Startseite Archiv Nachricht vom 27. August 2021

Erinnerung an die Deportation der Wolgadeutschen vor 80 Jahren

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80 Jahre ist die Vertreibung der Wolgadeutschen aus ihren Dörfern her - Familien wurden gewaltsam getrennt, tausende Menschen kamen ums Leben, die überlebenden Deportierten mussten in der Arbeitsarmee, der sog. Trudarmee, Zwangsarbeit leisten. Wir erinnern ihrer und Landesbischof Ralf Meister zieht in einem Grußwort aus der Geschichte Lehren für Heute.

Er wurde von Soldaten abgeholt, ohne zu wissen, wo es hingeht. Mitnehmen durfte Victor Ebel nur das, was er in einer Kiste tragen konnte. Seine Frau und die Kinder blieben weinend zurück. Manche von ihnen wurden später ebenfalls abgeholt – und nach Sibirien deportiert und zu Zwangsarbeit herangezogen. Mehrere Familien mussten sich ein Haus teilen, „es gab nichts zu essen, nichts zu trinken“, erzählt Ella Ebel. „Abends saßen die Frauen zu viert um eine Kerze, strickten weinend und sangen Gotteslieder.“ Heute leben beide in Ostfriesland – und teilen gern ihre Erinnerungen.
Das Ehepaar gehört zu den Wolgadeutschen: Familien, die seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf russischem Gebiet entlang der Wolga lebten. Viele waren einem Aufruf Katharina II. Ende des 18. Jahrhunderts gefolgt, sie sollten das Land urbar machen und für ein Bevölkerungswachstum sorgen. Doch 1940, im zweiten Weltkrieg, galten die Russlanddeutschen als Kollaborateure mit dem faschistischen Regime. Am 28. August 1941 kam es zum Erlass „Über die Umsiedlung der im Wolgagebiet ansässigen Deutschen“ – etwa zwei Drittel der 600.000 Einwohner der Wolgadeutschen Republik wurden daraufhin nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Familien wurden gewaltsam getrennt, tausende Menschen kamen durch Erschöpfung, Krankheit, Kälte und Hunger ums Leben. Insgesamt wurden mehr als 900.000 Russlanddeutsche umgesiedelt, Hunderttausende in die Trudarmee, die Arbeitsarmee, eingezogen. 

Das Ehepaar Ebel (rechts) mit ihrer Tochter Olga Gessler (links). Bild: Ulrike Kirschstein

„Die Luther-Bibel, das wolgadeutsche Gesangbuch, Gebetbücher und Lesepredigten waren kostbare Schätze, die sorgsam verwahrt und unter großer Gefahr benutzt wurden“, verdeutlicht Landesbischof Ralf Meister die Situation vor 80 Jahren in einem Grußwort zu diesem Jahrestag der Vertreibung. „Die Mehrheit der Wolgadeutschen waren evangelische Christen. Ihre Kirche wurde schon 1937 von den Sowjets zerschlagen. Ihr Glaube lebte aber im Verborgenen in zahl reichen Hauskreisen und „Brüderstunden“ weiter. Viele dieser bibeltreuen Menschen verstanden Leid und Verfolgung als eine Prüfung auf dem Weg in das Reich Gottes. Die Erwartung einer heilvollen und herrlichen Zukunft, wie sie im Jesajabuch für die Zeit nach dem babylonischen Exil prophezeit wird, war für die deportierten Russlanddeutschen eine lebenswichtige Hoffnung, die ihnen Kraft und Orientierung gab.“ Aus diesen geschichtlichen Erkenntnissen resultiert Verantwortung für die Menschen, die heute bei uns eine neue Heimat suchen, so Meister.

Zur Erinnerung und zum Gedenken an die Vertreibung der Wolgadeutschen finden daher verschiedene Veranstaltungen statt, etwa ein Gedenk- und Friedensgottesdienst am 29. August in Norden und eine Kranzniederlegung am 5. September in Friedland. Auf der Website 80-jahre.wir-e.de finden Sie die Termine, außerdem Zeitzeugen-Stimmen, Gottesdienstbausteine, Predigtentwürfe und weitere Materialien. 

Themenraum/mit Informationen der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld
Landesbischof Ralf Meister mahnt, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Bild: Jens Schulze