Startseite Archiv Tagesthema vom 01. August 2020

Wozu Behinderungen?

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Andacht zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Als ich noch in Hamburg gewohnt habe, gab es in der Speicherstadt eine Ausstellung, in der es nichts zu sehen gab, aber viel zu entdecken. Blinde führten Sehende durch eine Kulisse, die einen Eindruck von der Welt der Blinden geben sollte. Es gab absolut kein Licht. Einen Straßenzug. Eine Baustelle. Eine Bootsfahrt. Ein Cafe...

Ich hatte damals bereits meine MS-Erkrankung. Deshalb hatte ich Probleme mit dem Gleichgewicht und war heilfroh, als ich wieder etwas sehen und diesen Fehler ausgleichen konnte. Umso befremdeter war ich bei der Lektüre des Gästebuches am Ausgang, in das andere Besucher schrieben, wie gut sie diese Ausstellung fanden und sie wieder in diese Welt der Blinden eintauchen wollten. Die Ausstellung war gut. Aber ich war froh, wieder sehen zu können. Wie gesagt.
Inzwischen habe ich einige erblindete und blinde Menschen kennengelernt. Und ich bin mir sicher, dass das nicht alles unglückliche Menschen sind.

Im Johannesevangelium wird in Kapitel 9 erzählt, wie Jesus und seine Freunde auf einen Mann treffen, der blind geboren wurde. Die Jünger fragen Jesus, wer denn daran schuld sei. An der Blindheit.

Jesus widerspricht dieser Frage. Das finde ich gut. Er fordert auf, nicht nach dem Warum zu fragen. Er richtet den Blick nach vorne. Auf den Zweck. Schließlich heilt er ihn... Dass dieser Junge aber behindert ist, damit (!) Gottes Allmacht an ihm gezeigt werden kann, befremdet mich.

Wozu wird mir das? Diese Frage ist sicherlich produktiver als ein Fragen nach dem Warum.
Dennoch habe ich diese beiden Fragen an den Text. Warum? Wozu?
Dass Jesus Wunder gewirkt hat, ist so gut bezeugt, dass ich davon ausgehe, dass er es getan hat. Dass Jesus aus Nazareth vor 2000 Jahren wunderbar war, hilft mir heute nicht weiter. 

Wozu werden also solche Berichte von Jesus erzählt? Bei der Entstehung des Berichtes bei Johannes ging es sicherlich auch darum, die Göttlichkeit von Jesus zu erzählen. Da gehörte Wunderwirken unbedingt dazu. Es gibt verblüffende wörtliche Übereinstimmungen mit anderen Berichten aus der Umwelt von Jesus. Das tut aber nicht unbedingt seiner Göttlichkeit einen Abbruch.

Ich würde mir Erzählungen wünschen, in denen Jesus Kranke bewusst behindert und doch glücklich zurücklässt. Nicht geheilt, aber geheiligt. Eine solche Erzählung finde ich in der Bibel nicht.

Vielleicht ist es unsere Aufgabe, solche Geschichten zu schreiben, einander so im Blick zu haben, für einander so einzustehen, dass wir dasselbe verkünden wie Jesus Christus: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.

Amen. 

Pastor Jakob Kampermann

Der Bibeltext

 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden

7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Johannesevangelium 9, 1-7
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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net

Der Autor

Pastor Jakob Kampermann