterwegs und diskutiert einmal in der Woche unter der Überschrift „black & breakfast“. „Kirche kann in den sozialen Medien ein Segen sein“, bekräftigte Ceasar. „Wir dürfen den Pappnasen nicht den Raum überlassen. Wir haben eine gute Botschaft und sollten sie verbreiten.“
Doch wird, wer Vorurteile hat, von sich aus in die Diskussion gehen? Wie kann man dennoch ins Gespräch kommen? „Nach meiner Erfahrung funktioniert es, wenn man den kleinsten gemeinsamen Nenner findet“, sagte der Pastor. „Es gibt zum Beispiel immer noch viele Deutsche mit Fluchterfahrung, die etwa aus Schlesien kamen oder deren Vorfahren geflohen sind. Wenn es gelingt, da konkret anzudocken und die eigene Biografie zu thematisieren, können sich heilende Gespräche entwickeln.“ Er sei oft auch überrascht, dass Fragen gestellt und Gespräche geführt würden und nicht nachgelassen wird - „Da nenne ich gern, meine Kirche der Hoffnung‘.“

Quinton Ceasar, Pastor aus Wiesmoor bei Aurich, war digital zum Medientag mit Moderator Jan Sedelies geschaltet. Bild: Christine Warnecke/EMA

„Nicht schweigen“, lautete auch die zentrale Antwort von Elvin Hülser vom Antikriegshaus Sievershausen, der mit Moderator Jan Sedelies über Verschwörungstheorien sprach. „Es gibt leider kein Patentrezept gegen Verschwörungstheorien - aber nichts zu sagen, wird definitiv nicht helfen, sondern das Gegenüber eher noch bestärken.“ Auch Hülser verwies auf das persönliche Gespräch als möglichen Weg, mit kruden Theorien umzugehen. Oft wichen Skeptiker und Verschwörer schnell auf andere Argumente aus, wenn sie Gegenwind spürten. „Vielleicht hilft es dann zu sagen: ,Lass uns mal bei diesem Punkt bleiben und den weiter ausdiskutieren‘. Und auch zu fragen: ,Und diesen Medien glaubst du mehr als anderen? Warum misstraust du den anderen?‘.“ 
Das Widerlegen von Verschwörungstheorien sei auch deshalb schwer, weil sie die Welt relativ einfach erklärten. „Und in Zeiten, in denen Menschen das Gefühl haben, die Übersicht zu verlieren, sich verunsichert fühlen, wächst das Bedürfnis danach. 

Elvin Hülser vom Antikriegshaus (li.) im Gespräch mit Moderator Jan Sedelies beim Medientag. Bild: Christine Warnecke/EMA

Der Medientag führte die Experten mit Zuschauenden aus vielen Orten zusammen - und die diskutierten über ein Chat-System fleißig über die Frage, wo Versöhnung gelingen kann und wo umgekehrt das Bemühen auch ein Ende haben darf. Die Meinungen gingen - passend zum Thema - weit auseinander: Von einem schlichten „Ja - um jeden Preis“ über „Eine zweite Chance hat jede*r verdient“ bis zu einem klaren „Nein, es gibt Grenzen“. Andere brachten Faktoren wie die Zeit ins Spiel: „Vielleicht geht es nicht morgen. Vielleicht aber nächstes Jahr...“. Oder: „Versöhnung muss ja nicht bedeuten, zwangsläufig auch einer Meinung zu sein. Versöhnung bedeutet für mich auch schon, überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen.“

Elvin Hülser vom Antikriegshaus (li.) im Gespräch mit Moderator Jan Sedelies beim Medientag. Bild: Christine Warnecke/EMA

Jan Sedelies diskutierte diese Fragen abschließend mit dem Theologischen Vizepräsidenten, Ralph Charbonnier, der eine Unterscheidung einforderte: „Wo werden andere Positionen nur vertreten – und wo sind diese Positionen unvertretbar? Die rote Grenze ist da, wo Menschen schlecht gemacht und entwürdigt werden. Wobei diese Unterscheidung natürlich wiederum manchmal schwierig ist.“ Die Meinungsfreiheit habe Grenzen, theologisch wie juristisch. Die Kirche könne zum Beispiel keinen Rassisten Raum geben: „Rassismus ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar.“
Im Chat stellte eine Nutzerin die Frage, ob es denn bei Themen wie Corona oder dem Klimawandel nur richtig oder falsch gebe. Charbonnier erwiderte, dass Menschen besonders in Extremsituationen wie der Pandemie schnell in ein binäres Denken gelangen würden: „Man will es schnell erklären und einordnen: Richtig oder falsch, ja oder nein, eins oder null. Aber wichtig ist auch, dass man dann einen Schritt zurücktritt und das Gesamtbild betrachtet.“ Im Hinblick sowohl auf die Corona-Einschränkungen als auch etwa das andere Megathema Klimafolgen sagte er: „Wir haben als Gesellschaft jahrzehntelang die Freiheit des Individuums als höchstes Gut gedacht – aber nicht die Konsequenzen für die anderen mit bedacht.“ 

Christine Warnecke/Themenraum
Dr. Ralph Charbonnier (li.) im Gespräch mit Moderator Jan Sedelies. Bild: Christine Warnecke/EMA

Zum Hören: Glücksmomente

Im Vorfeld haben Referent*innen und Organisator*innen des Medientags kleine Erfolgs- oder Glücksmomente berichtet und als Audio aufgenommen. Sie können auch diese Collage hier nachhören.

Tipps der Teilnehmenden

Während des Medientags diskutierten Zuschauende rege über einen Chat mit - und hatten diverse Literatur-, Web- und Linktipps, die wir gern erwähnen möchten:

Literaturtipps:
- Fake facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen (Katharina Nocum/Pia Lamberty)

- Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake news kontern: in der Familie, im Freundeskreis und online (Ingrid Brodnig)


- Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit (Mai Thi Nguyen-Kim)

- Climate action:  Psychologie der Klimakrise (Lea Dohm)

Podcast:

Rassismuskritisch in der Kirche unterwegs (VEM) - Link

(Online-)Magazin:
Sonderausgabe des Missionswerks Hermannsburg - Link

Link:
Desinformationstricks der Klimaleugner - Link