Dies ist die Zeit der Freude
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„This is not the time to wonder“ singt die Jugendband. Aber ein bisschen wundern dürfen sich die Jugendlichen schon, dass es jetzt doch noch geklappt hat mit ihrer Konfirmation. In drei Gruppen zwar, mit Maske, mit Segen ohne Handauflegen und einer Band hinter einer Plexiglasscheibe – aber sie sind endlich konfirmiert, die 20 Jungen und Mädchen aus Wunstorf-Luthe. Nicht wie geplant Ende April, sondern im Oktober. Nach einem halben Jahr Ausnahmezustand. Und es war sogar feierlich, trotz der bizarren Umstände.
Ein Kraftakt für jede Gemeinde: Die Zahl der Gottesdienste erhöht sich, weil die Besucher*innen Abstand halten müssen. Neben dem klassischen Sonntagstermin fanden in Luthe zwei Konfirmationen am Samstag statt. Für den ersten Gottesdienst um 13.30 Uhr fanden sich zunächst keine Freiwilligen, es musste gelost werden. Die zweite Feier folgte um 15 Uhr. Dazwischen: Kirche lüften, komplett reinigen, Bänke desinfizieren.
Rückblende in den Januar. Im Luther Gemeindehaus sitzen die Konfis dicht an dicht am Tisch und grübeln über ihren Konfirmationssprüchen. Ob sie sich bewusst sind, dass er sie ein ganzes Leben lang begleiten kann? „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ – diesen Spruch aus dem Matthäusevangelium hat sich Luisa Koch ausgesucht. Justin Winkler ist bei Johannes fündig geworden: „Euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Beide klingen nach Trotz-Versen gegen die Corona-Pandemie – an die allerdings Anfang des Jahres noch nicht zu denken ist. Vielleicht erfahren die jungen Menschen eines Tages, dass die Bibeltexte zeitlos sind und über den Tag hinaus tragen.
Kurz vor dem Gottesdienst haben die Konfis wohl ganz andere Gedanken. In einem großzügig gestellten Stuhlkreis sitzen sie in jenem Gemeindesaal, in dem sie bis März gequatscht, gearbeitet und gelacht haben. Die Nervosität ist ihnen anzumerken. „Ein Beweis dafür, dass es den Konfis nicht nur um die Geschenke geht“, wird Pastorin Marit Ritzenhoff später in der Begrüßung sagen.
Für die Verwandtschaft ist jeweils eine Sitzreihe in der Kirche reserviert, Eingang und Ausgang funktioniert im Einbahnstraßensystem. Gesungen werden darf nicht, aber dafür gibt es ja die Band. Aus deren Repertoire durften sich die Konfis im Vorfeld Lieder aussuchen. Und so erklingen neben modernen Kirchenliedern auch der eingangs erwähnte Hit von Fury in the Slaughterhouse und „Wind of change“ von den Scorpions.
Mehr „change“, mehr Umbruch als in den vergangenen Monaten dürfte es für die meisten kaum je gegeben haben. Doch Pastorin Ritzenhoff verharrt nicht bei den Corona-Umbrüchen, sondern spricht vom Aufbruch zum Glauben. Für jede Konfirmandin, für jeden Konfirmanden hat sie ein persönliches Wort zum Konfirmationsspruch vorbereitet. So auch für Justin Winkler: „Taufe und Konfirmation waren Deine Idee“, sagt sie. „Du wolltest dich auf die Entdeckungsreise des Glaubens begeben, weil es dir wichtig ist. Und dein Spruch soll dich motivieren.“
Justin (15), dessen Familie ursprünglich aus Frankfurt/Oder stammt, hatte sich erst vor zwei Jahren taufen lassen. Er hätte es selbst nicht so formulieren können wie die Pastorin, aber ja, er fühle sich verstanden. Auch er war vor dem Gottesdienst „ein bisschen aufgeregt, wegen der vielen Leute“. Jetzt freue er sich, sagt er wenige Minuten nach dem Auszug aus der Kirche. Seine Mutter hatte sich erst nach ihm, Ende 2019, taufen lassen. Zu Pastorin Ritzenhoff ist deshalb eine besondere Beziehung entstanden; die Winklers haben sie zur Konfirmationsfeier eingeladen.
Die Familie feiert zu Hause, das Essen wird geliefert.
Andere hatten Monate im Voraus einen Saal gemietet und mussten diesen stornieren, als die Konfirmationen überall im Land verschoben wurden. Für die Gastronomie wäre Umbruch ein zu mildes Wort für die vergangenen Monate, Abbruch trifft es hier besser. Doch auch bei dem Familienunternehmen Bullerdieck in Garbsen, bei dem viele Wunstorfer feiern wollten, stehen die Zeichen auf Hoffnung. „An diesem Wochenende werden bei uns drei Konfirmationen gefeiert, seit September waren es insgesamt 15“, sagt Geschäftsführerin Mirja Bullerdieck. Sind die Familien verunsichert oder besorgt? „Es ist auf jeden Fall alles anders. Die Gäste und auch wir sind gefühlt etwas befangen.“ Natürlich sorge die Restaurant-Leitung für die erforderlichen Hygienemaßnahmen: 1,50 Meter Abstand zwischen den Tischen, Desinfektionsmittel für alle, Maskenpflicht auf dem Weg zur Toilette. Deshalb seien die Feiern mitunter weniger ausgelassen als früher. „Was wir aber definitiv feststellen, ist die Freude der Menschen, sich mal wieder zu sehen und auszutauschen“, so Mirja Bullerdieck.
Ähnlich ging es den Konfis schon beim Nach-Konfirmations-Grillen, was in diesem Ausnahmejahr wenige Wochen vor der verschobenen Konfirmation stattfand. „Zwei Drittel waren da“, freut sich Diakonin Beate Degener. Da sei deutlich zu spüren gewesen, dass die Gruppe froh über das Wiedersehen war.
Die (Kirchen-)Tür steht den Konfirmierten in Wunstorf-Luthe weiterhin offen, etwa beim wöchentlichen Jugendtreff, wirbt Pastorin Ritzenhoff. Justin Winkler kann sich auch vorstellen, weiterhin ab und zu zum Gottesdienst zu gehen. Er hätte allerdings nichts dagegen, wenn dann immer die Jugendband spielte.