Startseite Archiv Tagesthema vom 13. November 2021

Andacht zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Im Frieden leben - aber Soldaten in die Welt schicken, Waffen bauen und Zäune ziehen? Über die Grenzen von Krieg und Frieden denkt Jakob Kampermann in seiner Andacht nach.

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„An meinem ersten Geburtstag“, erzählt mir eine inzwischen alte Frau, „da kam der Postbote zu uns und rief laut: ‚Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen!’ Dieser Einschnitt sollte dann unser Leben auf den Kopf stellen. Und die Menschen haben damals noch gar nichts geahnt.“ Mit 27 habe sie dann ihren Mann, den Vater ihres Kindes, im Krieg verloren – im Zweiten Weltkrieg. „Und Sie,“ sagt sie zu mir freudig, fast erleichtert, „Sie haben in ihrem Leben bisher nur Frieden erlebt. Das ist ein Wunder, darüber sollten Sie froh sein!“ 

Tatsächlich kenne ich (Jahrgang 1977) keinen Frontenkrieg, keine Flucht und keine vermissten Männer. Tatsächlich hat es in Deutschland seit 1945 keinen heißen Krieg gegeben. Ich habe lebendige Kindheitserinnerungen an Antikriegsdemonstrationen, Antiaufrüstungsdemonstrationen. Aber keine Erinnerungen an einen Krieg. Mit der Generation meiner Großeltern verschwindet die lebendige Erinnerung an den letzten großen Krieg in Europa. Aber damit verschwindet der Krieg nicht aus den Köpfen meiner Generation. Seit unsere Sicherheit nicht nur, aber auch, am Hindukusch verteidigt wird, gibt es wieder ganz frische und viel zu lebhafte Erinnerungen an Krieg.  Afghanistan ist eine Hausmarke für die Menschen, die die Erinnerungen mitbringen oder eben gar nicht wiederkommen. Grenzen wurden schon immer verschoben. Die Grenzen des Krieges werden es auch.

Wir leben im Frieden, aber schicken Soldaten in die Welt. Wir leben im Frieden, aber sind verwoben in eine kriegerische Welt. Wir leben im Frieden, aber produzieren Waffen. Unser Frieden hat nichts zu tun mit Glauben und Liebe. Wir rüsten auf, rüsten unseren Frieden ein, bauen einen Schutzwall um dieses kostbare Gut. Miteinander auf dieser Welt können wir es nicht anders, so scheint es. Verteidigung mit vielen, zur Not auch mit allen Mitteln? Das wurde in den vergangenen Jahren politisch immer wieder diskutiert. Weltweit sickert immer mehr durch, dass man einen Krieg gewinnen kann, aber damit noch lange keinen Frieden gewonnen hat. Wir leben in einem brüchigen Frieden, einem Frieden, der angreifbar ist mitten in einer Welt von Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Kein Frontenkrieg, aber ein Frieden, der mit dem Krieg rechnet. Ein Frieden voller Anspannung und Befürchtungen…

Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Das ist die Grundlage für Frieden, der hält, was er verspricht. Wer sich selbst nicht fürchtet, muss auch keinen anderen das Früchten lehren. Wer selbst nicht schreckhaft ist, muss keinen Schrecken verbreiten. Der muss keine Raketenschutzschilde installieren und keine Nachbarländer überfallen. Nicht vor 80 Jahren, und heute nicht. 
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. So finden Begegnungen statt. So ist Frieden möglich. 

Ja, vielleicht sehnt sich Gott nach ‚Friede auf Erden’; nicht nur nach Waffenruhe, nicht nach mit Waffengewalt gesicherten Kompromissen. Nach einer Welt, in der „Wölfe bei den Lämmern wohnen“ (Jes 11,6) – angstfrei.
Und wir mit ihm?

Amen.

Jakob Kampermann
Pavlofox/Pixabay

Der Text zur Andacht

Meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Johannesevangelium 14, 27
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