Startseite Archiv Tagesthema vom 15. April 2020

Verschobene Konfirmationen: "Gott ist trotzdem immer da"

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Konfi-Stunde in Wunstorf-Luthe Mitte Januar - die Welt war noch eine andere. Gerade erklärt Pastorin Marit Ritzenhoff, dass alle, die am Sonntag Konfirmation feiern, am Montag schulfrei haben. "Geil", entfährt es einem Konfi. Ob er immer noch so denkt? Die Konfirmationen in Luthe sind auf Ende Oktober verschoben und die schulfreien Tage sind vielen Jugendlichen aktuell keinen Jubelschrei mehr wert. Nicht nur in Wunstorf werden sich die Konfis wohl ihr Leben lang an dieses Ausnahmejahr erinnern. Landesweit versucht die Kirche, das Beste aus der Situation zu machen. Und geht dabei neue Wege, die auch in krisenlosen Zeiten weiterführen können.

Freiheit ist der Begriff, der bei den Konfis in Luthe am häufigsten fällt, wenn sie ihren Glauben und ihr Verhältnis zur Kirche beschreiben. Und jetzt müssen sie so viel Unfreiheit erleben. Das Corona-Virus sorgt dafür, dass Kirchen geschlossen bleiben, sogar Ostergottesdienste abgesagt werden. Das haben nicht einmal ihre Eltern und Großeltern jemals erlebt. Doch was die Jugendlichen unter Freiheit verstehen, geht über ein paar Monate Einschränkungen hinaus. "Dass Gott mir zuhört, dass nur er zuhört und mir zu helfen versucht", sagt Justin Soltendieck. Und Luisa Koch ist überzeugt: "Die Kirche akzeptiert keine Ausgrenzung, Menschen können von ihren Fehlern sprechen, ohne dafür bestraft zu werden.“ Mia Kamann bringt es so auf den Punkt: "Ich glaube, dass ich selbst ein Mensch bin, der für Gott perfekt ist."

Vom 6. bis 8. März war die Gruppe auf Konfi-Freizeit in der Jugendherberge in Müden an der Örtze. Danach ging alles sehr schnell. Mit den ersten dramatischen Nachrichten aus Italien war das Corona-Virus schon recht nah gekommen. Am 11. März rief die Bundeskanzlerin dazu auf, alle Großveranstaltungen ab 1.000 Personen abzusagen. Als selbst die Fußball-Bundesliga erkannte, dass diese Forderung auch sie betrifft, war dem Letzten klar, wie ernst die Lage ist. Schließlich gab das Land Niedersachsen bekannt, dass ab dem 16. März alle Schulen und Kindertagesstätten geschlossen bleiben.

In Luthe hatten zu dem Zeitpunkt die Konfi-Eltern eine Einladung zu einem Elternabend am 17. März erhalten, bei dem es darum gehen sollte, ob die beiden für den 25. und 26. April geplanten Konfirmationen im kleinsten Kreis gefeiert oder verschoben werden. Noch am Abend nach einer Kirchenvorstandssitzung am 16. März setzte sich Marit Ritzenhoff ans Telefon und informierte die Eltern, dass eine Verschiebung alternativlos ist. Einige Eltern hatten diese Lösung schon vorher favorisiert, Unverständnis äußerte keiner.

Der Vorstellungsgottesdienst entfällt ersatzlos. Die Konfis hatten ihn komplett vorbereitet und auf der Freizeit in Müden für sich gefeiert. Dass die Pastorin mit den Jugendlichen vor den verschobenen Konfirmationen noch einen Sonntag und Probentermine findet, an dem alle können, hält sie für illusorisch.

Die Konfirmationssprüche haben sich die Mädchen und Jungen bereits ausgesucht. Nachdem sie in der Konfistunde ihre persönlichen Glaubensbekenntnisse formuliert hatten, fiel es ihnen leichter, einen passenden Spruch zu finden. Technische Hilfsmittel gibt es allerdings auch: Ähnlich einem Wahl-O-Mat kann man sich unter konfispruch.de anhand weniger Fragen zu einer passenden Bibelstelle leiten lassen. Die Sprüche wird Pastorin Ritzenhoff später in den Mittelpunkt ihrer Konfirmationspredigt stellen: "Es ist einfach toll, in den Blick zu nehmen, wozu die Konfirmanden ‚Ja‘ sagen an diesem Tag." Bei ihr selbst war seinerzeit deutlich mehr Willkür im Spiel: "Ich habe einfach blind mit dem Finger auf irgendeine Bibelstelle getippt."

Noch vor der Corona-Krise hat sich Luisa Koch diesen Spruch ausgesucht: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Matthäus 28,20). Auf einem Arbeitsblatt hat sie folgende Begründung notiert: "Ich habe ihn ausgewählt, weil er für mich bedeutet, dass, egal wie allein man sich fühlt und egal wer einen verlässt, Gott trotzdem immer da ist." Luisa hatte sich auf ein besonderes Konfirmationsgeschenk gefreut: Sie hätte ganz allein ihren Patenonkel in Kanada besucht. Die Reise ist nun um ein Jahr verschoben. "Das tut mir einfach so leid", sagt Pastorin Marit Ritzenhoff. "Ich bin selbst traurig, dass mein Taizé-Urlaub ausfällt – aber wie muss das für eine 13-Jährige sein?"

