Arbeit mit Geflüchteten: "Der Bedarf ist durchaus noch da"
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Frau Albers, Sie haben 2015 gemeinsam mit anderen die Willkommensinitiative „Pro-F“ in Bispingen gestartet. Haben Sie damals auch afghanische Familien betreut?
Annegret Albers: Ja, drei Familien, von denen zwei inzwischen weitergezogen sind. Eine Familie, die sehr gut integriert ist, wohnt hier noch. Die werden uns womöglich bald selbst als Ehrenamtliche helfen können: Ganz aktuell bekommen wir nach langer Zeit wieder afghanische oder syrische Geflüchtete zugewiesen - und können sprachliche und kulturelle Verständigung gut gebrauchen.
Die Initiative hat sich Ende 2020 offiziell aufgelöst. Als Mitarbeiterin der Gemeinde Bispingen kümmern Sie sich aber immer noch um Alltagsprobleme von Geflüchteten. Was hat Sie dazu bewogen?
Annegret Albers: Die Integration von Neuzugewanderten ist in erster Linie eine kommunale Aufgabe und gehört jetzt zu einem kleinen Teil mit zu meinem Arbeitsfeld. Es gibt natürlich immer noch Unterstützungsbedarf, auch bei denjenigen, die nun schon seit einigen Jahren hier leben.
Wie kamen Sie dazu, eine solche Gruppe zu starten und so lange dabeizubleiben?
Annegret Albers: Der Beweggrund für die Gründung 2015 war, dass zu dieser Zeit viele Geflüchtete zu uns kamen. Wie in jeder Kommune wollten zahlreiche Menschen helfen, es gab aber keine Strukturen und kein Geld. Das war bei uns in Bispingen nicht anders als anderswo. Wir hatten dann das große Glück, dass Menschen sich zu einer Struktur des Helfens zusammengefunden haben. Die Kirchengemeinde tat sich zusammen mit der politischen Gemeinde, die Finanzierung für die ersten beiden Jahre leistete der Rotary-Club Soltau. So entstand meine Stelle als Koordinatorin des Projekts. Ich bin da weitgehend ins kalte Wasser gesprungen und habe mich freischwimmen müssen. Am Ende ist mit der Hilfe sehr vieler Menschen eine großartige Arbeit entstanden: ein Weltcafé, ein großer Stamm an Ehrenamtlichen als Alltagsbegleiter von Geflüchteten und eine Frauenarbeit.
Was hat damals aus Ihrer heutigen Sicht besonders gut geklappt?
Annegret Albers: Prinzipiell waren die Aufgaben und Baustellen so komplex und individuell, da gab es keine Standardlösungen. Und ich denke, das gilt bis heute: Jede Person, jede Familie, jede Lebensgemeinschaft braucht individuelle Begleitung. Wichtig war damals die fachliche Ausbildung: Wir haben monatliche Fortbildungen und regelmäßige Treffen angeboten. Auch Supervision war im Rückblick sehr wichtig - denn die Fülle an Themen und die Tiefe mancher Lebensgeschichten waren enorm. Da hat die Beratung geholfen, dass die Seele auch verarbeiten kann, was man gesehen und gehört hat.
Ist das auch eine Erkenntnis für diejenigen, die heute Ortskräfte aus Afghanistan begleiten wollen?
Annegret Albers: Das Begleiten der Ehrenamtlichen bei ihrem Einsatz ist unbedingt ein Erfolgsrezept, damit es gut laufen kann. Dass viel inneres Engagement vorhanden ist, stellt ja niemand infrage. Aber es gibt so viel zu tun, zu regeln, auszuhalten. Alles dauert länger als gewollt, die Wohnung wird nicht zugewiesen und so fort. Da kommt der Frust-Moment bestimmt, die Frage ist nur, wann. Es braucht Austausch, damit die Seele nicht leidet - sowohl beim Geflüchteten als auch beim Helfer.
Und wie stand es um den Austausch mit anderen Initiativen und professionellen Helfern?
