Wozu Behinderungen?
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Andacht zum 8. Sonntag nach Trinitatis
Als ich noch in Hamburg gewohnt habe, gab es in der Speicherstadt eine Ausstellung, in der es nichts zu sehen gab, aber viel zu entdecken. Blinde führten Sehende durch eine Kulisse, die einen Eindruck von der Welt der Blinden geben sollte. Es gab absolut kein Licht. Einen Straßenzug. Eine Baustelle. Eine Bootsfahrt. Ein Cafe...
Ich hatte damals bereits meine MS-Erkrankung. Deshalb hatte ich Probleme mit dem Gleichgewicht und war heilfroh, als ich wieder etwas sehen und diesen Fehler ausgleichen konnte. Umso befremdeter war ich bei der Lektüre des Gästebuches am Ausgang, in das andere Besucher schrieben, wie gut sie diese Ausstellung fanden und sie wieder in diese Welt der Blinden eintauchen wollten. Die Ausstellung war gut. Aber ich war froh, wieder sehen zu können. Wie gesagt.
Inzwischen habe ich einige erblindete und blinde Menschen kennengelernt. Und ich bin mir sicher, dass das nicht alles unglückliche Menschen sind.
Im Johannesevangelium wird in Kapitel 9 erzählt, wie Jesus und seine Freunde auf einen Mann treffen, der blind geboren wurde. Die Jünger fragen Jesus, wer denn daran schuld sei. An der Blindheit.
Jesus widerspricht dieser Frage. Das finde ich gut. Er fordert auf, nicht nach dem Warum zu fragen. Er richtet den Blick nach vorne. Auf den Zweck. Schließlich heilt er ihn... Dass dieser Junge aber behindert ist, damit (!) Gottes Allmacht an ihm gezeigt werden kann, befremdet mich.
Wozu wird mir das? Diese Frage ist sicherlich produktiver als ein Fragen nach dem Warum.
Dennoch habe ich diese beiden Fragen an den Text. Warum? Wozu?
Dass Jesus Wunder gewirkt hat, ist so gut bezeugt, dass ich davon ausgehe, dass er es getan hat. Dass Jesus aus Nazareth vor 2000 Jahren wunderbar war, hilft mir heute nicht weiter.
Wozu werden also solche Berichte von Jesus erzählt? Bei der Entstehung des Berichtes bei Johannes ging es sicherlich auch darum, die Göttlichkeit von Jesus zu erzählen. Da gehörte Wunderwirken unbedingt dazu. Es gibt verblüffende wörtliche Übereinstimmungen mit anderen Berichten aus der Umwelt von Jesus. Das tut aber nicht unbedingt seiner Göttlichkeit einen Abbruch.
Ich würde mir Erzählungen wünschen, in denen Jesus Kranke bewusst behindert und doch glücklich zurücklässt. Nicht geheilt, aber geheiligt. Eine solche Erzählung finde ich in der Bibel nicht.
Vielleicht ist es unsere Aufgabe, solche Geschichten zu schreiben, einander so im Blick zu haben, für einander so einzustehen, dass wir dasselbe verkünden wie Jesus Christus: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.
Amen.