Natürlich waren auch die Feiern längst geplant. Manche hatten einen Caterer bestellt, gleich mehrere Familien hatten sich im Restaurant Bullerdieck in Garbsen eingemietet. Dort hätten an dem Wochenende wahrscheinlich fünf Familien mit schätzungsweise 100 Personen gefeiert. Je nach Buffet ein Kostenpunkt von 1.000 bis 1.500 Euro pro Familie – und ein entsprechender Einnahmeausfall für das Restaurant. "Wir versuchen natürlich, alle Feiern mit Nachholterminen unterzubringen, das klappt bisher auch ganz gut", sagt Geschäftsführerin Mirja Bullerdieck. Die bereits erhobene Bearbeitungsgebühr könne zum Teil bei dem Ausweichtermin angerechnet werden.

Wie alle Gastronomen trifft den Familienbetrieb Bullerdieck die Corona-Krise hart. Für das gesamte Team, von dem 90 Prozent in Kurzarbeit seien, sei es eine schwere Zeit, sagt die Chefin. "Wir müssen nun Kredite aufnehmen. Geplante Umbau- und Renovierungsarbeiten mussten wir absagen." Das Schlimmste sei aber die Unsicherheit: Niemand wisse, wie lange der Ausnahmezustand noch dauert.

Das gilt auch für die Kirchengemeinde. Wie geht es dort weiter? Pastorin Ritzenhoff wird per E-Mail mit den Konfis in Kontakt bleiben. Und neben den Konfirmationen stehen bereits zwei weitere Termine fest. Das "Nach-Konfirmations-Grillen" im Juni findet nun halt vor der Konfirmation statt. Und ein großes Eisessen steht auch noch an. 32 Gottesdienste oder Andachten sollen die Jugendlichen in Wunstorf-Luthe während ihrer Konfi-Zeit besuchen, es wird Strichliste geführt. Für jeden Strich darüber hinaus spendiert die Diakonin eine Kugel Eis. "Manche haben eine Punktlandung geschafft", berichtet Ritzenhoff. "Andere können sogar noch ein paar Kugeln abgeben."

So oder so: Wenn sich Luisa, Mia, Justin und all die anderen im Jahr 2045 zu ihrer Silbernen Konfirmation treffen, werden sie sich an ein außergewöhnliches Jahr erinnern.

Lothar Veit

Interview: "Konfi-Unterricht verlängern? Das wäre ja wie Nachsitzen"

In der gesamten Landeskirche sind die Konfirmationen verschoben worden. Wie ist das in den Gemeinden und von den Konfis selbst aufgenommen worden?

In den Gemeinden, bei den Konfis und bei deren Familien gab es ganz normale Trauerprozesse: Alle waren enttäuscht. Alle haben überlegt, dass das doch eigentlich nicht sein könne und dass sie das irgendwie noch hinkriegen mit der Feier. Und schließlich haben alle eingesehen, dass es eben nicht anders geht. Da war es gut, dass Gottesdienste verboten sind. So mussten sich die Gemeinden nicht einzeln rechtfertigen. Alle konnten und können gemeinsam trauern.

Sie haben anfangs noch geraten, man könne die Konfirmation auch am vorgesehenen Termin im kleinsten Kreis oder mit Videoübertragung feiern. Hat es solche Modelle irgendwo gegeben?
Soweit ich weiß, nicht. Dafür sind wir viel zu schnell in die Zwangspause gegangen. Die meisten Gemeinden feiern ja erst nach Ostern Konfirmation. Es gibt vom RPI Vorschläge, wie die Familien zu Hause am Tag der geplanten Konfirmation feiern können, und was zeitgleich in der Kirche passieren kann.

Kurz vor der Konfirmation ist der Kontakt zwischen Gemeinde und Konfis in der Regel besonders intensiv. Herrscht nun Funkstille bis zu einer möglichen Feier im Sommer oder Herbst?
Jetzt sind erst mal Ferien. Danach werden die Gemeinden viele Ideen ausprobieren, wie sie mit ihren Konfis in Kontakt bleiben können. Nicht zuletzt, weil die Konfirmationen ja vorbereitet werden müssen. Wichtig ist dabei, dass die Jugendlichen jetzt als religionsmündige Menschen wahrgenommen werden. Der Konfi-Unterricht darf nicht einfach verlängert werden. Das wäre ja wie Nachsitzen. Sondern es kommt darauf an, die Konfis jetzt in alle Planungen mit einzubeziehen und ihnen so zu zeigen: Ihr seid zwar noch nicht konfirmiert, aber im Sinne der Kirche erwachsene Mitglieder.

Viele Familien hatten schon Säle gebucht und müssen womöglich Stornogebühren zahlen. Ist das ein Privatproblem oder kann die Kirche hier helfen?
Die Gemeinden haben ja Diakoniekassen. Hilfe sollte aber abgewogen geleistet werden. Wir wissen noch nicht, ob es hier zu Stornogebühren kommt. Manche Familie geht im Mai vielleicht trotzdem essen, auch wenn die Konfirmation später stattfindet. Auch wird nicht jede Familie in finanzielle Nöte gestürzt, wenn sie Stornogebühren zahlt. Wichtig finde ich zu sehen, ob die verschobene Konfirmation Kosten verursacht. Eine Familie hat sich vielleicht den Konfirmationsanzug vom Munde abgespart; und im September ist der Konfirmand da rausgewachsen. Hier sollten Gemeinden Hilfe leisten, vor allem aber kreativ werden: Gemeinsam mit den Konfis kann man ja überlegen, ob eine besondere Konfirmation auch andere Kleidung ermöglicht. Eine Herausforderung für die Gemeinden, weil hier Moderationsprozesse zwischen Arm und Reich zu leisten sind. 

Andreas Behr ist Dozent für Konfi-Arbeit am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI)