"Unser Ziel ist es, schnell zu vermitteln und zu helfen"
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Herr Fröhlich, der Abzug der letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan und die gleichzeitige dramatische Evakuierung eines Teils der afghanischen Ortskräfte haben Ende August die Öffentlichkeit in Atem gehalten. Ihr Verein will den von den Taliban mit dem Leben bedrohten Afghanen helfen, in Deutschland anzukommen - gegründet wurde das „Patenschaftsnetzwerk“ aber schon 2013. Aus welchem Anlass?
Alexander Fröhlich: Ganz einfach: Die ersten Ortskräfte kamen schon damals hier an - und es gab sofort enormen Unterstützungsbedarf. Der Verein hat dann ehrenamtliche Paten vermittelt: Jede Familie sollte möglichst einen Begleiter oder eine Begleiterin bekommen für Behördengänge, Fragen rund um Schule, Wohnung, Stromverträge und vieles mehr. Das lief sehr intensiv, zwischenzeitlich wurde es dann deutlich ruhiger, weil immer weniger Menschen kamen. Ende 2020 wollte sich das Netzwerk schon auflösen - aber dann kam der Beschluss zum Abzug aus Afghanistan.Und plötzlich gab es mehr zu tun als je zuvor.
Wie sieht nun ihr Alltag aus?
Alexander Fröhlich: Wir führen eine lange Liste von mehreren Hundert Menschen aus ganz Deutschland, die Paten werden wollen. Und zugleich eine ähnlich lange Liste mit den Ortskräften, ihren neuen Wohnorten. Wir bekommen jeden Tag mehr Kontakt zu ihnen. Das Ankommen läuft unterschiedlich gut: In Großstädten und ihrem Umland ist die Unterstützung oft größer, im ländlichen Raum schleppender. Die Offenheit für die Neuankömmlinge ist dort nicht immer so groß.
Nach welchen Kriterien wählen Sie diejenigen aus, die den Afghanen als Paten beim Einstieg in Deutschland helfen?
Alexander Fröhlich: Wir machen keinen Hintergrundcheck und führen auch keine 30-minütigen Interviews. Selbst die Idee, polizeiliche Führungszeugnisse einzufordern, haben wir verworfen: Dadurch bauen wir Barrieren auf und schrecken ab. Unser Ziel ist es, schnell zu vermitteln und zu helfen. Das wollen wir nicht unnötig erschweren. Ich schreibe mit den Interessenten Mails und telefoniere regelmäßig mit ihnen, wenn es ernst wird. Also wenn eine Familie in ihrer Region ankommt und sich auf Hilfe freut.
Wie geht das ganz praktisch?
Alexander Fröhlich: Interessenten können einfach eine formlose Mail an info@patenschaftsnetzwerk.de schreiben - wir melden uns dann.
Kann es dann relativ schnell losgehen mit der Betreuung?
Alexander Fröhlich: Bewerben kann man sich immer. Aber wir können nicht garantieren, dass es sofort eine Ortskraft-Familie gibt, die vermittelt werden kann. Neulich hat sich eine Frau aus Düsseldorf gemeldet. Fast am gleichen Tag erfuhren wir, dass eine Familie dorthin kommt. Am Telefon stellte sich dann heraus, dass die potenzielle Helferin doch 80 Kilometer entfernt wohnte. Wir finden aber, die Distanz zur Patin sollte maximal 20 Kilometer betragen, um auch wirklich vor Ort vorbeischauen zu können.
Und wie steht es um die Mission der Helfenden - auf welche Aufgaben sollten sie sich einstellen?
Alexander Fröhlich: Es geht um Begleitung zu Arztterminen, Wohnungssuche, Hilfe bei Anträgen und Behördengängen. Grundsätzlich erwarten wir keine Wunderdinge. Für uns gilt: Ich mache das, was ich kann und will. Es geht nicht um 24-Stunden-Rundum-Betreuung. Wir finden es vor allem wichtig, den Familien einen Ansprechpartner zu vermitteln, der oder die mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut ist. Alles andere ergibt sich mit der Zeit.
Sie stehen täglich im Kontakt mit verzweifelten Afghanen im ganzen Bundesgebiet. Welche Beispiele sind Ihnen besonders präsent?
