Ostern 2020 in Moisburg: Gemeinsam ohne Gottesdienst
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Kann man sich Schöneres vorstellen als Ostern in Moisburg im Landkreis Harburg? Ein entzückendes historisches Kirchgebäude, eine harmonische Dorfgemeinschaft, ein sonniges Wochenende in einem grünen Naturparadies. Doch 2020 ist alles anders, das gilt auch für den kleinen Ort in der Hamburger Peripherie. Die Kirche ist nur an Karfreitag und Ostersonntag für wenige Stunden zum stillen Gebet geöffnet. Vereine, Feuerwehr, Sportgruppen - alles ruht, seit Wochen trifft sich niemand. Spaziergänger und Radfahrer dürfen immerhin die umliegenden Wälder und Seen besuchen, mit genügend Abstand. Moisburg feiert Ostern, ja - aber Begegnung und Miteinander sind gerade nicht angesagt.
"Alle Veranstaltungen hier im Ort sind abgesagt", sagt Bürgermeister Hans-Jürgen Steffens am Telefon. "Die Familien sind weitgehend für sich allein." Der Ort, dem der pensionierte Ingenieur Steffens ehrenamtlich vorsteht, ist mit 1.848 gemeldeten Einwohnern nicht riesig, das Zusammengehörigkeitsgefühl dafür umso größer. Schützenverein, Freiwillige Feuerwehr, Sportverein, kirchliche Jugend- und Seniorenarbeit, Konzerte, Treckerfreunde, Laternenumzüge: Es gibt viel Gemeinschaft in Moisburg. Vor Weihnachten etwa wird seit vielen Jahren mit bis zu 150 Teilnehmern ein lebendiger Adventskalender in Privathäusern gefeiert. "Wir haben eine sehr intensive Dorfgemeinschaft", sagt der 69-Jährige.
Und nun? Wie überall in Deutschland und vielen Ländern der Erde ist auch in Moisburg das Leben zum Stillstand gekommen. "Man sieht deutlich mehr Spaziergänger", hat der Bürgermeister beobachtet, der selbst etwas außerhalb des Ortes wohnt. Er drehe nach wie vor seine Runden, aber wenn er Moisburger treffe, dann falle das Gespräch deutlich kürzer aus, sagt er. Und es sei oftmals geprägt von Sorgen: "Niemand weiß, wie sich das alles entwickelt - was die Betriebe, die Arbeitsplätze, die Perspektiven angeht. Corona wird sicher noch eine ganze Weile unser Leben beeinflussen. Jemanden auf Dauer nicht im Altersheim besuchen zu können, ist für viele Menschen sehr hart - und gerade solche Regelungen werden ja aus gutem Grund nicht auf einen Schlag wieder zurückgedreht." Auch Beerdigungen seien in dem kleinen Ort oft gut besucht - nun aber nur im sehr kleinen Kreis möglich. "Die Dorfkultur ruht im Moment", sagt Hans-Jürgen Steffens nachdenklich.
Im Zentrum des Ortes, der geprägt ist von historischen, teils reetgedeckten Fachwerkhäusern, steht die Kirche. Schon vor 1242 wurde sie erbaut, haben lokale Historiker ermittelt - und vermutlich ist seit bald 800 Jahren kein Osterfest vergangen, an dem sich nicht Gläubige in dem alten Gemäuer zu Andacht, Gebet und Gesang versammelt hätten. 2020 wird in die Ortschronik eingehen als das Jahr, in dem die Moisburger keinen Abendmahls-Gottesdienst am Karfreitag, keine Osternacht und keinen Gottesdienst am Ostersonntag in ihrer Kirche feiern konnten. Eine Zäsur.
Pastorin Svenja Kluth liebt das schöne Gotteshaus ihrer Gemeinde. Aber sie war schon vor Corona auf digitalen Pfaden unterwegs. In ihrer WhatsApp-Gruppe zur Fastenzeit sind mehr als 700 Menschen, viele aus dem Ort. "Ich wohne nicht direkt in Moisburg und kommuniziere sowieso unheimlich viel am Telefon und per WhatsApp", sagt die 31-Jährige. "Wenn ich dann vor Ort bin, schnappe ich mir natürlich mein Fahrrad und treffe die Leute persönlich." Genau das ist nun kaum mehr möglich, zumal die Pastorin mehr Zeit denn je zu Hause bei ihren Söhnen verbringt.
Eine ältere Dame sagte ihr am Telefon: "Für mich hat sich doch nichts geändert. Ich war schon vorher allein." Dass ausgerechnet an Ostern Begegnungspunkte für einsame Menschen wegfallen, schmerzt Svenja Kluth sehr. Am Gründonnerstag findet sonst ein Feierabendmahl im Sitzen im Gemeindehaus statt. Ein gern genutztes Angebot für Ältere, die im regulären Gottesdienst nicht mehr so gut am Abendmahl teilnehmen können. "Das anschließende Kaffeetrinken ist für viele zudem ein wichtiger Treffpunkt", sagt die Pastorin. Sie hat deshalb im Osterbrief die Gemeinde dazu aufgerufen, sich aktiv bei älteren und einsamen Menschen zu melden und nicht passiv die Feiertage vorbeiziehen zu lassen.
