Startseite Archiv Tagesthema vom 31. Oktober 2021

Andacht zum Reformationstag

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Wer schreibt meine Biographie?
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Die Antwort auf diese Frage ist eine doppelte: Erstens: ich. Zweitens: aber nicht allein.
Zum Ersten also: Wer schreibt meine Biographie? - Ich! Wer denn sonst? Die Geschichte meines Lebens erzähle ich. Meine Erlebnisse, was ich schaffe und erreiche - das ist die Geschichte meines Lebens.
Und das ist gut so. Es ist gut, wenn Leistung zählt. Man muss da nicht immer gleich peinlich berührt oder misstrauisch werden und über die ach so schlimme Leistungsgesellschaft wehklagen. Leistung heißt immer auch Befreiung. Ich kann mein Schicksal in die eigene Hand nehmen.

Die Geschichte unseres Lebens ist die Geschichte unserer Leistungen. Das ist das Gesetz des Lebens. So funktioniert diese Veranstaltung. Luther, an den wir zum Reformationstag besonders denken, hat immer betont: Dieses Gesetz des Lebens ist von Gott gegeben, so hart es manchmal sein mag. Luther hat dafür ein großartiges Bild gefunden. Gott habe den Menschen zwei Predigten gehalten.

Und damit sind wir beim Zweiten.
Wir schreiben die Geschichte unseres Lebens selbst. Aber eben nicht allein. Ein anderer, Gott, hat den ersten Satz unserer Geschichte geschrieben. Bevor wir anfingen, an unserer Geschichte zu stricken, hat er in das Buch unseres Lebens eingetragen: Ich hab dich je und je geliebt. Aus lauter Güte und Gnade habe ich dich zu mir gezogen.
Gottes Liebe hört nicht auf, wenn wir scheitern und schlimme Fehler machen. Dafür steht die Geschichte von Jesus Christus. In seinem Gesicht erkennen wir Gottes Liebe zu uns, die unabhängig von dem ist, was wir zustande bringen. Eine Liebe, die auch den schlimmsten Abgrund durchsteht und dann spricht: Ich hab dich je und je geliebt.

Der Reformationstag ermuntert uns mit Lust an unserer eigenen Biographie zu schreiben. Absatz für Absatz und Seite um Seite. Dinge, die uns gelingen, auf die wir stolz sind, über die wir uns freuen. 
Bevor wir aber weiterschreiben, sollten wir wohl jedesmal die erste Seite unserer Biographie aufschlagen und den ersten Satz lesen. Und wenn wir uns trauen, können wir auch die letzte Seite aufschlagen und den letzten Satz lesen, der dort auf uns wartet. Es ist beide Male derselbe Satz, der unser Leben rahmt: Ich hab dich je und je geliebt. Aus lauter Güte und Gnade habe ich dich zu mir gezogen.
Gott hat diese Sätze in unsere Biographie geschrieben. Gottes Lieben umrahmt unser Leben und hält und trägt alles, was wir in den Seiten dazwischen selbst zu schreiben haben.

Wer diese Sätze von Gott verinnerlicht, wer Gott sein Lieben glaubt, den befreit es dazu, in seiner Biographie auch von dem zu schreiben, was uns nicht gelingt. Was wir anderen schuldig bleiben, was wir an Chancen verschlafen, wofür wir uns schämen. Unsere Biographie wird damit um ein vielfaches umfangreicher. Ein dickes Buch. Ein Buch voller Leben. Ein Leben gerahmt und gehalten von Gottes Lieben.
Amen.

Jakob Kampermann
Ein Füller schreibt mit Tinte auf einem Pergament. (Foto: flickr.com / Joel Montes de Oca / CC BY 2.0)
Ein Füller schreibt mit Tinte auf einem Pergament. (Foto: flickr.com / Joel Montes de Oca / CC BY 2.0)

Der Text zur Andacht

Die erste Predigt und Lehre ist das Gesetz Gottes, die zweite ist das Evangelium. Diese zwei Predigten kommen nicht aufs gleiche heraus. Darum muss man ein gutes Verständnis dafür haben, dass man sie zu unterscheiden verstehe und wisse, was das Gesetz sei und was das Evangelium. Das Gesetz gebietet und fordert von uns, was wir tun sollen, es ist allein auf unser Tun gerichtet [...]. Das Evangelium aber predigt nicht, was wir tun oder lassen sollen [...], sondern wendet es um [... und] heißt uns nur den Schoß hinhalten und nehmen und spricht: Sieh, lieber Mensch, das hat dir Gott getan.

Text: Martin Luther, Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll (1522), in: ders.: Ausgewählte Schriften, hg. v. Karin Bornkamm u. Gerhard Ebeling, Bd.2, Frankfurt 21983, S.197-205, hier: 200.

Psalm 103, 1 - 9
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