Annegret Albers: Wir haben viel Hilfe von den Migrationsberatern bekommen, insbesondere vom Diakonischen Werk. Ich bin selbst ja keine Fachfrau, ich habe immer gesagt: Wir finden schon jemanden, der uns hilft. Da haben wir uns immer die entsprechende Fachberatung geholt - etwas das Netzwerk für traumatisierte Geflüchtete, nachdem es sich gegründet hatte.
Was hat Sie persönlich dazu gebracht, sich so viele Jahre in diesem Bereich zu engagieren?
Annegret Albers: Ich war schon immer kirchlich sehr engagiert: Als junge Erwachsene habe ich einen Jugendchor aufgebaut, dazu verschiedene Dienstbereiche für Ehrenamtliche unter dem Aspekt der gabenorientierten Mitarbeit. Das war Ende der 90er Jahre ziemlich neu in unserer Landeskirche. Ich bin geprägt worden durch die Willow-Creek-Kongresse. Dann haben mich unsere beiden Pastoren ermutigt, eine Langzeitfortbildung als Freiwilligen-Managerin zu machen. Mein beruflicher Hintergrund ist eigentlich ein ganz anderer, aber ich bin dann durch diesen Quereinstieg als Koordinatorin in ein Diakonie-Projekt gekommen. 2015 sah ich dann die Not der Migration und habe gebetet: „Herr, habe ich da eine Aufgabe?“. Und dann kam kurz danach die Ausschreibung für die Projektstelle. Für Ehrenamtliche und überhaupt für Menschen schlägt mein Herz einfach schon immer. So kamen meine Erfahrung aus 25 Jahren davor und die aktuelle Lage zusammen: Das passte einfach.
Welche Bedeutung hatte der christliche Glaube für Sie und für die Initiative?
Annegret Albers: Für mich persönlich spielte und spielt das eine große Rolle. Ich war zudem von 2014 bis 2019 Mitglied der Landessynode und konnte dadurch auch in dieses Gremium die Arbeit vor Ort spiegeln und zugleich das große Bild sehen. Das Weltcafé haben wir im großen Saal der Kirchengemeinde durchgeführt, auch Mitarbeiterschulungen. Aber mein Büro für die Beratung war im Rathaus, das liegt zentraler und ist auch weltanschaulich neutral, ein ganz wichtiger Punkt.
Nun haben wir 2021. Wie steht es inzwischen um die Geflüchteten von damals - haben Sie noch den Überblick?
Annegret Albers: Mir ist vor allem wichtig, dass es nachhaltig gewirkt hat. Dazu ein Beispiel: Wir hatten 2016 einen großen Stand mit allen Beteiligten auf unserem Bispinger „Heidemarkt“. Dort wurden Buttons verteilt, mit Slogans wie: „Bispinger Urgestein“, „Ich bin neu aus…“, oder „Zweite Heimat Bispingen“. Vor allem Letzteren wollten dann ganz viele haben. So kamen wir auf den Begriff „Zweitheimische“, der sich als liebevolle Ergänzung zu „Einheimische“ bis heute bei uns gehalten hat. Viele sind wirklich hier angekommen und heimisch, soweit es bis heute möglich ist. Ein Bruch war die Corona-Zeit. Seitdem sind die Kontakte nicht mehr so da. Wir sind erst jetzt wieder dabei, sie erneut zu etablieren. Manche sind in große Städte gezogen, wenn es ihnen bei uns zu ländlich war. Oder wenn Verwandte anderswo in Deutschland leben.
Was ist aus Ihrer Sicht das, was wir als Gesellschaft aus dem enormen Engagement von Gruppen wie „Pro-F“ mitnehmen können?
Annegret Albers: Vor allem, dass es eine wahnsinnig wichtige und zugleich für alle positive Sache ist. Denn bei aller Arbeit war das für uns alle auch ein ganz großer persönlicher Gewinn. Und das Engagement geht ja bei vielen durchaus im Kleinen weiter. Die Geflüchteten von damals haben – wie wir alle in unserem Alltag - immer wieder Baustellen: mit der Familie, mit der Arbeit. Da bin ich auch nach wie vor Ansprechpartnerin. Mit den Ehrenamtlichen treffe ich mich weiterhin, wir halten das wach. Der Bedarf, der uns damals zum Engagement getrieben hat, ist aus meiner Sicht nach wie vor da.
Alexander Nortrup / Themenraum