Kaffee, Brötchen und ein gutes Wort - bis zu 200 Wohnungslose kommen täglich zum Kontaktladen "Mecki" in Hannover
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"Wurst oder Käse?", fragt Sozialarbeiter Pascal Allewelt. "Alles, was geht", antwortet sein Gegenüber, der seine eigene Tasse mitgebracht hat: aus ihr ragt ein Revolverlauf, statt eines Griffs hat sie einen Abzug. Doch gefährlich wirkt der Mann mit Lederjacke und St.-Pauli-Kappe nicht. Er hat sich an diesem Morgen wie alle anderen friedlich zur Essensausgabe angestellt. Die Schlange vor dem Kontaktladen "Mecki" am Raschplatz in Hannover unweit des Hauptbahnhofs reißt von 8 bis 11 Uhr nicht ab. So lange gibt es belegte Brötchen, Obst und heiße Getränke für Obdachlose und andere bedürftige Menschen.
Vor Corona fanden um die 70 Leute in dem kleinen Treffpunkt des Diakonischen Werks Hannover Platz, konnten im Warmen frühstücken, quatschen und Rat suchen. Aktuell werden immer nur jeweils drei mit ausreichend Abstand vorgelassen und müssen ihr Brötchen dann wieder draußen essen. Weil andere Treffpunkte ganz geschlossen sind, kommen noch mehr Bedürftige als früher, etwa 200 pro Tag. Eine Situation, die sich so oder so ähnlich derzeit in vielen Städten abspielen dürfte. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe leben in Deutschland rund 678.000 Menschen ohne dauerhafte Bleibe."
So wie Frank P., der dankbar für Kaffee, Brötchen und ein paar aufmunternde Worte ist: "Wo sollen die Leute denn sonst hin?" Wie die meisten ist er mit seiner ganze Habe hergekommen, ein paar Klamotten und seinem Schlafsack. Für die Nächte hat er einen "geheimen Punkt", den ihm niemand streitig machen soll. Das ist wichtig, weil er an einem früheren Schlafplatz schon mal beklaut worden ist. Morgens fehlten Kleidungsstücke und sein Ausweis. Tagsüber sitzt er an wechselnden Orten und bettelt. "Ich bin mehr außerhalb, in der Fußgängerzone sind zu viele Bettler", sagt der 59-Jährige, der sich mit anderen über geeignete Standorte austauscht.
Vor ihm steht dann ein Becher, er spricht die Menschen nicht an und auch die Spender werfen meist stumm ihre Münzen ein. Nicht nur das Schlafen, auch das Betteln wird im Winter härter. "Aus den warmen Einkaufszentren schmeißt einen die Security raus", sagt Frank P., der nur zögerlich von seinem Werdegang berichtet. Nachdem er keine passende Ausbildungsstelle gefunden hatte, sei er "auf die schiefe Bahn geraten": Diebstähle, Schwarzfahren, kleinere Delikte, für die er eine Geldstrafe aufgebrummt bekam. Weil er die nicht zahlen konnte, musste er drei Monate ins Gefängnis. Seine Familie wandte sich von ihm ab und er kam nicht mehr auf die Beine.
Oder Thomas G., den es schon mehrfach aus der Bahn geworfen hat. Zuletzt hatte er sich von einer Erbschaft einen Garten mit einer Laube finanzieren wollen. Er versteckte einen Umschlag mit dem Geld zwischen Akten, die dann aus Versehen im Altpapier landeten. Als er es merkte, war es zu spät. "Da ist für mich die Welt zusammengebrochen, seitdem dümpele ich motivationslos vor mich hin", sagt der 52-jährige gebürtige Brandenburger.
Für Außenstehende seien diese Geschichten oft kaum nachvollziehbar, sagt Pascal Allewelt. "Aber wir haben es hier mit Leuten zu tun, die traumatisiert sind. Mit Menschen, die multiple psychische Erkrankungen bis hin zur Schizophrenie haben. Und vielleicht ein Alkohol- oder Drogenproblem." Oft werde auf diese Menschen als "Taugenichtse" herabgeschaut, doch wenn jemand auf der Straße lande, sei dem "eine lange Kette von unglücklichen Umständen vorausgegangen", so der Sozialarbeiter. "Wenn ich in der Zeitung von misshandelten Kindern lese, denke ich oft: Zu uns kommen sie dann als Erwachsene."
Selbst bei Minusgraden bleiben manche lieber auf der Straße als in einer der Notschlafstellen. "Dort werden sie morgens auf die Straße gesetzt und dürfen erst abends wiederkommen", sagt Allewelt. "Und nachts bekommen sie kaum ein Auge zu." Mitunter führten Sicherheitsdienste in den Unterkünften ein raues Regiment. Auch wenn die Stadt Hannover nach massiver Kritik an ihrer Politik zuletzt einen neuen Tagesaufenthalt im Stadtteil Ahlem für bis zu 50 Obdachlose eröffnet hat, reiche dies nicht aus: "Wir fordern eine Einzelunterbringung: einfache Zimmer, in denen die Menschen wenigstens ein bisschen Privatsphäre haben", sagt der 39-Jährige, der als Straßensozialarbeiter regelmäßig die Obdachlosen-Treffpunkte der Stadt abklappert.
"Auf der Straße wirst du psychisch und körperlich krank." Wer wüsste das besser als Franziska Walter, die seit 28 Jahren als Krankenschwester Im "Mecki" arbeitet. "Ich habe ein Herz für Wohnungslose. Mich interessiert das Leben, das dahintersteckt", sagt die 56-Jährige. In einem winzigen, fensterlosen Raum behandelt sie Menschen, die woanders nicht hingehen können oder wollen. Die sich zum Teil tagelang nicht gewaschen haben und mit offenen Wunden unterwegs sind. "Unsere Klienten leiden selbst darunter", sagt Walter, "sie sind dankbar für die Behandlung. Vorwürfe brauchen sie nicht."
Lothar Veit/epd