Startseite Archiv Nachricht vom 30. September 2020

"Vom Widerstand ins aktive Gestalten"

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Stephan Wichert-von Holten ist Propst des Kirchenkreises Lüchow-Dannenberg, zu dem auch Gorleben gehört.

Herr Wichert - von Holten, wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass der Salzstock Gorleben aus der Endlagersuche raus ist?

Wichert-von Holten: "Ich kann es noch gar nicht glauben. Seit dem Vormittag steht das Telefon nicht mehr still, wir haben uns alle gegenseitig quasi durchs Telefon umarmt. Seit 40 Jahren sind unsere Seelen auf diesem Weg, in den Protesten, das sind ja mittlerweile Generationen – nun fühlen wir uns ein wenig wie angekommen. Wobei es ja damit noch nicht vorbei ist und wir weitermachen – wir haben ja nicht für uns gekämpft, sondern für den besten Standort."

Was ändert sich jetzt?

Wichert-von Holten: "Ich möchte es so sagen: Ich hoffe, dass etwas erhalten bleibt: das besondere Miteinander, das hohe soziale und gesellschaftliche Engagement, das hier entstanden ist. Wir haben auch gelernt, was bürgerschaftliche Beteiligung bedeutet: mit Polizei, Politik und Demonstrierenden zu reden und aufeinander zuzugehen. Diese Identität sollten wir auf jeden Fall erhalten und diese Erfahrungen weitertragen – auch wenn wir das ursprüngliche Identifikationsmerkmal verlieren. Dieses Kapitel ist zu Ende – aber wir schlagen ein neues Buch auf. Wir gehen vom Widerstand quasi ins aktive Gestalten.“

Was bedeutet die Entscheidung für die Gemeinde und die Menschen in Gorleben?

Wichert-von Holten: „Das Endlager hat über die Jahre entzweit, aber auch vereint. Es hat so Vieles beeinflusst. Wir möchten jetzt den weiteren Prozess begleiten: anderen Regionen, die nicht so protesterfahren sind, zur Seite stehen und solidarisch für den besten Standort kämpfen. Das Gorlebener Gebet werden wir nicht beenden, sondern fortführen, bis eine Lösung gefunden ist.

Gorleben ist der Beweis, dass sich Hartnäckigkeit und Geduld auszahlen und dass Entscheidungen nach sachlichen Gründen getroffen werden und nicht nach politischen – das macht Mut. Und wir sind realistisch: auch wenn die Gorlebener Salzstöcke aus dem Rennen sind – die Tonschichten rund um Gorleben sind es nicht.“

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Propst Stephan Wichert-von Holten. Bild: privat

Gorlebener Gebet wird fortgesetzt

Gorleben. Die ökumenische Initiative "Gorlebener Gebet" will ihre traditionellen Andachten im Wald auch nach dem Ausschluss des Gorlebener Salzstocks aus dem Endlagersuchverfahren fortsetzen. "Das Gorlebener Gebet gehört seit 31 Jahren zum Widerstand gegen die Atomwirtschaft und die politische Entscheidung, den hochradioaktiven Restmüll im Gorlebener Salzstock zu lagern", sagte die Koordinatorin der Initiative, Christa Kuhl, am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Gorleben komme nun aus geologischen Gründen nicht mehr als Endlagerstandort infrage, "darüber sind wir froh". "Wir beten aber nicht zum St. Florian", fügte Kuhl hinzu. 113 Castoren mit hochradioaktivem Atommüll befänden sich noch in Gorleben, die Zwischenlager an den Atomkraftwerken würden weiterhin gefüllt.

"Die Atompolitik ist weltweit lebensbedrohlich für Menschen und Umwelt, von der Urangewinnung über die Verarbeitung - auch zur Herstellung von Atomwaffen - bis zur ungelösten Endlagerung", sagte Kuhl. "Wir erkennen unsere politische Verantwortung und bleiben im Gebet."

Beim allsonntäglichen "Gorlebener Gebet" mahnen die Teilnehmer mit Liedern, Redebeiträgen und Gebeten einen verantwortungsvolleren Umgang mit der Schöpfung und konkret mit Atommüll an. Bis heute gab es mehr als 1.800 Veranstaltungen.

Den Anstoß für das "Gorlebener Gebet" gab 1988 ein großer Protestmarsch gegen Atomkraft über mehr als 1.000 Kilometer vom bayrischen Wackersdorf bis nach Gorleben. 63 Tage lang hatten Demonstranten ein schweres Holzkreuz mit sich geschleppt, das sie am Schluss in den Gorlebener Waldboden rammten. Zu einem festen Termin im wendländischen Protestkalender wurden die Gebete dann im Frühsommer des folgenden Jahres. Inzwischen stehen an dem Gebetsort mehrere Kreuze.

Während des Höhepunkts der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 waren die Gebete und Andachten erstmals für mehrere Woche abgesagt worden. Die Initiative hatte stattdessen angeregt, jeden Sonntag um 14 Uhr zu Hause ein Gebet zu halten. Ganz leer war der Platz an den Kreuzen im Wald nach Angaben der Organisatoren aber an keinem Sonntag.

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen