"Es macht großen Spaß, die Fortschritte zu sehen"
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In Hannover-Döhren und Uetze, aber auch in vielen anderen Orten Niedersachsens sind Kinder in den Herbstferien in "Lernräumen" unterwegs gewesen. In von den Kirchen initiierten Projekten spielen und lernen sie gemeinsam - auch nach den Ferien geht es vielerorts weiter.
Was heißt jammern? Was ist eine Hauptrolle? Und was bedeutet gelähmt? Während sie auf einem roten Plüschsofa sitzen, tasten sich Schireni und Asmita Wort für Wort durch ein Buch mit Ballettgeschichten. Wie viel es da zu entdecken gibt! Mit großer Beharrlichkeit lesen die Elfjährige und ihre Schwester, die in die 2. Klasse geht, sich gegenseitig laut vor. Mit ihrer Mutter sprechen sie zu Hause tamilisch, mit dem Vater deutsch. Noch mehr verstehen, noch besser in der Schule mitkommen - für die beiden Mädchen sind das ganz positive Ziele. Im „Lernraum“, den die Kirchengemeinde St. Petri in Hannover-Döhren in den Herbstferien angeboten hat, war Lesen auch deshalb ein wesentlicher Baustein. Schireni und Asmita waren zwei von zehn Kindern, die in den beiden Ferienwochen teilgenommen haben.
Corona hat vielen Kindern im Frühjahr monatelang den regelmäßigen Präsenzunterricht geraubt. Die Folgen davon sind noch immer spürbar, sagt Ulrike Marisken, die mit Corona-Abstand auf einem gemütlichen Lehnsessel neben dem Sofa sitzt und die beiden Mädchen beim Lesen unterstützt. Natürlich könne eine Woche in den Schulferien nicht alles ausgleichen. „Aber jede Wortschatzerweiterung ist gut“, sagt die ehrenamtliche Helferin, die auch schon mehrere Jahre als Patin für die Stiftung Lesen in Schulen geholfen hat. „Und es macht großen Spaß, hier die Fortschritte zu beobachten.“
Schireni teilt sich mit Asmita ein Zimmer, die beiden haben noch einen Bruder, der ein eigenes Zimmer hat. Unter den Schulschließungen hat die Elfjährige auch aufgrund des Platzmangels gelitten: „Wir hatten keinen Unterricht mit Video, wir waren einfach allein zu Haus. In der Schule kann man den Lehrer Dinge fragen, zu Hause geht das nicht so schnell. Da muss man erst eine E-Mail schreiben oder in einer App etwas schreiben. Und wenn man nicht weiß, wie eine Aufgabe funktioniert, muss man die Frage einfach auslassen. Das finde ich ganz blöd und deshalb mag ich home schooling nicht.“
In der St.Petri-Gemeinde dagegen gibt es einen großen Saal, in dem der gemeinsame Tagesstart und die Mahlzeiten stattfinden, dazu weitere Räume, auf die sich die Gruppe mit viel Abstand aufteilen kann. Die Kinder basteln, machen Lernspiele zu Städten, Flüssen, Tieren und vieles mehr. „Wir stellen diese Räume ganz bewusst zur Verfügung, um Kindern und Jugendlichen eine Chance zu geben“, sagt Regionaldiakonin Silke Wieker, die das Angebot mit Ehrenamtlichen auf die Beine gestellt hat. „Hier haben sie einen Ort, wo sie lernen, spielen und zugleich auch geborgen sind. Für mich ist das die nobelste Aufgabe von Kirche: Menschen dabei zu helfen, eine Heimat zu finden.“
Unter ihren Anmeldungen seien überwiegend Kinder mit Migrationshintergrund gewesen, sagt die 59-Jährige. Im Sommer waren bei einem ähnlichen Angebot in der Auferstehungs-Gemeinde, gleich nebenan, acht Kinder dabei, nun eben zehn. Bei ihrer Auswahl konnte sich Silke Wieker eng mit einer Klassenlehrerin und der Schulsozialarbeiterin an der Grundschule Suthwiesenstraße abstimmen. Lernen, um die Schulleistungen zu verbessern - das ist ein Anspruch des Projekts. Aber Diakonin Wieker ist ebenso wichtig, dass die Kinder etwas ganz anderes lernen: „Sie sollten wissen, dass sie nicht nur wegen ihrer Leistung und Noten etwas wert sind. Uns ist die Beziehung zu ihnen wichtig - das möchten wir alle ihnen unbedingt vermitteln.“
