"Leichter bis mittelschwerer Frust, durchsetzt mit Hoffnung"
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Renate Niedenthal (Kirchenvorstand in Hannover-Bemerode):
„Sieben Open Air-Gottesdienste an drei Standorten auf zum Teil städtischen, zum Teil kirchlichen Grundstücken – Coronaregel-konform und mit Anmeldung – das war eine echte Herausforderung für uns Organisatorinnen und Organisatoren. Pro Gottesdienst hätten wir acht bis zehn Helfende gebraucht: Kartenkontrolleur*innen, Platzzuweiser*innen, und welche, die das Gelände kontrollieren, damit niemand über andere Zugänge dazukommt.
Doch ich spreche im Konjunktiv: wir haben uns nun im Kirchenvorstand schweren Herzens entschieden, die Gottesdienste bis zum 10. Januar abzusagen. Wir haben täglich die Infektionszahlen beobachtet und schließlich überwogen die Bedenken, dass die Wege zu und von den Veranstaltungsorten weg zu Nadelöhren werden könnten: dass die Leute eben doch stehen bleiben, um das ein oder andere Wort zu wechseln, sich frohe Weihnachten wünschen - wir als Kirchenvorstand sind auch hier für die Kontaktminimierung verantwortlich.
Ich bin am Morgen nach der Entscheidung sehr traurig aufgestanden, die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen und hat uns schon zu schaffen gemacht. Knapp 900 Menschen hatten sich angemeldet - alle wurden jetzt über die Webseite, per Mail oder Telefon oder persönlicher Karte informiert.
Aber: Weihnachten fällt nicht aus. Wir haben ein Angebotspaket „Bethlehem ist überall“ geschnürt: es gibt den Video-Gottesdienst, dazu eine Weihnachtsgeschichte von Konfirmanden mit Fotos nachgestellt und die Weihnachtsgeschichte auf platt auf unserer Homepage. Es gibt Andachten zum Mitnehmen, das Friedenslicht aus Bethlehem und Holzsterne mit der Inschrift "Fürchtet euch nicht", die von den weihnachtlichen Kirchplätzen mitgenommen werden können.
Es ist dieses Jahr anders, aber: es wird trotzdem Weihnachten."
Pastor Florian von Issendorf: "Ich wurde erst im Oktober in meine neue Gemeinde eingeführt, deshalb blieb im Grunde nur der November zu überlegen, was dieses Jahr zu Weihnachten gemacht werden sollte. Dabei sollten drei Gemeinden mit vier Kirchen und 30 Dörfern unter einen Hut gebracht werden – So war die Hauptfrage: wie bespielen wir so eine große Fläche, ohne Völkerwanderungen auszulösen?
Unsere Lösung ist ein mobiler Weihnachtssegen: Zwischen 14.30 Uhr und 17.30 Uhr werden zwei Teams mit Autos zwölf Stationen anfahren, auf Supermarkt-Parkplätzen die Kofferräume öffnen, die Posaune herausnehmen und das Wichtigste zu den Menschen bringen: die Weihnachtsgeschichte, etwas Musik, den Segen, das Vater Unser und ,Stille Nacht‘ singen.
Nach 15 Minuten fahren Diakone, Musiker*innen und Kirchenvorsteher weiter. So feiern wir Weihnachten ohne große Deko, an unattraktiven Orten – und sagen: Gott ist auch dort. Dazu kommen zwei Open Air-Gottesdienste in den anderen beiden Gemeinden, so ist, wenn man auf die Landkarte schaut, immer eine Veranstaltung in der Nähe.
Wir wollten bewusst nach draußen gehen, das wurde bei uns noch nicht so oft gemacht, rief aber bei allen Beteiligten gleich Begeisterung hervor. Und das sehe ich auch als Auftrag für das nächste Jahr: diese Bewegung beizubehalten, mehr zu den Leuten hin zu gehen und nicht zu warten, dass sie zu uns in die Kirche kommen. Wir sind hier in einer Region, die kirchlich doch eher distanziert ist, im Sonntagsgottesdienst sind oft nur ein, zwei Handvoll Menschen.
Ich selbst habe dieses Jahr sogar mehr Lust auf Weihnachten – normalerweise bin ich vor dem Heiligabend-Gottesdienst, vor den brechend vollen Kirchen immer sehr aufgeregt uns habe Lampenfieber. Schließlich sollen auch die, die nur dieses eine Mal im Jahr in die Kirche gehen, sagen: ,Mensch, das war toll.‘ Dieser Stress fällt jetzt weg, das ist erleichternd. Und die Adventszeit trotz all der Logistik und den Abtimmungen mit Bürgermeistern, Gesundheitsamt, Supermärkten und so weiter war noch nie so entspannt. Dieses Jahr wird’s toll, da bin ich sicher.“
Pastorin Natalie Wolk: „Wir wollen Weihnachten bewusst in der Kirche feiern – gerade in der Heiligen Nacht, wo Josef und Maria keine Herberge fanden, möchten wir die Türen öffnen und sagen: ,Wir sind da!‘ Eine gute Nachricht. Und das rund um die Uhr: Ab 12 Uhr am 24. Dezember bis 11 Uhr am ersten Weihnachtstag wird es 24 Gottesdienste geben – jede Stunde für etwa 25 Minuten, in denen das Wichtigste stattfindet: die Weihnachtsgeschichte, der Segen, etwas Musik. Dazwischen wird durchgelüftet und die Stühle desinfiziert. So können pro Durchlauf 40 Menschen kommen – immer unter dem Vorbehalt, dass es keine neue Verordnung gibt, die es untersagt.
