Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Februar 2020

"Wir möchten fair behandelt werden"

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Sie trinken und halten sich warm am mächtigen Bauch ihrer Mutter - und irgendwann schlafen die Ferkel dann friedlich im orangenen Licht der Wärmelampen ein. „Die erste Milch ist sehr wichtig für die Kleinen“, sagt Landwirt Armin Lührs, der gemeinsam mit seiner Auszubildenden täglich intensiv die Neugeborenen auf dem Hof im Landkreis Diepholz betreut. „Trinken und Schlafen sind ihre Hauptbedürfnisse“. Dass die überwiegend rosafarbenen und gerade einen Tag alten Schweine auf dem Hof von Familie Lührs in Rehden süß, aber gleichzeitig unweigerlich Teil einer Produktionskette sind, ist dem Landwirt bewusst - und ändert dennoch nichts daran, dass er das Tier bestmöglich aufwachsen und gedeihen sehen will, sagt der 30-Jährige: „Es ist doch schließlich mein Beruf, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was die Tiere brauchen und wie es ihnen geht.“

Bauern als skrupellose Massentierhalter, Umweltverschmutzer und Preistreiber, die etwa für Milch schlicht zu viel Geld verlangen  - all diese Vorwürfe hat Friedrich Lührs schon oft gehört. Der 63-jährige Vater von Armin Lührs, der den Hof inzwischen leitet, hat sich einst mit 16 Jahren für die Landwirtschaft entschieden. Er hilft mit seiner Frau Christine weiter mit, dazu arbeiten zwei Auszubildende auf dem Hof. Lührs Senior ärgert sich darüber, dass in Medienberichten immer wieder ähnliche Vorurteile gepflegt würden. „Es ist unfassbar, was man da so liest, sieht und hört. Da wird über Bauern viel Blödsinn gesendet und geschrieben“, sagt Friedrich Lührs. Man werde verurteilt und ungerecht behandelt - „dabei kennen wir doch die Zusammenhänge, wir machen das alles unser Leben lang.“

Wie Lührs geht es vielen, die Stimmung unter den Landwirten ist explosiv. Das zeigen nicht nur die medienwirksamen Trecker-Aufmärsche in vielen großen Städten, organisiert vom Aktionsbündnis „Land schafft Verbindung“. Bauern machen mobil und wehren sich, wenn sie pauschal kritisiert werden. „Diese Vernetzung ist etwas Tolles“, sagt Christine Lührs. „Wir stehen über die WhatsApp-Gruppe alle miteinander in Kontakt und fühlen uns allein dadurch schon viel weniger ohnmächtig und allein.“ Armin Lührs hat schon mit vielen seiner Kolleg*innen in Hannover und Berlin eindrücklich die Anliegen der Landwirte vertreten - in der niedersächsischen Landeshauptstadt auch mit dem Trecker, angereist natürlich im Konvoi. „Es sind eigentlich alle aktiven Landwirte aus unserer Umgebung dabei“, sagt der 30-jährige neue Betriebsleiter.

Natürlich sei auch die Bauernschaft nicht fehlerfrei - etwa beim Thema Gülle sei über viele Jahre „einiges schiefgelaufen“, sagt Friedrich Lührs. Er begrüße deshalb auch ausdrücklich die neue Düngeverordnung, die eine Ausbringung von Dünger auf die Felder nur noch im Frühjahr gestattet. Dass allerdings eine Verordnung, die noch gar nicht in Kraft getreten sei, schon wieder verschärft werden solle, ist für den 63-Jährigen ein weiteres Problem in der Debatte: „Auch die Politik sucht den Schwarzen Peter oft nur bei den Bauern. Da wird vielfach nicht ehrlich und nicht sachorientiert diskutiert.“

