„Was steht ihr da und seht gen Himmel?“
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Andacht an Himmelfahrt
Für meine Frau und mich ist es das Highlight in jedem zweiten Herbst: Die Kunstbiennale in Venedig. Ein langes Wochenende voller Anregungen und Staunen. Wir lassen uns herausfordern von Gegenwartskunst aus der ganzen Welt. Von Pavillion zu Pavillon spazieren und sich inspirieren lassen von künstlerischen Ideen.
Ein besonderes Kunstwerk aus dem vergangenen Jahr ist vor wenigen Monaten auch in Münster zu sehen gewesen. Bevor die Museen schließen mussten und man von Städtetrips nur noch träumen konnte, sahen 22.000 Besucherinnen und Besucher die Skulptur „Opulent Ascencion“ des irischen Künstlers Sean Scully. Wir hatten sie in Venedig in der Kirche San Giorgio Maggiore bestaunt.
Scully hat einen zehn Meter hohen Turm errichtet aus 34 ineinander gesteckten, mit grellbuntem Filz bespannten Holzrahmen. Man kann hineingehen. Der Filz dämpft die Geräusche von draußen und der Blick wandert unwillkürlich nach oben, wo der Himmel zu einem schmalen Schacht verengt ist. „Opulenter Aufstieg“, so lässt sich der Titel des Werkes übersetzen, oder auch, passend zum heutigen Tag, „Opulente Himmelfahrt“. Am Anfang, erklärt der Künstler in einem Video, steht das Materielle. Mit dem Körper fängt alles an. Aber wie mit einem Teleskop will Sean Scully unsere Blicke nach oben, auf die spirituelle Welt ziehen. In der großen Kirche in Venedig wurde der Blick in die hohe Kuppel hinaufgezogen.
„Was steht ihr da und seht gen Himmel?“, müssen die Jünger sich fragen lassen. Jesus hat sie, hat unsere Welt hinter sich gelassen. Er wurde „vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen“, heißt es in der Apostelgeschichte. Zurück bleiben zwei Männer in weißen Gewändern, die die Jünger mit ihrer Frage provozieren.
„Aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“, sprechen wir im Glaubensbekenntnis. Man muss sich das nicht wie den Thron eines entrückten Herrschers vorstellen, beschreibt Martin Luther: „weil er ist zur rechten Gotts, die allenthalben ist, wie wol wir nicht wissen, wie das zugehet.“ Was uns wie eine nicht überbrückbare Distanz erscheint, kann überall sein, auch mitten unter uns.
Guckt nicht nur in den Himmel, sondern guckt auch in die Welt. Ich denke, beides ist richtig und wichtig. Jesus wurde den Augen einiger weniger Jünger entzogen, damit er alle in den Blick bekommt. Jeden und jede von uns. Im Himmel und in der Welt: Er ist überall. Und manchmal helfen Kunstwerke, um sich einem solchen Gedanken wieder zu öffnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen, segensreichen Himmelfahrtstag!
Landesbischof Ralf Meister