Einschulung der anderen Art
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Auf Baltrum hat es bereits gut geklappt: Cassen, Jakub und Theo wurden schon vor rund einer Woche eingeschult - mit Abstand, Gottesdienst und "Beanie"-Mützen, die der Landesbischof an 650 Gemeinden verschenkt hatte. Da die Sommerferien auf Baltrum nur vier Wochen dauern, sind die drei Jungen die vermutlich die ersten ABC-Schützen in Niedersachsen.
Für viele andere Kinder steht die Einschulung kurz bevor und der Gruß und Segen der Kirche wird überall etwas anders aussehen: In Melle werden die Mützen zusammen mit einem Gruß und Segenskarten an einer Leine auf dem Schulhof gespannt sein, später im Unterricht wird Pastorin Sigrid ten Thoren einen (Distanz-)Segen geben.
Die Lister Johannes- und Matthäusgemeinde hat ein aufwendiges System entwickelt, um per Anmeldung und Platz-Zuweisung allen Kindern mit ihren Familien und sogar Pat*innen einen Gottesdienst zu ermöglichen. Die Kinder aus Georgsmarienhütte werden die hellblauen Mützen mit dem Schriftzug "Beschützt" zusammen mit einem Brief von ihrer Kirchengemeinde im Briefkasten finden.
Und im Kirchenkreis Winsen gibt es bunte Tüten mit kleinen Geschenken. „Das Corona-Virus zwingt uns häufig, aus den Kirchen raus und zu den Menschen in den Gemeinden zu gehen. Das wird auch bei den Einschulungen gut funktionieren“, sagt Superintendent Christian Berndt, der selbst mit einer Andacht an den Feierlichkeiten der Elbe-Grundschule Tespe beteiligt sein wird, in der Sporthalle.
Von abgesagt bis corona-gerechte Alternative: in vielen Gemeinden haben Diakon*innen und Pastor*innen fieberhaft überlegt, wie sie die Erstklässler*innen trotz der Einschränkungen begrüßen können. Die "Beanies" als Einschulungsgeschenk der Landeskirche wurden da gern eingebunden. Landesbischof Ralf Meister wünscht "allen Erstklässlerinnen und Erstklässlern, dass sie einen behüteten Start in ihre Schulzeit erleben. Sie können sicher sein: Gott wird sich um sie sorgen."
Für die Erstklässler*innen beginnt eine neue Zeit - doch viele Eltern und Lehrer*innen haben den Wunsch nach möglichst viel Normalität. Wie kann trotz derzeit wieder steigender Infektionszahlen der Start ins neue Schuljahr gelingen? Lena Sonnenburg, als Dozentin am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für den Bereich Grundschule, erklärt im Interview, was jetzt wichtig ist.
Frau Sonnenburg, viele Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern hoffen, dass die Schule wieder „möglichst normal“ startet. Wie viel Normalität wird möglich sein?
Lena Sonnenburg: Das ist selbst jetzt kurz vor Schulstart schwer zu sagen. Die Fallzahlen steigen ja gerade wieder. Deshalb sage ich es mal so: Ich hoffe, dass erstmal alle Schüler*innen einer Klasse gemeinsam in die Schule kommen können, auch wenn man wohl nicht ausschließen kann, dass später vielleicht wieder eine verkürzte Beschulung notwendig sein wird. Ganz besonders für die Erstklässler*innen würde ich mir aber einen Start mit der ganzen Klassengemeinschaft wünschen – für diese Kinder ist ja das ganze System Schule neu.
Wie kann die Schule gerade den neuen Erstklässler*innen in dieser Situation den Start erleichtern?
Lena Sonnenburg: Die Lehrkräfte haben da viele tolle Ideen. Ich weiß, dass viele angehende Erstis Post von ihren zukünftigen Klassenlehrer*innen bekommen haben: zum Beispiel mit der Bitte, ein Bild von sich zu malen und in die Schule mitzubringen. Das wird dann im Klassenraum aufgehängt, so dass die ganze Klasse symbolisch versammelt ist. Auf diese Weise entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft – und das funktioniert auch dann, wenn die Kinder Abstand halten müssen.
Was denken Sie: Welche Spuren hat die lange Corona-Zwangspause bei den Schüler*innen hinterlassen?
Lena Sonnenburg: Die Schüler*innen freuen sich jetzt plötzlich auf die Schule (lacht). Die Grundschüler*innen gehen ja meistens sowieso gerne zur Schule, aber jetzt merken auch die Jugendlichen, wie gut Normalität tut. Gleichzeitig haben die Kinder eine schwierige Zeit hinter sich: Viel Unsicherheit, viele Sorgen, vielleicht haben sie auch bei ihren Eltern ganz reale Existenzängste gespürt. Das geht natürlich nicht spurlos an einem vorüber. Das werden die Lehrkräfte in den Schulen aufgreifen müssen.
Manchmal hört man ja Sätze wie „Jetzt müssen sich die Schulen aber ranhalten, um den ganzen verpassten Stoff nachzuholen!“ Was würden Sie denn sagen, was in den Schulen jetzt am wichtigsten ist?
Lena Sonnenburg: Auf keinen Fall sollte man sich trotz des ausgefallenen Unterrichts jetzt auf die reine Wissensvermittlung konzentrieren. Lernen kann nur funktionieren, wenn die Schüler*innen offen dafür sind. Damit das auch jetzt, während Corona, zutrifft, müssen die Lehrkräfte ihnen Sicherheit geben, die Ängste der Kinder abbauen und deutlich zeigen, dass sie für die Schüler*innen da sind. Fehlender Stoff kann leichter kompensiert werden als mangelndes Vertrauen. Und noch etwas ist jetzt wichtig: Über Wochen mussten die Schüler*innen alleine zuhause lernen. Dabei lernen Kinder und Jugendliche doch vor allem voneinander und miteinander – und nicht, indem sie einsam ihren Schulstoff büffeln.
Was heißt das denn für die Gestaltung des Schulalltags?
Lena Sonnenburg: Wenn jetzt die Schule wieder anfängt, dann muss man schauen: Was braucht meine Lerngruppe? Was ist schulorganisatorisch möglich? Und wie kann ich den Schüler*innen das geben, was sie brauchen? Dass ein Gefühl von Sicherheit ganz wichtig ist, hatte ich eben schon gesagt. Bewegung ist auch ein großes Thema, gerade nachdem wochenlang Spielplätze, Sportanlagen und Schwimmbäder geschlossen waren. Dafür sollten alle Lehrkräfte sensibel sein – völlig egal, welches Fach sie in der Klasse eigentlich unterrichten. Man kann jetzt nicht sagen: Um Bewegung kümmert sich der Sportlehrer und für Vertrauen und Hoffnung sorgt die Religionslehrerin. Sondern alle sind aufgefordert, in einer zugewandten, achtsamen Haltung auf die Schüler*innen zuzugehen. Und das eben nicht nur dienstags in der 3. Stunde, sondern in jedem Unterricht.
Wenn da alle achtsam sind, wofür braucht es dann den Religionsunterricht?
Lena Sonnenburg: Weil der Religionsunterricht noch mehr kann. Hier ist Zeit, um intensiv über die Erfahrungen während Corona zu sprechen, das aufzuarbeiten, was die Schüler*innen erlebt haben, aber auch Hoffnungsmotive zu entwickeln, um gestärkt in die Zukunft blicken zu können. Damit bringt der Religionsunterricht eine spirituelle Dimension ins Spiel und leistet so einen wichtigen Beitrag im Schulalltag.
Die Fragen stellte Michaela Veit-Engelmann (RPI Loccum)