Fakt ist: Es sind die ganz großen Themen, um die es in der Debatte rund um Landwirtschaft geht - der Schutz der Umwelt, der Umgang mit Tieren, Ernährung, Lebensmittel und ihr Preis. Schweinefleisch allein macht etwa zwei Drittel der gewerblichen Fleischproduktion in Deutschland aus - und ist ein Wirtschaftszweig, in dem immer mehr Spezialisierung nötig wird, um zu bestehen: Allein im Zeitraum von 2007 bis 2013 hat sich nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung die Zahl der deutschen Schweinehalter um 65 Prozent verringert. Wer weiter Ferkel aufziehen und Schweine mästen will, muss ausreichend Umsatz machen, um profitabel zu sein. Im Landkreis Diepholz etwa ist die Pacht von Flächen so teuer, dass nur solche Geschäftsmodelle dauerhaft bestehen können, die wenig Fläche benötigen - wie eben die Schweinemast. Wer diese wirtschaftlichen Realitäten kritisiert, aber zugleich das Schnitzel möglich günstig beim Discounter kaufen möchte, zieht den Zorn der Landwirte auf sich.

Überhaupt - die betrieblichen Zahlen. Es gibt vieles, das Friedrich Lührs und sein Sohn Armin dazu sagen könnten, denn Landwirte sind immer auch Unternehmer. Etwa 25 Sauen bringen pro Drei-Wochen-Zyklus ungefähr 15 Ferkel auf die Welt. Das passt in etwa zur Größe der Lührschen Ferkelställe, die in ihren Buchten etwa Platz für 360 Tiere haben. Insgesamt gehen jährlich 5.000 Tiere durch den Hof, der Lebenskreis öffnet und schließt sich immer wieder neu. 

Jede Woche hat andere Schwerpunkte: In der Abferkelwoche bringen die Sauen die Jungtiere zur Welt. In der Absetzwoche werden die etwa vier Wochen alten Jungtiere von der Mutter entwöhnt und in die Mastanlage gebracht. Die Muttertiere bekommen eine etwa einwöchige Pause und werden dann meist mit künstlicher Befruchtung neu besamt. Die Jungtiere wiederum bleiben so lange zusammen, bis sie etwa 120 Kilogramm auf die Waage bringen. Dann werden sie an einen Schlachtbetrieb verkauft. Über ihren Preis entscheidet die Qualität des Schlachtkörpers: Wie schwer ist das Schinken-, Kotelett-, Schulter- und Bauchfleisch?

Die 55-jährige Christine Lührs hat jahrelang den Ferkelstall betreut. Für sie ist der Familienbetrieb auch in ihrem kirchlichen Engagement zentral: 18 Jahre lang hat sie sich im Kirchenvorstand engagiert, war Mitglied der 25. Synode der Landeskirche und ist auch für die 26. Synode gewählt worden. Im Kirchenparlament sieht sich die Mutter von drei Kindern auch als Sprachrohr der Landbevölkerung - und nicht nur dort wünscht sie sich, dass die Diskussionen um Lebensmittel und Landwirtschaft ehrlich ablaufen: „Die Leute urteilen oft so substanzlos - sie sollten lieber auf die Betriebe kommen und mit uns reden.“

Ihr 30-jähriger Sohn Armin hingegen hat während seiner Fachschule nach der Ausbildung ein Jahr lang auch in Iowa und Minnesota Betriebe kennengelernt. Die globale Perspektive auf die Tierhaltung, die wirtschaftliche Konkurrenz mit anderen Ländern und Weltregionen - das schreckt den jungen Landwirt nicht, es beflügelt eher seine Fantasie: „Mich reizt es, immer mehr zu wissen und besser zu arbeiten. Wenn man an seinem Beruf keine Freude hat, macht man ihn auch nicht gut.“ Die täglich mehrfachen Rundgänge, im Ferkelbereich auch die Beschäftigung mit dem einzelnen Tier - das ist für Lührs selbstverständlich. Das muntere Rumgespringe und Rumgerenne der Schweine etwa sei nicht automatisch Ausdruck von Stress, sondern meist eher ein Zeichen dafür, dass die Tiere ausgeglichen und munter sind: „Wenn ich das beim Reinkommen in den Stall höre, weiß ich: Es geht ihnen vermutlich gut.“

Alexander Nortrup

Grüne Kreuze als Protest

Tausende Landwirte blockieren immer wieder den Verkehr in vielen deutschen Städten. Viele Bauern haben zudem Kreuze an Landstraßen und Feldrändern aufgestellt, um gegen die Agrarpolitik zu protestieren. Maike Schulz-Broers hat den bundesweiten Protest federführend organisiert. Die 48-Jährige aus dem Landkreis Uelzen baut gemeinsam mit ihrem Mann Kartoffeln, Rüben und Getreide an.


