"Gemeinsam können wir etwas erreichen"
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1987 feierten Frauen in Hannover ihren ersten Frauenreformationstag - und brachten Bewegung in kirchliche Strukturen.
Am Reformationstag 1987 brachten 300 Pfarrfrauen, Diakoninnen, Theologinnen und andere haupt-, nebenberuflich bzw. ehrenamtlich in der Kirche engagierte Frauen eine Tür mit Thesen zu ihrem ersten Frauenreformationstag in ein Gemeindezentrum in Hannover mit – und damit Hunderte anderer Frauen in Bewegung. Die 1980er Jahre waren ein Aufbruch für viele Frauen. Sie forderten Veränderungen in der Kirche; wollten wahrgenommen und mehr beteiligt werden. Eine dieser Frauen war Susanne Bergengruen. Pfarrfrau, Kunst- und Religionslehrerin und Aktivistin.
Frau Bergengruen, in welchem Zusammenhang ist Ihnen das Thema „Kirchenreform durch Frauen“ das erste Mal begegnet?
Da muss ich ziemlich früh anfangen. Ich bin 1935 geboren, in der Zeit eben, als es noch keine Spur der späteren Frauenbewegung gab, habe einen Pfarrer geheiratet und war eine ganz normale Pfarrfrau. Wir sind dann – und das war eigentlich der Wendepunkt in meinem Leben – hier nach Hannover in die Studentengemeinde gekommen. Das war 1969/70, genau in der Zeit, in der sich eben viel geändert hat. Wir hatten dann in der Studentengemeinde Kontakt mit Frauen aus anderen Ländern. Auch aus Amerika kamen die Ideen der Frauenbewegung nach Deutschland. Und das war witzig: Anfang der 70er Jahre hat uns ein Mann dazu gebracht, dass wir hier in Hannover eine Frauengruppe gegründet haben. Das war Peter Brückner, ein Sozialpsychologe an der Uni Hannover. Wir waren sehr gut befreundet; irgendwie sind wir ins Reden gekommen und da sagte er: Ihr müsst auch so etwas (gemeint waren Frauengruppen) machen! Dann haben wir – d.h. eine Reihe politisch interessierter Frauen - in Hannover mit der ESG zusammen eine Frauengruppe gegründet. Das war Anfang 1971/72.
Wer kam zu dieser Frauengruppe?
Da war also ein großer Teil der politisch denkenden Frauen in Hannover dabei. Und in der Studentengemeinde haben wir eine – wie wir sie nannten – „Hexengruppe“ gebildet; es war damals gerade „in“, über Hexen nachzudenken und zu forschen, warum diese Frauen verfolgt und verbrannt worden sind usw.; da gab es sehr viel neue Literatur. Und dann lasen wir in der Gruppe Simone de Beauvoir „Das andere Geschlecht“. Da hab‘ ich mich halt verändert. Für mich hat sich Frausein verändert. Mein Frausein war wichtig.
Können Sie beschreiben, wie sich Ihr Frausein verändert hat?
SB: Dass ich einfach viel selbstbewusster geworden bin. Ich war allerdings schon vorher nicht so, dass ich gekuscht hätte. Mein Mann war zum Glück auch kein Macho; er hat wahrgenommen, dass ich mich verändert habe, und ich glaube, er fand es im Grunde richtig – jedenfalls war es für mich wichtig. Irgendwann sagte mal Peter Brückner: Wir sind „emanzipations-geschwächte“ oder „-geschädigte“ Männer.
Neben Ihrer Tätigkeit als Hausfrau haben Sie dann hier in Hannover studiert?
Ja. Das war kein Problem, mein Mann hat das sehr unterstützt. Dadurch, dass er ja kein „normales“ Gemeindepfarramt hatte, konnte er sich seine Arbeit gut einteilen. Wir haben versucht, die Hausarbeit gemeinsam zu erledigen. Das ging gut. Während des Studiums habe ich mich auch mehr mit Theologie beschäftigt und dann hatten wir die Idee, in der ESG auch so eine theologische Frauengruppe zu gründen. Wir haben uns mit Büchern, die es allmäh- lich gab, beschäftigt. 1981 gab es hier die erste Feministische Theologie-Gruppe (FEM).
1987 gab es den ersten Frauenreformatinstag. Von wem stammte die Initialzündung zu den Frauenreformationstagen?
So genau auf eine Person kann ich das nicht zurückführen. Irgendwann entstand plötzlich die Idee mit der Tür. Wir hatten da tatsächlich eine Tür, die wir beim ersten Frauenreformationstag aufs Podium getragen haben, auf ihr wurden die Wünsche und Forderungen mit Hammer und Nägeln angeschlagen. Beim ersten Mal kamen da ein paar hundert Frauen.
