Alleinerziehend und Pflegerin in der Corona-Krise: "Du hast genug geheult"
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Für Alleinerziehende war es schon vor Corona nicht leicht, den Spagat zwischen Familie und Beruf zu schaffen. Unter der Pandemie hat sich die Lage zugespitzt. Warum für eine junge Mutter in einem harten Beruf Aufgeben trotzdem keine Option ist.
Jasmin Leicht kniet sich vor dem Sessel hin, in dem Gisela Gerdung sitzt, und zieht ihr vorsichtig die Hausschuhe aus. Die Pflegehilfskraft vom ambulanten Dienst trägt eine FFP2-Maske und durchsichtige Einweg-Handschuhe. "Nicht erschrecken, meine Finger sind kalt", sagt sie. Die alte Frau mit den Silberhaaren erwidert prompt: "Oh, meine Füße sind auch nicht gerade warm!" An diesem Morgen hat Leicht die 82-Jährige geduscht, jetzt am späten Vormittag zieht sie ihr die Stützstrümpfe an. "Die Arbeit von Frau Leicht ist, ehrlich gesagt, ziemlich schwer", sagt Gerdung. Sie ahnt nicht, dass für die 27-jährige Pflegerin diese Zeit in gewisser Weise auch "Freiraum" ist. Denn Jasmin Leicht ist alleinerziehend mit drei Kindern.
"Auf der Arbeit kann ich abschalten", sagt Leicht. Zwar sei der Beruf anstrengend, etwa wenn der Patient bettlägerig ist. "Aber ich kann mich dabei voll und ganz auf die Aufgabe konzentrieren." Zu Hause sieht es oft anders aus, seit Beginn der Pandemie erst recht. Für die Diakonie in Wunstorf fährt Leicht die "Muttitour": Sie arbeitet nur vormittags an den Werktagen. Ihre Schicht fängt erst um acht Uhr an, damit sie vorher Evelina (3) in die Kita, Paulina (7) und Max (11) zu ihren Schulen bringen kann. Die Kinder gehen in die Notbetreuung. Doch die beiden älteren haben auch Heimunterricht und müssen zu Hause am Laptop arbeiten. "Dann rufe ich sie zwischen zwei Patienten an und check die Lage ab", berichtet Leicht.
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums leben in Deutschland insgesamt acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. Rund ein Fünftel von ihnen sind Mütter oder Väter, die allein mit ihren Kindern in einem Haushalt leben. Deren Zahl ist von 1996 bis 2018 von 1,3 auf 1,5 Millionen angestiegen. Fast immer sind es Mütter.
Corona habe die ohnehin schwierige Lage verschärft, sagt Lena Plog, Geschäftsführerin des niedersächsischen Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter (Vamv) mit Sitz in Osnabrück. Da Kontakt-Beschränkungen in Niedersachsen neben Erwachsenen auch für Kinder ab drei Jahren gelten, falle es Alleinerziehenden schwer, Freunde oder Verwandte für die Betreuung zu finden. Auf einen Platz in der Notbetreuung der Kita oder Schule haben sie laut dem Vamv keinen Rechtsanspruch.
Ohne Kinderbetreuung sei aber keine Arbeit möglich. Mit der pandemiebedingten Kurzarbeit gehe oft auch weniger Gehalt einher. Müssten die Eltern auch noch in die technische Ausstattung fürs Homeschooling und Homeoffice investieren, kämen sie schnell an ihre Grenzen, sagt Plog. Alleinerziehende verfügten meist auch über weniger Wohnraum als Familien mit zwei Elternteilen. Im Lockdown erschwere dies die Heimarbeit und verstärke die familiären Konflikte.
Jasmin Leicht kennt das gut. "Die Kinder jammern viel herum und fragen, wann wir endlich mal wieder etwas Schönes machen", sagt sie. Sie fühlten sich zu Hause eingesperrt. Vor Corona waren die Kinder viel unterwegs: tanzen, turnen, angeln, Pfadfinder, Freunde treffen. "Und ich bin auch mal zum Sport oder ins Sonnenstudio gegangen", erzählt Leicht. "Eine Freundin hat dann für eine Stunde auch auf meine Kinder aufgepasst." Sanfte Nostalgie mischt sich in ihre Stimme. "Für eine Alleinerziehende ist eine Stunde viel."
Auf familiäre Hilfe kann Leicht nicht zählen. Ihre Familie lebt in Polen. Ihr Mann und sie haben sich im Herbst 2019 getrennt. "Er kommt zwischendurch mal, um die Kinder zu sehen", sagt sie.
So bleibt ihr Tag nach der Arbeit gefüllt. Sie holt die Kinder ab und kocht das Mittagessen. Dann spielen sie zusammen und machen Hausaufgaben. Wenn die Kinder gegen halb neun im Bett liegen, muss sie oft noch aufräumen, bügeln oder Wäsche aufhängen. Sie schläft nicht durch: Ihre Jüngste wird in der Nacht noch oft wach. Manchmal weine sie, sagt die 27-Jährige. Sie sei eigentlich "ein Sensibelchen". Aber sie wisse auch, dass sie stark sei und es für die Kinder schaffen müsse. "Dann gucke ich in den Spiegel und sage zu mir selbst, okay, Jasmin, du hast genug geheult."
Es ist Mittag. Leicht ist mit den Kindern zum Spielplatz gegangen. Sie trägt Evelina auf den Arm, die vom Herumtoben müde geworden ist. Paulina springt ihnen entgegen. Max, der Fünftklässler, hat einen kleinen blauen Plastik-Eimer mit Schnee gefüllt und rührt mit einem Stock darin. Paulina nimmt daraus eine Handvoll und wirft den Schnee in die Luft. "Im Sommer sind wir lange hier", sagt Leicht. Auf einmal lächelt sie und ihre Augen strahlen. "Aber im Winter kuscheln wir zu Hause mehr."
Cristina Marina (epd)