Endlich zu Hause - Obdachlose kommen in "Housing First"-Projekt unter
Viele Monate hat sich Franz Bauer ohne Obdach auf der Straße durchgeschlagen. Auf dem Wohnungsmarkt hatte er wenig Chancen. Doch jetzt hat er doch ein kleines Reich für sich gefunden: Eine Stiftung vermietet Wohnungen gezielt an Menschen wie ihn.
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Endlich hat er es geschafft. Eine eigene Wohnung nach vielen Monaten auf der Straße, auf der Parkbank oder in Notunterkünften. Das sei ein beglückendes Gefühl, sagt Franz Bauer (59) und packt in der Küche einen Satz neuer Töpfe aus, die er kurz zuvor gekauft hat: "Du weißt, du bist hier zu Hause, du kannst alles tun und lassen, was du willst." Mitte März ist er eingezogen - als einer der ersten Bewohner in einem rot geklinkerten Neubau der Stiftung "Ein Zuhause" in Hannover.
Die Stiftung, hinter der die Diakonie und lokale Förderer stehen, hat hier ein Modellprojekt zum "Housing First" ("Wohnen zuerst") gestartet, eines der ersten in Norddeutschland. 15 zuvor obdachlose Menschen, die sonst keine Chance auf dem Wohnungsmarkt hätten, haben dort ein festes Dach über dem Kopf gefunden. Franz Bauer weiß, wie es sich anfühlt, kein Zuhause zu haben. "Hast du keine Arbeit, kriegst du keine Wohnung, hast du keine Wohnung, kriegst du keine Arbeit", erzählt der gebürtige Mannheimer in badischem Dialekt und gestikuliert mit beiden Armen: "Das ist wie ein Teufelskreis."
Doch der ist jetzt durchbrochen, denn Bauer hat einen unbefristeten Mietvertrag in der Tasche. Ein kleines Apartment ist nun sein neues Reich. 35 Quadratmeter mit Küchenzeile und Bad. In der Ecke hat er schon ein kleines Sofa aufgestellt, davor einen Holzklapptisch für den Laptop. Die Miete von knapp 200 Euro bezahlt das Jobcenter. "Wenn man den Leuten erst mal eine Chance gibt, dass sie von der Straße wegkommen und eine Wohnung haben, dann wird sich einiges ändern", findet Bauer.
Das Konzept des "Housing First" stammt aus den USA. Danach erhalten obdachlose Menschen ohne jede Vorbedingung zunächst einmal eine Wohnung. Erst danach können sie mit Hilfe von Sozialarbeitern alle anderen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Sucht angehen. Sie müssen also nicht erst unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, in eigenen vier Wänden zurechtzukommen. "Jeder hat seine Wohnung, in der er machen kann, was er möchte", betont der Stiftungsvorsitzende Eckart Güldenberg.
Die Stadt und die Region Hannover haben im Zuge ihrer Programme für den sozialen Wohnungsbau sechsstellige Zuschüsse dafür gegeben, und vom Land Niedersachsen kam ein Darlehen von 1,5 Millionen Euro. In Berlin, Köln oder Düsseldorf wird das Konzept ebenfalls erprobt, und auch Hamburg, München und andere Städte planen solche Initiativen.
"Das ist der richtige Weg", sagt Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, die sich für die Interessen der rund 678.000 Wohnungslosen in Deutschland einsetzt. "Dieser Ansatz sollte viel häufiger praktiziert werden." Das Problem sei allerdings, genügend Wohnungen dafür zu finden.
In Hannover gehört Karen Meyer zu den sechs Frauen unter den 15 Bewohnern. Die 48-Jährige freut sich, dass sie endlich einmal die Tür hinter sich zumachen kann und zur Ruhe kommt: "Ich hab mein eigenes Reich. Ich kann bestimmen, wer reinkommt und wer nicht reinkommt. Ich bin ja ungern alleine, aber manchmal doch." Beim "Housing First" hat sie jetzt erstmals nach 20 Jahren sogar eine eigene Waschmaschine.
Meyer blickt auf eine lange Drogenkarriere auf der Straße zurück. "Aber jetzt bin ich nicht mehr so abhängig", beteuert sie. Vom Heroin lässt sie seit sieben Jahren die Finger. Dafür holt sie sich jetzt jeden Tag einen Ersatzstoff ab.
Auch Franz Bauer hat schon viel hinter sich. Einen schweren Arbeitsunfall, der ihn aus der Bahn warf. Eine Privatinsolvenz. Und die Trennung von seiner alkoholkranken Freundin. Anfang 2020 kam er aus Düsseldorf nach Hannover, um ein neues Leben anzufangen. Leider ohne Wohnung. Viele Nächte hat er dick eingemummelt auf einer Bank im Park verbracht, draußen am Fluss. Nach einer Odyssee durch mehrere Hilfsprojekte landete er schließlich beim "Housing First"-Projekt.
Jetzt probiert er aus, wie der Induktionsherd funktioniert. Das gelingt nämlich nur mit den speziellen Töpfen. Bei allen großen oder kleinen Fragen steht ihm Sozialarbeiterin Jennifer Wielgosch (33) zur Seite. Gemeinsam mit einer Kollegin zeigt sie den Bewohnern, wie sie ihre Finanzen in den Griff kriegen oder wo sie günstig Möbel bekommen können. Jeden Morgen wird sie schon freundlich erwartet, erzählt sie: "Man kommt gleich ins Gespräch. Die Mieter hier sind wirklich dankbar, dass wir ihnen helfen können."
epd / Hans-Gerd Martens und Michael Grau