Mit Spritze und Tattoo - Obdachlose in Hannover erhalten 250 Corona-Impfdosen in Diakonie-Kontaktladen
Für Obdachlose ist es besonders schwierig, sich vor dem Coronavirus zu schützen. Wie die Impfkampagne für sie läuft, hängt stark vom Engagement der Kommunen und Träger ab. In Hannover haben zwei mobile Teams nun erstmals im großen Stil geimpft.
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In der langen Warteschlange vor dem Kontaktladen "Mecki" hat sich Helmut S. (43) mit seinem Hund Ascko am Donnerstag den dritten Platz gesichert. Heute stehen er und die weit mehr als 60 Obdachlosen hinter ihm nicht wie sonst für Mahlzeiten an - stattdessen warten sie auf den ersten großen Corona-Impftermin für ihre Gruppe in der niedersächsischen Landeshauptststadt. Zwei mobile Teams verabreichen ihnen bis in den Abend hinein rund 250 Dosen des Moderna-Impfstoffs. Obdachlose gehören bundesweit zur Prioritätsgruppe 2 bei den Impfungen.
Helmut S. hat nach eigenen Angaben seit zwei Jahren keine Wohnung mehr. "Ich bin um 6 Uhr aufgestanden, um mich anzustellen", erzählt er. Aufgeregt sei er nicht, er freue sich auf den Termin. Die Coronazeit sei bislang schwierig für ihn gewesen. Oft habe er nicht gewusst, wohin er gehen solle, wo doch viele Anlaufstellen geschlossen seien.
"Wer will hier noch geimpft werden?", ruft indes eine Helferin durch das Stimmengewirr auf dem Raschplatz neben dem Hauptbahnhof. "Stellt euch dort an, das ist die Impfschlange", sagt sie zu einer Gruppe und deutet zu einem anderen Ehrenamtlichen, der mit Klebeband Abstandsmarkierungen auf dem Boden anbringt.
"Die Impfungen sind ein Thema in der Szene", berichtet Krankenschwester Franziska Walter, die im Kontaktladen arbeitet. "Die Menschen haben immer wieder nachgefragt, wann sie geimpft werden." Walter hofft, dass sich Obdachlose im "Mecki" bald regelmäßig impfen lassen können wie in Hausarztpraxen. Während der Impfaktion hat sie den bürokratischen Teil der Arbeit im Blick. Bei ihr müssen die Impfwilligen beispielsweise einen Anamnese-Bogen ausfüllen und eine Einwilligungserklärung unterschreiben.
Um die groß angelegte Impfaktion habe sich der Kontaktladen immer wieder selbst kümmern müssen, sagt Walter: "Wir müssen uns bemerkbar machen, auf uns würde keiner zukommen." Wie gut die Impfungen für Obdachlose vorankommen, hänge sehr stark vom Engagement der Kommunen und der freien Träger ab, sagt auch Sabine Bösing, stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit Sitz in Berlin. Die Organisation der Impfungen für diese Gruppe sei mit vielen Herausforderungen verbunden.
Gerade für Obdachlose seien die Impfungen aber sehr wichtig, betont Bösing: "Wenn es heißt: Bleibt zu Hause, ist das natürlich gerade für die Menschen schwierig, die kein Zuhause haben." Obdachlose könnten sich schlechter von anderen Menschen isolieren und Hygiene-Standards einhalten. Häufig litten sie unter Vorerkrankungen. Bundesweit sind laut BAGW-Schätzungen rund 237.000 Menschen in Deutschland obdachlos.
Nachdem Helmut S. im Kontaktladen Platz genommen hat, füllt er die Formulare recht zügig aus. Dann schickt ihn Franziska Walter zur Impfung. Er zieht mehrere Oberteile aus, bis sein rechter Arm zum Vorschein kommt. Die Ärztin des Arbeiter-Samariter-Bunds verabreicht ihm die Spritze an einer Stelle, unter der ein großes Totenkopf-Tattoo prangt. "Innere Zufriedenheit" empfinde er angesichts der Impfung, sagt der Hannoveraner, als wenig später ein Pflaster über der kleinen Einstichstelle klebt. "Jetzt weiß ich, dass ich die nächste Zeit gut überstehe und das Virus auch nicht mehr übertrage."
Konstantin Klenke/epd