Gleich neben der Kirche fließt die Este, über den Fluss führt eine schöne Holzbrücke. "Die wird gerade sehr viel frequentiert", sagt Svenja Kluth. Viele wandern, fahren mit dem Rad. Und passend dazu liegen vor der Kirche bunt bemalte "lebendige Steine", die jeder mitnehmen und bemalt hinlegen darf. Den Grundstock hat die Pastorin gelegt, viele Gemeindemitglieder haben mitgemacht. Schließlich hatten zwei Familien keine wasserfesten Farben mehr. Die Kirchengemeinde organisierte neues Bastelmaterial - denn was Besseres könnte man tun für Familien, die zuhause, vielleicht gar im Home-Office, hocken? Da kann man mit dem Bemalen von Steinen helfen, ein paar Stunden am Nachmittag zu bestreiten. Ein Zeichen, dass man aneinander denkt, sind die fröhlich-bunten Steine allemal.
"Es gibt eine große Traurigkeit darüber, dass man sich nicht sieht, ganz klar", sagt die Pastorin. "Das Miteinander fällt weg, das betrifft alle Generationen. Von den Kleinen, die zum Kinderturnen gehen, bis zur Fahrradgruppe der älteren Herren. Hier ist die Welt noch echt in Ordnung, aber aktuell kann und darf man das nicht so leben, wie man möchte." Kluth schätzt, dass sie um die 200 Menschen regelmäßig pro Monat sieht: Im Gottesdienst, beim Konfirmandenunterricht, bei Krabbelgruppe, Junger Kirche und Seniorenkreis. Eine Menge Gesichter, die im Moment fehlen. Auch ihre aktiven Helfer in der Gemeinde konnten keine Gottesdienstfeiern mitgestalten: "Es gibt so viele Menschen, die sich sonst einbringen, um allen das Osterfest schön zu machen. Viele von ihnen sitzen nun zwangsläufig zu Hause", sagt Kluth.
Die Kirche ist mittendrin im dörflichen Geschehen. Weil es an Hallenflächen fehlt, hatte der Kirchenvorstand noch kurz vor der Krise beschlossen, lokalen Vereinen die Nutzung des Gemeindehauses zu ermöglichen. Im Juni wäre das Schützenfest wäre dran, da wird gerade diskutiert: Plant man daran überhaupt weiter oder fällt das aus? "So etwas beschäftigt durchaus einen ganzen Ort, da hängt vieles dran", sagt Ortsbrandmeister Peter Meyer. Der 55-Jährige ist selbständig im Bereich Haustechnik, auch sein Geschäft ist von der Krise berührt: "Die Kunden sind alle sehr zögerlich - kein Wunder, wenn die Perspektiven derart unklar sind". Als Ortsbrandmeister und Vorstandsvorsitzender des Fördervereins der Freiwilligen Feuerwehr hat er viele Berührungspunkte mit der Pastorin und lobt die "ganz tolle Zusammenarbeit". Viele seiner ehrenamtlichen Feuerwehrleute sind aktuell häufiger zu Hause als sonst, der Dienst muss in Schichten aufgeteilt werden, damit bei einem Einsatz nicht zu viele helfen wollen. Das ist schon aus ganz praktischen Gründen unmöglich, sagt Meyer: "Für meine 40 Leute habe ich gerade einmal zehn Atemschutzmasken".
Auch die Feuerwehr hat an die Familien gedacht und Ausmalbilder mit Löschfahrzeugen gestaltet. Viele Moisburger rufen Peter Meyer an und fragen: "Was können wir tun? Wann treffen wir uns endlich wieder?". Die Menschen hielten sich durchaus mit Disziplin an die Hygiene- und Abstandsregeln, sagt der Ortsbrandmeister, sie ertrügen die soziale Separation. Aber lange dürfe das nicht weitergehen: "Es ist ganz dringend nötig, dass es endet." Der Mann, dessen Bruder den Kirchenvorstand leitet, hat Hoffnung für die Zeit nach Corona: "Die Leute sind wesentlich offener geworden, freundlicher", sagt er. "Ich denke, wir gehen gestärkt aus dieser Situation hervor. Alle werden die Ärmel hochkrempeln und hart daran arbeiten, die wirtschaftliche Lage wieder anzupacken." Und das gute Miteinander in Moisburg? "Das wollen wir uns erhalten, jetzt erst recht. Dafür treten wir vehement ein." Schließlich soll es 2021 wieder eine prall gefüllte Kirche an Ostern und einen vollen Terminkalender der Vereine im Dorf geben.
Alexander Nortrup