"Hier werden alle akzeptiert, wie sie sind"
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„Immer, wenn ich hier bin, werde ich viel glücklicher“ – schöner als Mesut Kaygun kann man wohl kaum beschreiben, welche Rolle das Projekt „Kurze Wege“ im Kirchenkreis Neustadt-Wunstorf für Kinder und Jugendliche spielt. Seit etwa anderthalb Jahren ist der 18-Jährige Stammgast, früher sei ihm oft langweilig gewesen. In Zeiten von Corona, wo öffentlich empfohlen wird, dass Jugendliche sich nur noch mit einem festen Freund oder einer festen Freundin treffen sollten, ist der offene Jugendtreff in der Wunstorfer Südstadt wie eine Oase in der sozialen Dürre. Ob der Treff auch noch ab Mittwoch, wenn die verschärften Corona-Maßnahmen gelten, für den Rest der Woche öffnen darf, wird sich erst mit der neuen Verordnung des Landes Niedersachsen klären. Danach geht es ohnehin in die Weihnachtsferien.
Bisher durfte der Treffpunkt für maximal zehn Personen unter Maskenpflicht geöffnet bleiben, nach „Paragraph 11 SGB VIII“, wie Sozialpädagogin Nicole Brickwedel auswendig weiß. Und die Jugendlichen nutzten das gern.
Seit 20 Jahren gibt es das Projekt „Kurze Wege“ bereits, immer war das Team am Puls der Zeit oder der Zeit voraus, selbst in Ausnahmesituationen wie Corona. „Am 13. März war klar, dass nichts mehr geht. Am 15. März waren wir mit einem Online-Angebot am Start“, erinnert sich Brickwedel, die gemeinsam mit dem Pädagogen und „Gründungsvater“ Stephan Kuckuck die offene Kinder- und Jugendarbeit leitet. Schnell habe sich aber gezeigt, dass selbst in der Jugendarbeit Online-Angebote kein Ersatz für die persönliche Begegnung sind. „Und nicht jeder mag allen über die Webcam sein Zimmer zeigen“, so die Sozialpädagogin. „Nach dem ersten Lockdown war der Bedarf, sich hier wieder zu treffen, jedenfalls sehr hoch.“
Seit 2012 ist der Jugendtreff in einem ehemaligen Bekleidungsladen in der Barnestraße untergebracht, einzelne Farbakzente erinnern noch an den Vormieter. Ansonsten ist alles umgebaut: Ein einladender Tresen ist das kommunikative Zentrum, mehrere Kicker und Billardtische können genutzt werden, es gibt eine gemütliche Sofaecke für Computerspiele, eine Tischtennisplatte, Gesellschaftsspiele, einen Raum für Beratungsgespräche und vieles mehr. Ein großes Aquarium sorgt für Wohnzimmer-Atmosphäre und durch die breite Glasfront kann man schon von der Straße aus sehen, dass hier etwas los ist. Neuankömmlinge werden von Labradorhündin Anouk begrüßt, die kein gewöhnlicher Hund ist, sondern gemeinsam mit Besitzerin Nicole eine Ausbildung zur tiergestützten Pädagogik absolviert hat.
In 20 Jahren Offene-Tür-Arbeit hat sich eines nicht verändert, betont Brickwedel: „Jugendliche haben die gleichen Probleme wie immer. Sie müssen sich entwickeln und auch mal über die Stränge schlagen.“ Wenn es Probleme gibt, sei auch mal eine klare Rückmeldung fällig. Aber: „Es wird jeder so akzeptiert, wie er ist und hat jeden Tag die Chance, neu anzufangen.“ Und Gründungsvater Stephan Kuckuck ergänzt: "Wenn junge Männer vorbeikommen und fragen: ,Erinnerst Du Dich noch an mich?' - Dann habe ich etwas richtig gemacht. Die Jugendlichen von damals schicken heute ihre Kinder hierher“, freut sich der 49-Jährige.
Lothar Veit