"Und da soll man noch irgendwie Trost spenden..."
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
"Das war wie ein Schlag in die Magengrube", sagt Pastor Detlef Richter. Zu brutal hatte das Schicksal oder was auch immer einer Familie aus dem Kirchenkreis Hameln-Pyrmont mitgespielt. Zunächst sollte Richter einen 47-Jährigen beerdigen, der an den Folgen einer Corona-Erkrankung gestorben war. Am Abend vor der Trauerfeier dann die unfassbare Nachricht aus dem Krankenhaus: Auch der 79-jährige Vater überlebte die Infektion mit dem Virus nicht. "Ich habe noch nie Menschen so herzzerreißend weinen gehört wie an diesem Tag", sagt der Seelsorger. "Und da soll man als Pastor nun hingehen und Trost spenden."
Beide Familien wohnten in einem Haus; der Senior und seine Frau im Erdgeschoss, sein Sohn mit Frau und Tochter in der Wohnung darüber. Beide erkrankten unabhängig voneinander an Covid-19, der Mittvierziger vermutlich bei einer dienstlichen Konferenz. Wo sich sein Vater angesteckt hat, blieb ungeklärt. Auch dessen Frau wurde positiv getestet, blieb aber ohne Symptome. Dennoch musste sie sich in häusliche Quarantäne begeben. Als die Nachricht vom Tod des Sohnes kam, war es nicht möglich, die Schwiegertochter und die Enkelin in den Arm zu nehmen, um sich gegenseitig zu trösten.
Die gleichen Schwierigkeiten hatte der Pastor. Das Trauergespräch musste er telefonisch führen, in anderen Fällen wich er auf Seelsorge per Videokonferenz aus. Der Versuch, aus der Distanz Nähe aufzubauen, führt Geistliche an ihre Grenzen, wie auch der Pastoralpsychologe Gert Stührmann weiß: Wenn man sich nicht in der vertrauten Umgebung mit den Hinterbliebenen treffen könne, werde es schwieriger, ein umfassendes Bild eines Verstorbenen zu gewinnen. "Die Einsamkeit und Beziehungslosigkeit ist auf allen Ebenen spürbar", sagt der Experte vom Zentrum für Seelsorge und Beratung der hannoverschen Landeskirche.
Ähnlich hat es Pastor Dominik C. Rohrlack erlebt, der im Landkreis Peine mit dem Tod von Covid-19-Patienten konfrontiert wurde. Die Kommune hat aktuell den höchsten Inzidenzwert in ganz Niedersachsen. Auch wenn ein Infizierter, den Rohrlack beerdigen musste, letztlich einem anderen Leiden erlag, griffen sämtliche Vorsichtsmaßnahmen. Peines Superintendent Volker Menke gibt zu bedenken, dass vielen Menschen aufgrund der Kontaktbeschränkungen der Lebenswille verloren geht: "Mir haben schon viele Angehörige gesagt: Mein Vater ist nicht an Corona, sondern an Einsamkeit gestorben."
Die Pflegeheime sicherten laut Pastor Rohrlack zwar zu, dass die Angehörigen in der "finalen Phase" zu den Bewohnern vorgelassen würden. "Doch so genau weiß man ja manchmal nicht, wann die finale Phase gekommen ist."
Abgesehen davon habe sich die Trauerkultur der Menschen nach Beobachtung des Gemeindepastors verändert. "Während des ersten Lockdowns haben viele noch ein starkes Bedürfnis nach Berührung gehabt, wollten mir die Hand schütteln oder sich gegenseitig in den Arm nehmen", sagt Rohrlack. Inzwischen würden die Trauergäste mit der verordneten Distanz selbstverständlicher umgehen. "Auch für mich waren Ansagen zu den Abstandsregeln anfangs störend im Gottesdienstablauf. Aber man gewöhnt sich daran." Erde ins offene Grab werfen? Das geht zumindest nicht mehr mit der sonst üblichen Schaufel, die alle nacheinander in die Hand nehmen. "Ich ermutige die Menschen, mit der Hand in die Erde zu greifen", so der Seelsorger. "Ich finde solche Rituale am Grab wichtig."
Da auch der Gesang untersagt ist, geht Rohrlack mit dem Tablet zu Trauergesprächen und stellt mit den Hinterbliebenen eine Playlist zusammen. Die Auswahl hängt somit auch davon ab, was bei Streamingdiensten wie iTunes verfügbar ist. Neuere Kirchenlieder wie "Von guten Mächten" findet man dort eher als klassische Choräle. Beliebt sind auch weltliche Songs wie "Somewhere over the rainbow" oder "Time to say goodbye" - ein Trend, den es auch vor Corona bereits gab und der durch das Gesangsverbot wohl nur beschleunigt wird.
"Goodbye" zu sagen - das blieb den beiden Witwen, die Pastor Detlef Richter begleitete, verwehrt. Sie durften nicht zu ihren Männern ins Krankenhaus - und von dort wurden die Verstorbenen sofort ins Krematorium gebracht. Bei vielen hält sich das Gerücht, dass bei mit Corona infizierten Personen überhaupt nur noch Einäscherungen erlaubt seien. Dem widerspricht Markus Gebauer, Pressesprecher des Bestatterverbandes Niedersachsen und selbst Geschäftsführer eines Bestattungsunternehmens in Wolfsburg. "Es sind weiterhin alle Arten von Bestattungen möglich", sagt Gebauer. Ein Abschied am offenen Sarg sei allerdings nicht möglich, auch nicht bei der späteren Trauerfeier. Die Ansteckungsgefahr bestehe auch nach dem Tod.
Lothar Veit / epd