Alexander Fröhlich: Es gibt Leute, denen beim Verlassen der Erstaufnahme die Reisepässe abgenommen wurden. Die sollten an die Ausländerbehörde geschickt werden - sind aber nach zwei Monaten immer noch nicht angekommen. Und werden jetzt dringend gebraucht, um ein Bankkonto zu eröffnen. Ein anderes Beispiel: Das Jobcenter zahlt längst die Krankenkassenbeiträge für die ganze Familie, die Kinder haben aber noch keine Gesundheitskarte. Ich bekomme von der Familie eine Vertretungsvollmacht und stelle fest: Es liegt keine Geburtsurkunde vor, weil die eben in Afghanistan nicht benötigt wurde. Nun kann sie dort aus politischen Gründen nicht mehr beschafft werden - und es muss eine unbürokratische Lösung her. Das geht auch meist, braucht aber Begleitung und Unterstützung. In manchen Fällen spricht die Mutter nur Dari, der Vater immerhin gebrochen Englisch. Dann ist es wichtig, Prioritäten zu setzen: Zuerst Deutsch lernen, vielleicht auch vorher ein Alphabetisierungskurs. Und dann kommt alles andere.
Die Sprache ist für die Helfer aber schon eine gehörige Barriere - wie soll das denn konkret funktionieren?
Alexander Fröhlich: Das ist richtig. In der Regel sprechen viele Ortskräfte nicht deutsch, die Mehrheit auch kein Englisch. Es gibt viele, die nur Dari können. Und auch viele Analphabeten. Ich besuche in dieser Woche Woche eine neunköpfige Familie in Eisenhüttenstadt. Dabei wird eine ehemalige Ortskraft, der inzwischen für die Diakonie arbeitet, mich begleiten und dolmetschen. Ich persönlich bin ein sehr ungeduldiger Mensch. Aber als Begleiter muss ich unglaublich geduldig sein - denn anfangs bekommen diese Menschen Briefe vom Jobcenter und verstehen einfach nichts. Dann gilt es, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen - und auch mal Dinge mehrfach zu erklären. Um solche Situationen zu verstehen, muss man sich mit den Paten vorher schon genauer unterhalten. Und im Zweifel auch mal mitgehen zu den ersten Terminen.
Verstehe ich das richtig - die Bundesregierung hat diese Menschen nach Deutschland fliegen lassen und überlässt sie nun weitgehend ohne besondere Hilfe ihrem Schicksal?
Alexander Fröhlich: So war das schon, als die ersten afghanischen Ortskräfte vor sieben Jahren kamen. Sie wurden nicht von staatlicher Seite irgendwie begleitet. Natürlich können sie zu den Migrations- und Sozialberatungen gehen, häufig von der Diakonie. Aber es ist nicht so, dass irgendjemand sie aktiv fragt: Was ist denn los? Was braucht ihr? Hauptamtlich wird da nichts aufgebaut. Unser Verein bekommt auch keine öffentliche Förderung. Die aktuell drei Stellen für Sozialarbeiter haben wir als Verein auf Spendenbasis finanziert.
Mit drei Personen können Sie doch durchaus einiges stemmen.
Alexander Fröhlich: Das stimmt, und das tun wir auch. Allerdings haben wir auch noch eine andere, aus unserer Sicht sehr wichtige Baustelle: Wir sind mit Ortskräften, die in Afghanistan geblieben sind, im intensiven Kontakt. Wir helfen als Verein gerade Dutzenden Familien und Einzelpersonen, auch nach dem offiziellen Ende der Evakuierungen wenn irgend möglich nach Deutschland zu gelangen. Menschen vor den Taliban retten, Familien zusammenführen, das halten wir aus humanitärer Sicht für das Vordringlichste. Und im Zweifel auch für noch wichtiger als die berechtigten Probleme einer afghanischen Familie in ihrer Übergangswohnung im ländlichen Raum.
Welche Forderung haben Sie an die Politik angesichts dieser Lage?
Alexander Fröhlich: Wir finden, dass es eine hauptamtliche Betreuung dieser Familien geben sollte. Als Verein könnten wir problemlos weitere Sozialarbeiter einstellen, um die Betreuungsdichte und eine entsprechende Qualität sicherzustellen. Das wäre ein erheblicher Beitrag zur Integration dieser Familien. Dafür brauchen wir aber die finanziellen Ressourcen.
Alexander Nortrup / Themenraum