Wohnungslos im Winter: Wie geht es Menschen ohne Obdach unter Coronabedingungen?
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Es ist Mitte November, die Temperaturen sinken merklich. Wie geht es obdachlosen Menschen in dieser Zeit - noch dazu während der Corona-Pandemie?
In Hannover hat es zuletzt massive Kritik an der Schließung des Hilfsprojektes im Naturfreundehaus Mitte Oktober gegeben: 17 Obdachlose, die bis dahin eine feste Bleibe hatten, mussten wieder auf die Straße. Stadt und Region arbeiteten derzeit an einem weiterführenden Modellprojekt, das 2021 starten soll, kündigt Stadtsprecherin Christina Merzbach an: "Ziel ist es, durch eine Kombination aus temporärer Unterbringung und sozialer Beratung obdachlosen Menschen eine Perspektive zu geben, so dass sie ihre Lebenssituation selbst verbessern können." Die Stadt suche dafür aktuell nach einer Immobilie.
Die Stadt Hannover geht aus ihrer Sicht gut gerüstet für die Versorgung von Obdachlosen in die Winterzeit. So gebe es in insgesamt fünf Notschlafstellen rund 205 Plätze, sagt Merzbach. Diese seien unterteilt in 115 Plätze für Männer oder Frauen, zehn Notschlafstellen für Frauen auch mit Kindern, 18 Plätze für Familien, fünf ausschließlich für Frauen und 60 Plätze ausschließlich für Männer. Am Montag hat die Stadt Hannover mit den Sozialen Diensten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zudem in Ahlem einen Tagesaufenthalt für bis zu 50 Obdachlose eröffnet. Shuttlebusse sollen dabei helfen, dass Wohnungslose das dezentrale Angebot erreichen können.
Auch für Infektionsfälle sei vorgesorgt. Sollte es Verdachtsfälle oder eine diagnostizierte Corona-Infektion in den Obdachlosen-Unterkünften geben, würden die Bewohner in einem dafür extra angemieteten Hotel untergebracht, das zu Quarantäne-Zwecken diene.
Grundsätzlich stünden auch in Zeiten von Corona in den dauerhaften Obdachlosen-Unterkünften sowohl Doppel- als auch Einzelzimmer zur Verfügung. "Dort, wo die Empfehlungen des Robert Koch-Institutes nicht vollständig eingehalten werden können, hat die Stadt die Zimmerbelegungen entzerrt und in den Notschlafstellen die Bettplätze reduziert“, sagt Stadtsprecherin Merzbach.
Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie fordern allerdings, es müsse noch viel mehr geschehen. Die Sprecherin des Stadtkirchenverbandes, Insa Becker-Wook, sagt, es sei viel zu spät, das neue Modellprojekt erst 2021 anlaufen zu lassen. "Im Grunde hätte es sofort nach Auslaufen der Unterbringung im Naturfreundehaus starten müssen." Zwar sorge die Stadt aus Sicht der Diakonie tatsächlich dafür, dass Obdachlose untergebracht werden. "Das sind allerdings dann auch wirklich nur Schlafplätze. Der gesetzliche Auftrag wird auch in Corona-Zeiten erfüllt, die sozialarbeiterische Betreuung bleibt aktuell aber eher auf der Strecke."
Die Pandemie mache es den freien Trägern extrem schwer, die Nachfrage mit ihren Angeboten aufzufangen. "Wir sind extrem eingeschränkt in unseren Möglichkeiten", betont Becker-Wook. So sei der zentral am Hauptbahnhof gelegene Kontaktladen "Mecki" des Diakonischen Werks in der Regel Anlaufstelle für 60 oder 70 Obdachlose. "Unter Corona-Bedingungen und mit den nötigen Abständen können wir zurzeit aber immer nur jeweils fünf reinlassen und haben entsprechend lange Schlangen vor der Tür."
Nach Angaben der evangelischen und katholischen Kirchen sind in der Landeshauptstadt in diesem Jahr bereits 70 Menschen aus der Wohnungslosenszene gestorben. Der evangelische Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes und der katholische Propst Christian Wirz gestalten deshalb am Mittwoch gemeinsam mit einem Mitarbeiter-Team eine ökumenische Trauerandacht. Sie beginnt um 9.30 Uhr vor dem Kontaktladen "Mecki" für Wohnungslose in der Nähe des Hauptbahnhofs.
Bei der Trauerandacht hätten Freunde und Weggenossen von Verstorbenen aus der Wohnungslosenszene die Möglichkeit, noch einmal Abschied zu nehmen. Dabei soll draußen vor dem Kontaktladen ein Kreuz auf Tüchern auf dem Boden liegen, auf dem die Andachtsteilnehmer Kerzen abstellen können. Immer mehr verstorbene Menschen erhielten eine anonyme Bestattung, die vom Ordnungsamt organisiert werde, hieß es. Dabei gebe es für Nahestehende keine Möglichkeiten, Abschied zu nehmen.
epd / Themenraum