"Wenn die Kinder die Mutter vor dem Sterben nicht mehr sehen dürfen - das ist krass"
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Frau von Issendorff, Sie sind seit Oktober Pastorin im Hospiz zwischen Weser und Elbe in Bremervörde. Sie begleiten fast täglich Sterbende und halten Andachten. Ist das nicht bedrückend?
von Issendorff: „Das klingt erstmal so – tatsächlich ist es aber eine sehr schöne Atmosphäre, ein Haus mit warmen Farben, es brennen oft Kerzen und so weiter. Es ist mehr wie ein Hotel, die Zimmer können in einem gewissen Rahmen auch individuell eingerichtet werden. Es gibt auch mal Alkohol oder Tabak für die Gäste, es kommt ja nicht mehr drauf an. Sie können hier ihr Leben nochmal genießen. Vielleicht ein besonderes Essen bekommen oder ein Bad im Kerzenschein und mit Duftstäbchen nehmen, sich entspannen. Das sind Dinge, die zu Hause oft nicht möglich sind, die pflegende Angehörige vielleicht nicht mehr bewältigen können. Doch dieses Glück kann man auch mit einem kaputten Körper empfinden.“
Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?
von Issendorff: „Ich war mit 15, als Schülerin, schon eine ,grüne Dame‘, habe also Hospize besucht. Auf das, was dort passiert, war ich überhaupt nicht vorbereitet und es hat mich überfordert – was wohl normal ist! Aber ich habe bald gedacht: Das ist meine Berufung, ich möchte Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten. Nach jeder Begegnung hatte ich dieses Gefühl, dass es meine Bestimmung ist. Ich weiß, das klingt komisch. Aber deswegen habe ich Theologie studiert.“
…und erstmal etwas ganz anderes gemacht: Kinder- und Jugendarbeit.
von Issendorff: „Ja, ich war auch Jugendpastorin und regelmäßig mit 70, 80 Teamerinnen und Teamern auf Freizeiten und so weiter. Das habe ich unglaublich genossen und das Team sehr geliebt. Aber da war immer weiterhin eine Sehnsucht in mir, nach dieser anderen Aufgabe, der Begleitung der Sterbenden. Da passte die Anfrage aus Bremervörde letztes Jahr, ob ich hier im Hospiz arbeiten möchte, super gut.“
Die Corona-Pandemie hat in den letzten Monaten viel verändert, auch im kirchlichen Kontext – wie funktioniert Seelsorge unter Corona im Hospiz?
von Issendorff: „Ich arbeite tatsächlich beinahe normal und bin dafür sehr dankbar. Alle 72 Stunden macht jede und jeder im Hospiz einen Corona-Test und die Hygienevorschriften sind sehr streng, aber ich kann zum Glück weiter zur Arbeit gehen.
Allerdings gibt es durch die Hygiene-Auflagen sehr harte Einschränkungen. Wenn zum Beispiel eine Mutter zu uns käme, dürfte sie nur noch von einer Person besucht werden, etwa vom Ehemann - nicht aber den Kindern. Den Familien das zu sagen ist unglaublich schwer.“
Wie gehen Sie mit solch schwierigen Situationen um?
von Issendorff: „Man muss dann professionell bleiben, es freundlich erklären. Aber es ist wirklich hart. Das macht einen manchmal wirklich sprachlos. Dann steht man da und muss versuchen, die Situation auszuhalten. Bisher haben es zum Glück alle Angehörigen verstanden. Wir finden dann Rückhalt im Team, unterstützen uns gegenseitig und halten uns manchmal auch einfach an kleinen Dingen fest.“
Sind Sie selbst darauf vorbereitet, wenn es jemanden aus Ihrem Umfeld trifft?
von Issendorff: „Ja, ich denke schon. Aber das ist meine professionelle Einstellung. Wenn es wirklich soweit ist… es ist natürlich umso schwerer, je näher man dem Menschen stand. Und ich selbst… ich will schon wissen, was da auf der anderen Seite ist, da bin ich neugierig. Wir wissen alle nicht, was ,auf der anderen Seite‘ ist – aber wenn ich in die friedlichen Gesichter der Toten sehe, dann kann ich nur darauf vertrauen, dass sie nicht täuschen. Aber diese Erkenntnis lässt hoffentlich noch eine ganze Weile auf sich warten!“
Sie sind bei den Menschen, wenn sie ihre letzte Zeit verleben. Spielt der Glaube dann eine wichtige Rolle?
von Issendorff: „Ja, auf jeden Fall, diese Phase macht etwas mit dem Glauben. Viele sagen tatsächlich, wenn ich das erste Mal zu ihnen komme: ,Ach, tut mir leid, dass ich lange nicht in der Kirche war‘ – aber das ist mir gar nicht wichtig. Ich bin einfach da und höre zu. Es gibt alle Schattierungen: von dieser Wut auf einen vermeintlich zu oft abwesenden Gott, über das Vertrauen, sich in seine Hand zu begeben – oder auch gar keine Erwartung. Ein Gast zum Beispiel war sehr wütend auf Gott und wollte nicht mit mir beten – er hatte wohl vieles erlebt, was ihn mit Gott hat hadern lassen. Aber irgendwann hat er mir gesagt – oder mich eher angeschnauzt: ,Na gut, dann beten Sie halt!‘ - und dann flossen plötzlich die Tränen. Eine andere Frau hatte ganz furchtbare Angst vor dem Sterben – weil sie ein sehr strenges Bild von Gott hatte, das eines strafenden Gottes. Sie hatte Angst, nicht gut genug gelebt zu haben. Ihr fiel es dann sehr schwer loszulassen. Ich predige gern von einem mit-leidenden Gott, der mit uns auch diese Situation durchsteht und befreit.“
Manche wünschen sich diese Befreiung so sehr, dass sie ihr Leben beenden möchten. Das Thema des assistierten Suizids wird derzeit breit diskutiert. Waren Sie schon einmal in so einer Situation, dass jemand um den Tod bat?
von Issendorff: „Ja, es gibt Menschen, die sagen: ,Warum helft ihr mir nicht, endlich zu sterben?‘. Aber das tun wir nicht: Wir begleiten sie auf diesem Weg und können mit Morphinen zum Beispiel noch sehr viel lindern.
Ich kann, wenn es so schlimm steht, den Wunsch nach Erlösung nachvollziehen. Trotzdem denke ich, dass es davor noch andere Möglichkeiten gibt, die zuerst voll ausgenutzt werden sollten. Ein begleitetes Sterben, in dem alle für eine lebenswerte letzte Phase arbeiten, ist das Beste. Aber ich weiß auch, dass wir hier auf einer Insel der Glückseligen sitzen, dass längst nicht überall so eine Begleitung möglich ist. Die palliative Seelsorge und der Sterbenotruf sollten darum deutlich ausgebaut werden. Die aktive Sterbehilfe wäre schließlich auch eine Belastung für die, die bleiben.“
Das Sterben als Thema auf Social Media-Kanäle scheint erstmal nicht zu passen. Wieso haben Sie sich dennoch entschlossen, auf Instagram davon zu erzählen?
von Issendorff: „Ich möchte zeigen, was wir im Hospiz machen, das ist ja keine sehr bekannte Arbeit. Ich denke, es kann die Hoffnung angesichts des Todes transportieren und die guten Momente, die wir hier erleben. Und ich erlebe es häufig, dass Menschen sich mit Fragen und eigenen Erfahrungen zum Thema Abschied nehmen und Krankheit an mich wenden über dieses Medium. Das freut mich sehr.“