Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Januar 2021

"Wir gehen bei den Impfungen einen guten Mittelweg"

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Markus Wedemeyer ist Arzt und Ehrenamtlicher bei dem Johannitern. Er organisiert die Impfteams im Bereich Weser-Ems und wird auch selbst gegen Corona impfen.

Im Interview erklärt er, wie der Impfstart angelaufen ist und warum ein Vergleich des Impftempos mit anderen Ländern schwierig ist. 

Markus Wedemeyer ist Arzt und ehrenamtlich bei den Johannitern aktiv. Bild: Lukas Lehmann

Herr Wedemeyer, die mobilen Impfteams sind bereits im Einsatz. Wie gut läuft der Impfstart?

Wedemeyer: „Insgesamt gut, würde ich sagen. Die mobilen Impfteams sind bereits im Einsatz in Pflege- und Altenheimen, impfen Bewohner*innen und Pflegepersonal, soweit wie die Impfstoff-Mengen reichen. Es war abzusehen, dass der knapp würde – das ist natürlich nicht schön, aber nun muss der Impfstoff erstmal produziert werden. In den stationären Zentren ist auch alles startklar – wenn der Impfstoff kommt, können wir sofort loslegen.“ 

Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus den Alten- und Pflegeheimen? 

Wedemeyer: „Ganz überwiegend gute. Die Bewohner*innen sind froh, dass sie etwas dazu beitragen können, dass sich die Situation normalisiert, dass sie ihre Enkel wiedersehen können und so weiter. Die Mitarbeitenden haben mehr Fragen, die sich meist zerstreuen lassen. Schließlich hat Biontech den Impfstoff an über 22.000 Menschen getestet und mehr als 43.000 Menschen n die Tests einbezogen – deutlich mehr, als sonst üblich. Die Erfahrungswerte sind also viel höher, auch wenn die Langzeitstudien natürlich noch ausstehen.“

Sie selbst werden in einem stationären Zentrum Menschen impfen und haben vor wenigen Tagen einen Probelauf gemacht. Wie läuft die Impfung dort ab?

Wedemeyer: „Zuerst müssen sich die Patient*innen anmelden und einen Fragebogen ausfüllen: Gibt es Vorerkrankungen, Allergien, oder ähnliches? Der wird im nächsten Schritt mit einem Arzt oder einer Ärztin durchgesprochen. Im Probelauf hat sich gezeigt, dass wir dafür mehr Zeit benötigen, als im Vorhinein veranschlagt. Manche sagen: ,Ich bin gesund, gebt mir einfach die Impfung‘, aber manche haben noch viele Fragen, zum Beispiel zur Wirksamkeit oder möglichen Ansteckungen. Das ist ja verständlich. Wenn dann alles passt, wird geimpft. Für den Fall, dass allergische Reaktionen auftreten, bleiben die Patient*innen noch 15 Minuten vor Ort.“ 

Mobile Teams der Johanniter impfen in Alten- und Pflegeheimen. Bild: Alexander Körner/Johanniter

Bis jetzt wurden ca. zwei Millionen Menschen in Deutschland geimpft. Andere Länder sind schneller – Israel wurde viel gelobt, auch Großbritannien impft schon länger. Wie bewerten Sie die Aussage, Deutschland sei zu langsam?

Wedemeyer: „Man muss hier zwischen Sicherheit und Schnelligkeit abwägen und ich denke, die EU hat da einen guten Mittelweg gefunden. Die Briten haben sich entschieden, schon mit einem Mittel zu impfen, das noch nicht zu Ende getestet war. Ähnlich in China und Russland: sie impfen bei einer deutlich schwächeren Datenlage. Die EU dagegen hat keine Notfallverordnung erlassen, sondern eine bedingte Zulassung. Das heißt, die Hersteller müssen weitere Daten liefern, um irgendwann regulär zugelassen zu werden. Die Länder-Vergleiche hinken also. Ich finde, dass wir einen guten Weg gehen. Wenn man noch drei Jahre mit einer Zulassung warten würde – dann würden wir alle am Stock gehen. Dann gäbe es noch mehr Kranke und Tote - wir haben die Zeit nicht.“

Sie sind Arzt und koordinieren bei den Johannitern ehrenamtlich Impfteams. Welche Rolle spielen Ehrenamtler*innen bei der Bewältigung der Pandemie? 

Wedemeyer: „Eine große, das würde ich auch sagen, wenn ich Außenstehender wäre. 80 Millionen Menschen möglichst zügig zu impfen ist eine echte Mammutaufgabe, eine logistische Herausforderung. Das ist keine Packung Nudeln, die man mal eben verteilt. Das sind tiefgefrorene Impfstoffe, die korrekt aufbewahrt, zubereitet und verabreicht werden müssen. Ich kenne Teams, die nur aus Ehrenamtlichen bestehen. Ohne sie wäre es vielleicht auch machbar, würde aber viel länger dauern. Das deutsche System baut auf die zahlreichen Ehrenamtlichen.“

Sie selbst gehören zu keiner Risikogruppe und werden erst später geimpft. Mit welchem Gefühl stehen Sie morgens auf? 

