Der ÖKT 2021: dezentral auch in Niedersachsen
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„Digital ist ja nicht so meins“, sagt Kerstine Westphal. Und doch wollen sie und ihr Mann Albrecht von Donnerstag an einen Großteil ihrer Zeit vor dem Computer verbringen und sich durchs Programm des Ökumenischen Kirchentags (ÖKT) klicken. Dafür haben sie schonmal zwei bequeme Stühle ins Arbeitszimmer gestellt und sich handschriftliche Notizen zu den Veranstaltungen gemacht.
Albrecht (82) und Kerstine Westphal (72) aus Hildesheim haben zuletzt 2015 in Stuttgart aktiv am Evangelischen Kirchentag teilgenommen. „Weil es so heiß war, waren wir überwiegend in Hallen mit Klimaanlage unterwegs“, sagt der ehemalige Superintendent. „Und Papphocker sind für den Rücken auch nicht mehr so das Wahre.“
Albrecht Westphals Geschichte mit dem Kirchentag beginnt im elterlichen Pfarrhaus, mit zehn Jahren. Aber erst 1973 in Düsseldorf war es um ihn geschehen. Die erste liturgische Nacht, die neue Musik von Peter Janssens und Co., „es wurde getanzt und gesungen“. In der Halle hing irgendwo ein Telefon, Westphal rief eine Freundin an und hielt den Hörer hoch: „Hör mal, das glaubst Du nicht!“
Schon sein Vater war 1949 beseelt von der Deutschen Evangelischen Woche in Hannover zurückgekehrt, die heute als erster Kirchentag gilt. 1967 war das Christentreffen erneut in Hannover zu Gast, Albrecht Westphal arbeitete als junger Pastor in Munster. Mit seinem VW Käfer fuhr er zur Schlussveranstaltung, die im nur halb gefüllten Niedersachsenstadion stattfand. Seine Versuche, etwas von der Kirchentagskultur in die Gemeinde hinüberzuretten, waren ernüchternd. Nachdem er das moderne Vaterunser-Lied „nach einem westindischen Calypso“ im Gottesdienst hatte singen lassen, ging der Kirchenmusiker der Gemeinde auf die Barrikaden. Heute steht das Lied unter Nummer 188 im Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs.
1973 war Westphal Pastor in Bremerhaven und frisch verheiratet mit der Lehrerin Kerstine. Weil ein Kollege den Reisebus nach Düsseldorf nicht vollbekam, fuhr das junge Ehepaar mit. Sie waren fasziniert von vielem, was Kirchentage heute noch ausmacht: die moderne Musik, die Begegnung mit Spitzenpolitikern, Bibelarbeiten mit prominenten Theologen wie Jörg Zink oder Wolfgang Huber.
Als 1983, wiederum in Hannover, der Nato-Doppelbeschluss kritisch diskutiert wurde und viele Kirchentagsbesucher sich mit ihren lila Halstüchern für „ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen“ aussprachen, hieß es, der Kirchentag sei kommunistisch unterwandert. „Dabei hatten wir unsere eigene Überzeugung“, sagt Westphal. Für ihn sei es eine bahnbrechende Erfahrung gewesen, dass „Glaube und politische Wachheit zusammengehen können“.
Wer einmal von der Kirchentags-Atmosphäre begeistert ist, erzählt es weiter. Auf diese Weise erfuhr Bernd Wenko aus Schwanewede bei Bremen davon. „Ich konnte das nicht glauben und wollte es selbst erleben“, sagt der heute 31-jährige Erzieher, der erstmals 2007 in Köln dabei war - als Helfer mit seinem Bremer Pfadfinderstamm „Konsul Hackfeld“. Inzwischen hat er sich zum Hallenleiter „hochgearbeitet“, in Berlin 2017 war er für gleich drei zusammenhängende Messehallen verantwortlich. Natürlich hätte Bernd Wenko sich auch in Frankfurt auf ein Wiedersehen mit anderen Helfern gefreut: „Man trifft sich nur alle zwei Jahre, aber es ist, als hätte man sich gestern zuletzt gesehen. Das werde ich dieses Jahr ganz dolle vermissen.“
Für die Rentnerin Kerstine Westphal bedeutet Kirchentag, „dass dort Themen angepackt werden, die zur Lebensmelodie dazugehören“. Friedensarbeit, nachhaltiges Wirtschaften, Bewahrung der Schöpfung - das waren damals die Schlagwörter. Sie schaut auf ihren Merkzettel für den digitalen ÖKT: „Irgendwie traurig, dass uns das alles heute immer noch beschäftigt.“ Eine Veranstaltung ist deshalb für die 72-Jährige Pflicht: der Workshop „Welt retten für Anfänger*innen“.