Bursfelde wird zum "Kloster auf Zeit" // Das war 2020 #3
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Indian Summer im Reinhardswald. Wer über den schmalen Waldweg von Dransfeld nach Bursfelde im Landkreis Göttingen fährt, gleitet durch einen herbstlichen Tunnel in leuchtendem Orange-Rot. In dem 40-Seelen-Ort angekommen, öffnet sich der Blick auf stattliche Mauern: das evangelische Kloster Bursfelde, ehemalige Benediktinerabtei aus dem Jahr 1093. Das 300 Hektar große Klostergut mit seiner romanischen Kirche ist an diesem Wochenende fest in der Hand von zwölf jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren.
Sie sind aus vielen Orten Deutschlands ins Weserbergland gekommen. Neun Monate bilden sie eine Gemeinschaft, eine ökumenische „Kommunität auf Zeit“. Sie möchten Kraft schöpfen aus der Spiritualität des Klosters. Gemeinsam beten sie, schweigen, arbeiten, essen, reden, singen und lachen – geeint auf der Suche nach ihrem Glauben im Alltag. Einer von ihnen ist Rumen Grabow.
Der Greifswalder zog nach seinem Abitur ins Wendland, um dort eine Bäckerlehre zu beginnen. „Ich pendelte immer nur zwischen der Arbeit und meinem Zuhause und wusste: Es fehlt etwas. Ich sehne mich danach, mit anderen über tiefere Themen zu sprechen, zum Beispiel über die Frage, wie ich zu Gott stehe“, erzählt der 19-Jährige: „Das Klosterprojekt kam wie gerufen.“
Viermal innerhalb der neun Monate kommen die Mitglieder für jeweils drei bis sieben Tage in Bursfelde zusammen. Dazwischen halten sie über Chats, Videotelefonate und soziale Medien Kontakt. Jede Woche sendet reihum einer aus der Gruppe ein Gebet, ein Foto, einen Impuls, der dazu anregt, sich mit den anderen auszutauschen und die klösterlichen Erfahrungen in den Alltag zu integrieren.
Auch Wilko Sieberns findet den Gedanken, sich einer Gemeinschaft zu verpflichten, reizvoll. Der 25-jährige Mathestudent aus Münster sagt: „Es gibt immer mehr Individualisierung. Jeder möchte das größte Stück vom Kuchen. Das ist hier anders. Und das tut gut.“
Finanziert wird das Projekt über Fördergelder des Hauses kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers sowie von der Heinrich-Dammann-Stiftung. Die Teilnehmer müssen einen Eigenbeitrag von 100 Euro leisten.
Drei Durchgänge des Projekts sind gesichert. „Ora et labora“ – Gebete und Gartenarbeit: Die Tage im Kloster sind strukturiert. Um zwölf Uhr versammeln sich alle im Innenhof zum Mittagsgebet. Unter den ausladenden Ästen einer Buche stehen sie im Kreis, in graue Alben gehüllt, die Köpfe gesenkt. Es ist still. Nur ein Brunnen plätschert leise. Dann läuten die Kirchenglocken, und Klaas Grensemanns Stimme erhebt sich zum Gebet.
„Es ist toll, was passiert, wenn man diese Albe anzieht“, sagt Anneke Gerken anschließend mit leuchtenden Augen, „es ist ein eindrucksvolles, irgendwie heiliges Gefühl. Man wächst ein Stück.“ Die 21-jährige Oldenburgerin hat bereits viele Monate einsames Onlinestudium hinter sich. Doch auch ohne Pandemie sei es nicht leicht, Gesprächspartner für das zu finden, was sie bewegt. „Mit meinen Freunden kann ich jedenfalls nicht einfach mal so über Gott und Glauben sprechen.“ Innerhalb von drei Wochen war die „Kommunität auf Zeit“ ausgebucht.
Louis Janik aus Hannover hat einen Platz bekommen. Der 26-Jährige studiert Theologie und Biologie und freut sich, dass er in Bursfelde praktisch das leben kann, was er im Studium lernt. „Hier bin ich kein Beobachter, hier bin ich mittendrin im Klosterleben“, sagt er. Das bestätigt Grensemann. „Wir spielen hier nicht Kloster, wir sind eine echte Klostergemeinschaft.“
Nach dem Mittagsgebet, die grauen Alben sind ausgezogen, versammeln sich alle im Speisesaal. Stille und Nachdenklichkeit sind fröhlichem Gelächter und Small Talk gewichen. In Jeans und Sweatshirt stehen Wilko, Anneke, Rumen und all die anderen am Büfett und füllen sich ihre Teller mit dampfenden Tortellini.
Am Tisch geht es um die gleichen Themen wie in der Uni-Mensa: um Corona, um die Vor- und Nachteile von Onlinevorlesungen und um die vielleicht wichtigste Frage: Ist das RTL-Dschungelcamp jetzt eigentlich abgesagt? Keiner weiß es so genau, aber alle diskutieren, scherzen, lachen.