Das ist natürlich ein großer Aufwand, aber wir möchten besonders die Einsamen einladen und ihnen eine Möglichkeit geben, nicht allein zu sein. Und viele bringen sich mit Freude ein: 15 Menschen, darunter Konfirmanden und Kirchenvorstände, Prädikanten, eine Springer-Pastorin und ein Pastor im Ruhestand, werden Gottesdienste halten und sie thematisch unterschiedlich ausrichten: für Familien, mit Posaunen-Begleitung und so weiter.
Die Idee zum 24-Stunden-Gottesdienst hatten wir schon im Mai oder Juni – trotzdem könnte der Tag jetzt gern mehr Stunden haben, um alles zu organisieren. Mich hat dieser Anspruch, etwas ganz Neues machen zu wollen, inspiriert. Ich mag das weiße Blatt Papier. Aber das geht anderen vielleicht anders.“
Pastorin Almuth Wiesenfeldt: „Ein Baum und ein Kreuz auf einem Lkw, davor bis zu 60 Autos in strenger Formation auf dem Schwimmbad-Parkplatz. Weihnachtsgeschichte, Predigt und Segen über Mikrophon und Radiowelle in die Autos übertragen werden, der Talar über der Winterjacke – es ist quasi ein Autokino! Der Weihnachtsgottesdienst wird sicherlich etwas rustikaler dieses Jahr, aber wir sind froh, dass wir etwas voraussichtlich Pandemie-sicheres gefunden haben. Und jeder kann mitsingen, so laut er will.
In die Kirche zu gehen, war für uns keine Option – wir hätten nur wenige Menschen reinlassen und nicht singen dürfen – da wollten wir lieber etwas Neues machen. Und zwar nicht nur eine abgespeckte Version, sondern etwas ganz anderes. Das passt zu der derzeitigen Situation: wie beim ersten Weihnachten überhaupt machen wir uns auf in eine ungewisse Zukunft, auch wir stehen jetzt quasi am Stadtrand. Aber Gott kommt auch in diesen Winkel der Erde.
Und es war eine schöne Erfahrung, wie alle zusammengearbeitet haben: jede*r hat sein Netzwerk aktiviert: der eine kannte jemanden, der den Baum beisteuern kann, ein anderer hat den Lkw organisiert, andere haben die Technik bereit gestellt, fungieren als Ordner und so weiter. Wir haben sehr von den vielen Beteiligten profitiert, die an alles gedacht haben: Was ist, wenn ein Auto nicht mehr anspringt und Starthilfe braucht? Welche Tipps kann die Feuerwehr geben? So viele Menschen wirken im Hintergrund mit, das ist klasse.
So freue ich mich jetzt auch auf unseren Auto-Gottesdienst, auch wenn der Frustlevel zwischendurch recht hoch war und ich auch einiges vermissen werde. Toll wäre, wenn man die Radioübertragung auch noch im Seniorenheim hören könnte – das werden wir noch ausprobieren. Ansonsten gibt es aber auch andere Angebote, zum Beispiel digital und den ,Gottesdienst in der Tüte‘. 1.000 Stück werden vor der Kirche bereitstehen und auch in einigen Dörfern verteilt, also nochmal deutlich aufgestockt. Es wird anders, dieses Jahr, aber bunter.“
Pastor Michael Bohnert: „Ich denke, es werden gar nicht die hundert Leute kommen, die wir auf dem großen Innenstadt-Platz open air versammeln könnten. Das Hygienekonzept ist schließlich mit der Stadt und dem Gesundheitsamt abgesprochen, doch es war viel hin und her. Ich würde sagen, es war auch teilweise Frust dabei, aber durchsetzt mit der Hoffnung, dass es doch irgendwie stattfinden kann. Nach allem, was ich mitbekomme, ist aber die Angst vor der Ansteckung schon da, sogar hier auf dem Land, wo doch eigentlich viel Platz ist.
Und trotzdem wird es Weihnachten werden, dennoch. Das wird auch mein Einstieg in die Predigt: dass die Hoffnung da ist, sie Weihnachten zu uns kommt, genau das feiern wir doch."