Wie war denn die Reaktion auf den ersten Frauenreformationstag? Sie sagten, Hunderte von Frauen waren da. Waren das Kirchenfrauen?
Ja, meist natürlich. Es waren Frauen, die in der Kirche etwas ändern wollten. Oft konnte man hören: „Wir können mit diesem Laden nichts mehr anfangen!“ Nicht wenige sind damals ausgetreten. Aber viele Teilnehmerinnen sagten eben auch: „Es ist doch auch unsere Kirche! Wir wollen nicht rausgehen, sondern drinbleiben, aber sie muss sich verändern! So, wie es ist, können wir nicht mehr in den Gottesdienst gehen, das geht nicht mehr! Wir fordern unser Teil ein!“
Dieser erste Frauenreformationstag 1987 – wie war da die Stimmung? Haben Sie daran noch eine Erinnerung?
Es war total irre! Sehr viel Energie im Raum. Pastorin Ingrid Engel hat eine feministische Bibelarbeit gehalten, es gab viel Singen und danach eben die Arbeitsgruppen. Alle Teilnehmerinnen brachten etwas zum Essen mit und alles wurde auf einen großen Tisch gelegt. Getränke haben wir besorgt und gegen Bezahlung abgegeben. Wir hatten ja keinen Etat.
Wenn Sie die gesamte Reihe der Frauenreformationstage mal vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen: Gab es da eine Entwicklung? Hat sich etwas gravierend verändert?
Bei uns wurde ja basisdemokratisch gearbeitet: Wir haben schon während eines laufenden Frauenreformationstages gefragt, wer beim nächsten mitmachen will. Interessentinnen haben sich dann in eine entsprechende Liste eingetragen, so dass immer wieder auch neue Frauen dazugekommen sind. Und wir haben jedes Mal abgefragt: Was sollten wir als Thema nehmen, was brennt euch unter den Nägeln?
Entwickelt hat sich schon etwas und zwar, dass es ein fester Bestandteil des Geschehens in der Landeskirche wurde. Auch wenn der Frauenreformationstag mit seinen konkreten Forderungen anfangs mehr Unruhe in die etablierte Kirche brachte, es gab von 1987 bis 2004 einfach kein Jahr ohne Frauenreformationstag!
Wie beurteilen Sie die Situation heute? Hat sich etwas verändert?
Es gibt jetzt mehr Frauen in kirchenleitenden Ämtern – ein paar Landessuperintendentinnen und eine ganze Reihe von Superintendentinnen. Die derzeitige Landessuperintendentin im Sprengel Osnabrück ist übrigens auch eine frühere FEM-Teilnehmerin. Und Pfarrerinnen gibt es, meine ich, schon bald mehr als Pfarrer. Die derzeitige Präsidentin des Landeskirchenamts ist auch eine Frau. Aber was ist sonst noch geschehen? Viele Frauen denken wohl, wir brauchten uns nicht mehr weiter um Veränderung zu bemühen. Das halte ich für falsch; wenn wir nicht dranbleiben, kann sich das alles schnell wieder ändern.
Was würde passieren, wenn Frauen jetzt in der Kirche mit ihrem Engagement nachließen?
Was wäre die Kirche ohne die Frauen? - ohne die Gemeindefrauen und ohne die ehrenamtlich kirchenleitenden Frauen können sie dichtmachen.
Das war aber schon immer so, auch ohne dass Frauen hätten mitreden dürfen oder können.
Ich denke aber schon, dass Frauen das Kirchenklima verändert haben, dass es diese pfarrherrlichen Männer eigentlich so kaum mehr gibt.
Wenn Sie zurückblicken auf diese Zeit der Frauenreformationstage und Ihr Engagement – ist dieser Rückblick eher durch Hoffnung geprägt oder eher resignativ?
Da ist Hoffnung. Wir haben viel bewegt und deshalb waren wir auch der Ansicht: Das muss dokumentiert werden. Es war einfach toll, denke ich. Wir waren gut.
Was hat Ihnen Kraft dafür gegeben?
Die anderen Frauen, das Miteinander. Immer wieder hatte eine von uns eine Idee, dann wieder eine andere. Wir haben die neuen Gedanken dann zusammen weiterentwickelt. Das war super schön. Und wir haben gemerkt, wir können etwas erreichen, wenn wir gemeinsam etwas machen. Also dieser alte Slogan „Frauen gemeinsam sind stark“, der stimmt.
Dieses Interview ist die gekürzte Fassung eines Interviews von Dr. Gerlinde Baumann. Die ganze Geschichte von Susanne Bergengruen kann in der Broschüre "Bewegte Frauen bringen in Bewegung" nachgelesen werden.