Frau Schulz-Broers, Sie haben an den Rändern Ihrer Äcker grüne Kreuze aufgestellt. Was war der Anlass zu der Aktion?
Schulz-Broers: "Für mich sind die Kreuze vor allem ein sehr starkes Symbol. Es fruchtet, es taucht überall auf, Menschen sprechen darüber. Ein Landwirt hatte die Idee dazu, ein Agrarblogger hat sie bekannt gemacht. Viele haben das dann nachgemacht. Zugleich ist es ein stiller Protest. Die Kreuze stehen an vielen exponierten Stellen und zeigen deutlich: Hier geht es um sehr viel. Um die Existenz."


Was bewegt Sie, dieses christliche Symbol für Ihren Protest gegen Agrarpolitik zu nutzen?
Schulz-Broers: "Wir haben festgestellt, dass man neue Wege gehen muss, um sich Gehör zu verschaffen. Ein schickes Plakat irgendwo aufhängen, als Bauernverband etwas verkünden - das wird oft gar nicht wahrgenommen. Darum haben wir als Basisbewegung Anfang Oktober die Facebook-Gruppe „Land Schafft Verbindung“ gegründet und innerhalb weniger Tage Tausende Mitstreiter gefunden. Wir haben vieles ohne professionelle Hilfe organisiert: grüne Kreuze, Protestzüge, Demos - und zwar neben unserer eigentlichen Arbeit auf Höfen und anderswo. Bei uns arbeiten sehr unterschiedliche Menschen intensiv zusammen, wir merken: Man kann gemeinsam etwas erreichen! Diesen Geist wollen wir in die Gesellschaft tragen."


Auch die Bewegung „Fridays For Future“, gegründet von Greta Thunberg, setzt sich auf der Straße für ihr Ziel, den weltweiten Klimaschutz ein. Wie wollen Sie es schaffen, nicht als bäuerliche Antithese zur Klimabewegung zu gelten?
Schulz-Broers: "Die jungen Menschen, die freitags auf die Straße gehen, wollen Dinge verändern. Und sie haben eine ganz wichtige Diskussion angestoßen. Aber aus meiner Sicht bieten sie noch keine nachhaltigen, ganzheitlichen Lösungen. Deshalb braucht es unbedingt einen gesellschaftlichen Dialog. Ich bin froh, dass wir schon Anfragen von „Parents For Future“ haben, dass die Klima-Aktivisten mit uns Landwirten reden wollen. Denn wir haben das Problem, dass ganz viel Politik über die Köpfe der Menschen hinweg gemacht wird. Wir als Landwirte setzen uns jeden Tag mit der Natur auseinander. Aber das, was wir nach der Meinung vieler Menschen und auch vieler Politiker leisten müssen, passt nicht dazu. Wir wollen deshalb wieder einen realistischen Weg finden. Wenn alles so kommt, wie es die Politik momentan plant, können viele Höfe dicht machen. Natürlich sind wir für Natur-, Klima- und Tierschutz. Aber der Weg dorthin muss praktikabel sein. Düngeregeln, Insektenschutz und Klimapaket dürfen nicht am Ende dazu führen, dass Höfe sterben."

Trecker-Korso, Protestmärsche, grüne Kreuze: Was planen Sie als Nächstes?
Schulz-Broers: "Es wird weitergehen. Viele zehntausend Menschen sind in Gruppen organisiert, auf WhatsApp und Facebook. Da fließen viele Ideen zusammen. Wir wollen vor allem mehr Kontakt mit den Verbrauchern erreichen - denn wir haben festgestellt, dass wir als Landwirte oft nicht mehr so sprechen, dass die Menschen uns verstehen. Wir haben dazu in den letzten Wochen viel gelernt. Auf jeden Fall bleiben wir weiter unberechenbar. Ich finde es viel schöner, mein Gegenüber überraschen zu können. Um es sportlich auszudrücken: Wir haben das Spiel begonnen und bleiben auch gern in Ballbesitz."