Den Spaß an der Schule nicht verlernen // Das war 2020 #4
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Mit Deutsch ist Mohammed schon fertig, jetzt ist Mathe dran. „Nachher bekomme ich dafür eine Eule“, sagt der Zehnjährige und zeigt auf die kleinen Aufkleber neben seinem Schulheft. Für jedes Häkchen hinter einer Aufgabe gibt es eine. Der Zweitklässler kommt jeden Morgen ins Gemeindehaus der evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde in Lüneburg. Ehrenamtliche lernten dort in den Ferien mit Kindern aus benachteiligten Familien. Das Lüneburger Modell war das erste seiner Art in Niedersachsen, andere Gemeinden zogen nach.
Die Idee dazu entstand wie folgt: Angesichts der Schwierigkeiten in der Corona-Krise wollten das Land Niedersachsen und die Kirchen gemeinsam benachteiligten Schülerinnen und Schülern zur Seite stehen. Dafür wurden evangelische und katholische Gemeindehäuser an vielen Orten im Land zu außerschulischen „Lernräumen“.
Denn oft stießen Eltern an ihre Grenzen, wenn sie neben dem Homeoffice auch noch das Homeschooling unter einen Hut bekommen sollten. In den Lernräumen wurde mit ehrenamtlichen „Lernpaten“, durch Computerarbeitsplätze oder mit spielerischen Angeboten, in denen Gelerntes vertieft wird, unter die Arme gegriffen. Denn spielerisch lernt man nun mal am besten.
„Es ging uns darum, ein Betreuungsangebot zu schaffen, das die Eltern entlastet und von den Kindern Druck nimmt“, unterstrich Landesbischof Ralf Meister. Eines der Ziele war, Schulstoff nachzuholen, der in den vergangenen Wochen gar nicht oder nur teilweise vermittelt worden sei. „Aber mindestens ebenso wichtig ist es, dass Kinder spielen können, sich mit anderen austauschen und dass Menschen da sind, die Zeit haben, ihnen zuzuhören.“ Damit sie am Ende nicht die Leidtragenden sind.
Und Idee und Konzept gingen auf. Die Resonanz war sehr gut. Nach Lüneburg folgten auch Initiativen in Bückeburg, Stadthagen, Bremerhaven, Wunstorf, Tostedt, Eystrup – und viele weitere mehr. Was mit der Betreuung in den Sommerferien begann, wurde auch in den Herbstferien weitergeführt – und dauert teilweise noch immer an.
Die Teilnahme ist dabei freiwillig und kostenlos. Genau wie in Nordhorn. Kinder und Jugendliche, die freiwillig in den Herbstferien die Schule besuchen? Klingt ungewöhnlich, ist es auch. Aber normal ist nichts, wenn weltweit eine Pandemie umhergeht. „Wenn man in den Ferien ohnehin nicht wegfahren kann oder will, ist es doch toll, gemeinsam mit Freunden zu lernen“, sagt Dr. Gabriele Obst.
Die Leiterin des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn war in der ersten Herbstferienwoche regelmäßig im Schulgebäude anzutreffen, denn dort übten Kinder aus den Jahrgängen 5 bis 8 mit „Lernbegleitern“ aus dem 12. und 13. Jahrgang. Um 9 Uhr begann der Tag mit lockeren Spielen, dann folgte eine Stunde Lernzeit. Nach einer Pause wurde noch einmal anderthalb Stunden geübt. Ein voller Erfolg!
Ebenso in Hannover-Döhren: Während sie auf einem roten Plüschsofa sitzen, tasten sich Schireni und Asmita Wort für Wort durch ein Buch mit Ballettgeschichten. Wie viel es da zu entdecken gibt! Mit großer Beharrlichkeit lesen die Elfjährige und ihre Schwester, die in die 2. Klasse geht, sich gegenseitig laut vor. Mit ihrer Mutter sprechen sie zu Hause Tamilisch, mit dem Vater Deutsch. Noch mehr verstehen, noch besser in der Schule mitkommen – für die beiden Mädchen sind das sehr positive Ziele. Im „Lernraum“, den die Kirchengemeinde St. Petri in Hannover-Döhren in den Herbstferien angeboten hat, war Lesen auch deshalb ein wesentlicher Baustein.
Schireni und Asmita waren zwei von zehn Kindern, die in den beiden Ferienwochen teilgenommen haben. „Corona hat vielen Kindern im Frühjahr monatelang den regelmäßigen Präsenzunterricht geraubt. Die Folgen davon sind noch immer spürbar“, sagt Ulrike Marisken, die mit Corona-Abstand auf einem gemütlichen Lehnsessel neben dem Sofa sitzt und die beiden Mädchen beim Lesen unterstützt. Natürlich könne eine Woche in den Schulferien nicht alles ausgleichen. „Aber jede Wortschatzerweiterung ist gut“, sagt die ehrenamtliche Helferin, die auch schon mehrere Jahre als Patin für die Stiftung Lesen in Schulen geholfen hat. „Und es macht großen Spaß, hier die Fortschritte zu beobachten.“ In der St.-Petri-Gemeinde gibt es einen großen Saal, in dem der gemeinsame Tagesstart und die Mahlzeiten stattfinden, dazu weitere Räume, auf die sich die Gruppe mit viel Abstand aufteilen kann.
Die Kinder basteln, machen Lernspiele zu Städten, Flüssen, Tieren und vieles mehr. Auch Bewegung ist dabei ein wichtiger Baustein. „Wir stellen diese Räume ganz bewusst zur Verfügung, um Kindern und Jugendlichen eine Chance zu geben“, sagt Regionaldiakonin Silke Wieker, die das Angebot mit Ehrenamtlichen auf die Beine gestellt hat. „Hier haben sie einen Ort, wo sie lernen und spielen und zugleich auch geborgen sind. Für mich ist das die nobelste Aufgabe von Kirche: Menschen dabei zu helfen, eine Heimat zu finden.“
„LERNRÄUME“ Schulen, Kirchengemeinden, Vereine und Initiativen öffneten in den Sommer- und Herbstferien ihre Türen und boten Orte an, an denen Kinder gemeinsam lernen und Gemeinschaft lernen konnten. Das Modellprojekt wird getragen von der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und den katholischen Bistümern in Hildesheim und Osnabrück. Caritas und Diakonisches Werk in Niedersachsen sind Kooperationspartner.
Das Land Niedersachsen fördert und unterstützt das Projekt. Landesweit waren mehr als 6.500 Kinder und Jugendliche in rund 600 „LernRäumen“ aktiv dabei – etwa in Kirchengemeinden, Schulbauernhöfen, Volkshochschulen, Jugendherbergen und natürlich in zahlreichen Schulen.