Lebenstraum Schäfer
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Aktiver Umweltschutz der Diakonie in Niedersachsen
Mit gemächlichen Schritt folgt Schäfermeister Klaus-Dieter Menke seiner Herde. Vor ihm: 740 Schafe, etliche Ziegen und ganz weit vorn seine Kollegin, Schäferin Katrin Müller, mit braunem Filzhut und Hirtenstab. Links, rechts und hinter der Herde flitzen drei Hunde mit atemberaubendem Tempo den Zug entlang, immer auf der Hut, dass kein Schaf auf die Idee kommt, aus dem Herdenzug auszubrechen. Menke lässt seinen Blick über die Tiere schweifen, über die Landschaft, das Freistätter Moor in Niedersachsen.
Seit mehr als 30 Jahren ist der 58-Jährige bereits Schäfer. "Ich möchte nicht einen Tag davon missen", sagt er. Wer Schafe hüten will, dürfe nicht zimperlich sein, sagt Menke. "Wir müssen jeden Tag raus, nach den Tieren sehen und mit ihnen weiterziehen." Bei jedem Wetter allein mit den Tieren draußen zu sein, das müsse man schon mögen, stimmt seine Kollegin zu: "Die Schäferei ist ein Lebenskonzept."
Ein Leben am Schreibtisch ist für die 43-Jährige unvorstellbar. "Mein Vater war auch Schäfer - ich bin eigentlich von jeher Schäferin." Während Menke und Müller geregelte Arbeitszeiten haben, blieben die Hirten von einst Tag und Nacht bei ihren Herden. "So wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte", sagt Menke. Heute gebe es kaum noch Wanderhirten - und jene, die mit ihren Herden bei Wind und Wetter ganzjährig in einsamen Landschaften umherziehen, seien dank des Internets weit weniger einsam als ihre Vorfahren. Denn die Hirtenvölker seien weltweit, bis in die Mongolei und nach Afrika, über das Netzwerk www.pastoralpeoples.org miteinander verbunden, weiß Menke.
Er und seine Herde, die täglich ein eingezäuntes Areal von 100 mal 100 Metern abgrast, gehören zur diakonischen Einrichtung "Bethel im Norden". 1899 gründete Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) die Diakonie Freistatt als Betheler Zweiganstalt im Wietingsmoor bei Diepholz. "Er kaufte Land für Menschen, die niemand wollte" berichtet Menke. Auf 1.010 Hektar sollten arme Wanderarbeiter unter dem Motto "Arbeit statt Almosen" das Moor entwässern und urbar machen. Wer in Freistatt unterkommen wollte, musste sich unter anderem zu regelmäßiger Arbeit und Teilnahme am Gottesdienst verpflichten.
Heute bemüht sich die Diakonie wieder um die Renaturierung des Moores. Dafür sind Menke und seine Kolleginnen mit insgesamt 1.500 Schafen, 100 Ziegen und 20 Wasserbüffeln in mehreren Herden bei Hitze und Kälte auf 1.200 Hektar in der Region unterwegs. "Unsere Tiere haben die Aufgabe, den jungen Birken die Blätter abzufressen, damit sie eingehen", erläutert er. Das sei durchaus erwünscht, denn Birken entziehen dem Boden das Wasser und lassen das Moor austrocknen.
Der Beruf des Hirten gehört zu den ältesten der Menschheit. Er steht für Schutz und Vertrauenswürdigkeit. Die Bibel nennt den Sohn von Adam und Eva, Abel, als den ersten Hirten. Auch Moses und der spätere König David waren Schäfer. Der Psalm 23 berichtet vom guten Hirten. Selbst Jesus wird mal als der gute Hirte, mal als unschuldiges Lamm Gottes beschrieben. Da wundert es wenig, dass der Beruf "Pastor" aus dem Griechischen übersetzt nichts anderes bedeutet als Hirte.
"In der Bibel stehen Schafe und Ziegen als Zeichen von Reichtum, Macht und Schönheit", sagt die Berner katholische Theologieprofessorin Silvia Schroer. Sie ist Expertin für die biblische Tierwelt. Im Hohelied des Alten Testaments beschreibe ein Verliebter das Haar seine Geliebten schwelgerisch mit einer "Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead". Und er fügt gar noch hinzu: "Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und es fehlt keiner unter ihnen."
Die Schäfer und Hirten hatten bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts neben dem Hüten der Tiere noch eine weitere wichtige Aufgabe, verrät Schäfermeister Menke: Laut biblischer Weihnachtsgeschichte waren es die Hirten, die von der Geburt Jesu als erste erfuhren und die die gute Nachricht weiter verbreiteten. "So eine Art Nachrichtenagentur der Antike", sagt er schmunzelnd.
Dabei fällt ihm ein, dass er noch ein weit verbreitetes Missverständnis ausräumen muss: Nämlich, dass das sprichwörtliche "Schäferstündchen" nicht allzu viel Erotik zu tun hat. Viel mehr gehörten die unentwegt umherziehenden Hirten in den Zeiten vor den Massenmedien zu den bestinformierten Menschen überhaupt: "Als die Wanderhirten von einst durch die Lande zogen, kehrten sie am Abend oft bei einem Bauern ein, bei dem sich dann das ganze Dorf zum 'Schäferstündchen' traf", berichtet Menke. "Und dabei ging's natürlich vor allem darum, den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Nachbardorf zu erfahren."