Auch der siebenjährige Denis und sein gleichaltriger Klassenkamerad Haroun sitzen an diesem Vormittag im Gemeindehaus der St.Petri-Gemeinde in Hannover-Döhren beim gemeinsamen Frühstück. Weintrauben, belegte Brote und Saft stopfen die Jungs begeistert in sich hinein; sie können es erkennbar kaum abwarten, dass der Tag endlich losgeht: Bingo mit Verben, Lesen mit Anleitung, Fußball auf dem Kirchhof und ja - auch Rechnen: „Mathe kann ich eigentlich gut“, sagt Denis. „Aber in Deutsch will ich noch besser werden. Wir sprechen zu Hause Rumänisch, deshalb kann ich das in meiner Familie nicht so gut üben.“
Kinder aus nicht-deutschsprachigen Elternhäusern sind auch im Lernraum in Uetze in der Region Hannover die größte Gruppe. Hier kommen jede Woche an drei Nachmittagen Lern- und Spielwütige in das Spritzenhaus. Drei lokale Kirchengemeinde haben dort Räume angemietet, die unter anderem auch für die Flüchtlingsarbeit genutzt wurden. Sandra Körtke koordiniert vor Ort die Arbeit mit Ehrenamtlichen - und hat neun Grundschulkinder pro Woche zu Besuch, die von vier Neuntklässler*innen betreut werden. "Die machen das ganz großartig", sagt die Kulturpädagogin. "Sie machen mit den Kindern Hausaufgaben, lesen zusammen Bücher, üben an Lern-Apps. Und spielen auch mal eine Runde Karten." Das werde in vielen Familien nicht so häufig gemacht - und mache den Kindern ungemein Spaß. Die betreuenden Schülerinnen bekommen dafür ein Taschengeld und sind stolz auf ihre Arbeit, sagt Körtke.
Die Pädagogin ist überzeugt von den Uetzer "Lernräumen", die auch nach den Ferien weitergehen - und würde das Projekt gern noch ausbauen: "Ich möchte so gern, dass die Kinder mit ihren Potenzialen gesehen werden und wir Zeit und Interesse für das haben, was sie können. Das pure Abfragen von Wissen reicht einfach nicht aus, um Dinge neu zu denken." Kinder müssten ermutigt werden, findet Körtken - ihr schwebt deshalb etwa auch ein Mal-Atelier vor, ganz frei, ohne Vorgaben.
Wie sehr der „Shutdown“ im Frühjahr Schulprobleme verursacht hat, sieht die Uetzerin bei den Kindern, die wöchentlich kommen: „Wenn Kinder, die zu Hause kein deutsch sprechen, Lückentexte ausfüllen müssen, werden die Probleme eher noch größer. Es wird schwierig, wenn die Eltern zwar guten Willens sind, aber selbst nicht zur Schule gegangen sind.“ Für manche habe die Kulturpädagogin die Wochenpläne ausgedruckt, weil die Familien gar keinen Drucker hatten, sagt sie.
Nun, in den „Lernräumen“, können coronabedingt nur drei Kinder pro Nachmittag kommen, weil der Raum nicht groß genug ist. Ein Nachteil, aber Körtke wollte erst einmal anfangen - und stellte schnell fest: „Maximal neun Kinder pro Woche sind zwar ein bisschen wenig, aber das Angebot wird sehr gut angenommen. Und jedes Kind zählt.“
In der Mehrheit lebten die Jugendlichen in Haushalten mit mehreren Kindern. „Da ist oft nicht jedes Kind im Fokus“, sagt Körtke. „Wenn die dann hierher kommen, genießen sie das erkennbar: Sie können von sich erzählen, werden wahrgenommen und dürfen einfach sie selbst sein.“
Alexander Nortrup