Wedemeyer: „Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt gut vorankommen. Ich schaue nicht täglich auf die Infektionszahlen, das wäre auch psychisch nicht gesund. Ich schaue eher: Sind die mobilen Teams unterwegs? Gibt es irgendwo Probleme, kann ein Impfzentrum vielleicht doch schon eher starten? Die Gedanken sind also sehr bei der Frage der Pandemie-Bewältigung, nicht bei der Ohnmacht gegenüber den reinen Zahlen.“

Christine Warnecke / Themenraum der Landeskirche Hannovers
Vor der Impfung wird Fieber gemessen und ein Fragebogen ausgefüllt - hier bei einem Testlauf mit Statisten. Bild: Alexander Körner/Johanniter

Pflegewissenschaftler: "Es fehlt Aufklärung"

Bremen (epd). Um die Bereitschaft zur Schutzimpfung gegen das Coronavirus unter Pflegekräften zu steigern, ist nach Auffassung des Bremer Pflegewissenschaftlers Stefan Görres vor allem Aufklärung nötig. "Aufklärung fehlt in allen Bereichen, es gibt eine große Angst vor Spätfolgen", sagte Görres am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine Impfpflicht für Pflegekräfte, wie sie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ins Gespräch gebracht hat, lehnt Görres ab: "Es geht nur über Aufklärung und über Fakten." Für eine Impfpflicht fehle die gesetzliche Grundlage.

Görres sagte, zur Frage der Impfbereitschaft unter Pflegekräften gebe es noch keine belastbaren Daten, "aber eine Reihe von Einzelbeispielen, die sich häufen und zu einem Bild verdichten". Eine nennenswerte Zahl wolle sich offensichtlich nicht impfen lassen. Außerdem gebe es diesbezüglich wohl Unterschiede. In der Intensiv- und in der Akutpflege sei die Impfbereitschaft möglicherweise höher als in der Altenpflege. 

Vermutungen, dass das am Bildungsstand in der Altenpflege liegen könnte, wie einzelne Politiker dies kommentieren, wies Görres als "unselig" zurück. "Wir brauchen jetzt maximale Aufklärung, am besten auf Augenhöhe, von Pflege zu Pflege", sagte der Wissenschaftler und betonte: "In dieser Situation wären Pflegekammern, die genau das leisten könnten, äußerst hilfreich." Da bestehe derzeit eine "echte Lücke", die Arbeitgeber oder Organisationen wie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe oder der Deutsche Pflegerat nur unzureichend füllen könnten. 

Gesundheitliche Vorbehalte und die große Zahl der zum jetzigen Zeitpunkt noch offenen Fragen wie die der Virus-Weitergabe nach einer Impfung müssen Görres zufolge ernst genommen werden. "Die Impfung greift in die Persönlichkeitsrechte ein, da kann man niemanden verpflichten", führte der Experte aus, der selbst ausgebildeter Krankenpfleger ist. Er sehe aber ein gewisses Dilemma zwischen Persönlichkeitsrechten und einem ethisch-professionellen Druck bei Pflegenden, sich impfen zu lassen: "Pflegefachpersonen müssen das stärker reflektieren als andere."

epd Niedersachsen/Bremen

Diakonie bittet um Geduld und Disziplin

Hannover (epd). Die Diakonie in Niedersachsen hat mit Blick auf die Corona-Impfungen um Geduld und Disziplin gebeten. "Wir freuen uns, dass die Impfungen in den Alten- und Pflegeheimen jetzt begonnen haben," sagte Diakonie-Vorstand Hans-Joachim Lenke jetzt in Hannover. "Gleichzeitig sehen wir, dass wir nicht schnell und gleich flächendeckend impfen können."

Ebenso sei zu berücksichtigen, dass eine zweite Impfung nach 21 bis 28 Tagen erfolgen müsse, sagte Lenke weiter. "Das bedeutet für die Situation in den Heimen: Weiterhin brauchen wir viel Geduld und solidarische Disziplin, um unsere Bewohner und Bewohnerinnen zu schützen. Abstandhalten, Masken und Schnelltests sind noch bis auf weiteres das Gebot der Stunde."

Gleichzeitig bekräftigte Lenke die Forderung der Diakonie nach Unterstützung der Pflegekräfte bei Hilfstätigkeiten durch Personal aus Gastronomie oder Verwaltungen. Viele Menschen hätten sich an den Weihnachtstagen ausruhen können. Leider gelte das nicht für die Pflegekräfte, die weiterhin rund um die Uhr ihren Dienst verrichteten. Die Diakonie hoffe, dass sich Menschen, die derzeit durch den Lockdown nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten könnten, bei den Jobagenturen meldeten und in ein örtliches Pflegeheim vermitteln ließen.

epd Niedersachsen/Bremen
Dem 102-jaehrigen Walter Zemanek wird vor der Corona-Schutzimpfung im Evangelischen Pflegezentrum Lore Malsch in Riemerling die Temperatur gemessen. Foto: epd-bild/Klaus Honigschnabel